Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 36/37. Thomas Jung
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СКАЧАТЬ ist. Davon zeugt in der Negativen Dialektik ein eindrucksvolles Bild, das der Metaphysik die Rolle einer strengen Kerkermeisterin zuweist: »Das Subjekt – selber nur beschränktes Moment – ward von ihr für alle Ewigkeit in sein Selbst eingesperrt, zur Strafe seiner Vergottung. Wie durch die Scharten eines Turms blickt es auf einen schwarzen Himmel, an dem der Stern der Idee oder des Seins aufgehe« (ND, 143).20 Wenn die Philosophiegeschichte eine Sackgasse darstellt, an deren Ende unweigerlich das Gefängnis des Selbst wartet, dann besteht zugleich die Notwendigkeit eines Ausbruchs, dessen Möglichkeit allerdings abhängig ist von einer Erweiterung der Perspektive über das mit den Mitteln des identifizierenden Begriffs in sich eingeschlossene Selbst hinaus auf die materielle Welt da draußen. In diesem Zusammenhang entfaltet Adornos negativ dialektische Einsicht in die Nicht-Identität des leidenden Leibs ihre wohl entscheidende Wirkung, denn sie verdeutlicht die von vorneherein bestehende, traditionell jedoch idealistisch ausgeblendete, faktische Zugehörigkeit der Menschen zu eben dieser materiellen Welt.

      Dass Adornos Neuansatz eine mehr als nur tendenzielle Entwertung traditioneller Prämissen und Kategorien erfordert, hat er selbst offen eingeräumt: Gerade das, was Dialektik »Ärgernis bereitet«, ihr Nichtaufgehen, »ist der Wahrheitsgehalt, der ihr erst abzugewinnen wäre. Stimmig würde sie einzig in der Preisgabe von Stimmigkeit aus der eigenen Konsequenz«21. An die Stelle einer begrifflichen Identifizierung von Stimmigkeit rückt die dialektische Einsicht, dass eine Realisierung von Identität zu ihrer notwendigen Voraussetzung die historische Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit hat.

      II.

      Von dieser historischen Dialektik ist auch die somatische Widerlegung der begrifflichen Identität über die Einsicht in die grundsätzliche Nicht-Identität des leidenden Leibes betroffen: In Adornos Konzept ist kein Raum für eine bloße und vermeintlich heile Natur, die Leiden und Nichtidentität kompensieren könnte. Vielmehr hält schon die Dialektik der Aufklärung unmissverständlich fest, dass im ausweglos bis zur letalen Konsequenz entfalteten Recht des Stärkeren mit Vernunft und Zivilisation zugleich auch Natur fadenscheinig geworden ist: »Allein die abgefeimte Kraft, die überlebt, hat Recht. Sie selbst ist wiederum Natur allein, die ganze ausgetüftelte Maschinerie moderner Industriegesellschaft bloß Natur, die sich zerfleischt«22. Eine wie immer auch klare begriffliche Unterscheidung zwischen Natur und Gesellschaft verliert ihre Überzeugungskraft angesichts dieser geschichtlich zu Tage getretenen Verschränkung zur Ununterscheidbarkeit, die ihr spezifisch dialektisches Moment23 darin besitzt, dass zum einen die menschliche Geschichte als Fortsetzung eines bloß natürlichen Fressen und Gefressen-Werdens erscheint (ND, 364 f.), während zum anderen zugleich die Unterdrückung der Natur selbst als Naturverhältnis auftritt (ND, 179): »Je hemmungsloser jedoch die Vernunft in jener Dialektik sich zum absoluten Gegensatz der Natur macht und an diese in sich selbst vergißt, desto mehr regrediert sie, verwilderte Selbsterhaltung, auf Natur; einzig als deren Reflexion wäre Vernunft Übernatur« (ND, 285).

      Gerade wegen der begrifflichen Unterscheidung zwischen Vernunft und Natur, so lässt sich Adornos Argumentation resümieren, herrscht in der Gesellschaft (noch) dasselbe Prinzip wie in der Natur: Zwang.24 Adorno bestimmt also auch die Natur konsequent negativ, nämlich als mythische Unausweichlichkeit von Untergang, Tod und Verwesung,25 und hält zugleich fest, dass ein Entkommen aus dem Naturzusammenhang überhaupt nur entstelltem Leben versprochen ist.26

      Eine Erläuterung dieser zunächst etwas eigentümlich erscheinenden Wendung verlangt nach einer konsequenten Berücksichtigung der negativen Dialektik von Gesellschaft und Natur, in deren Bann schließlich auch der »heile« Leib unausweichlich verbleibt und also noch nicht der Immanenz entkommen ist. Schon im Kulturindustrie-Kapitel der Dialektik der Aufklärung haben Horkheimer und Adorno diesen Zusammenhang aufgespießt: »Vergnügtsein heißt Einverstandensein.«27 Diese wie immer provokativ verkürzte Formel weist nicht nur dem heilen Leib die Potenz unbefangen-hedonistischen Genießens zu, sondern unterstellt ihm, sicher nicht zu Unrecht, ein grundsätzlich affirmatives Verhältnis zum jeweils Bestehenden. Einen unbeirrt kritischen Orientierungspunkt liefert hingegen der entstellte Leib, dessen Leiden, eben ganz unabhängig vom jeweils Bestehenden, permanent das unbedingte Beharren auf einer notwendigen Veränderung produziert: »Das leibhafte Moment meldet der Erkenntnis an, daß Leiden nicht sein, daß es anders werden solle. ›Weh spricht: vergeh.‹ Darum konvergiert das spezifisch Materialistische mit dem Kritischen, mit gesellschaftlich verändernder Praxis« (ND, 203).

      Adornos entschiedene Zurückweisung des »heilen« Leibs markiert eine unüberwindliche Grenze zum emphatisch emanzipatorischen Verständnis der Biopolitik bei Michael Hardt und Antonio Negri, denn diese fassen »Leben« tendenziell überhistorisch, wenn sie in der »Multitude« eine von sich aus egalitäre progressive Kraft bemühen, welche die Immanenz des »Empire« tendenziell bricht.28 Für Adorno ist hingegen der somatisch fundierte Impuls nach dem Muster des »Weh spricht: vergeh« und damit der Affekt konkreter Akteure entscheidend – und eben nicht eine Ontologisierung von Begriffen wie Empire und Multitude, denen sich die Qualität einer »autopoetische[n] Maschine« zubilligen ließe.29

      Die scharfe Differenz zwischen Adorno und Hardt/Negri lässt sich terminologisch markieren. Schließlich besitzt die von Hardt/Negri vorgelegte Diagnose einer als »Empire« bezeichneten neuen Souveränitäts-Logik im Zeichen immaterieller Arbeit30 ihre konstitutive Voraussetzung in der Diagnose, dass Natur und Kultur bzw. Gesellschaft einen Immanenzzusammenhang bilden.31 Wenn Adorno hingegen eben diese Immanenz explizit mit dem Prädikat »dialektisch« (ND, 145) belegt, dann hält er fest, dass die Verschränkung von Natur und Gesellschaft für die Reflexion allein so lange undurchdringlich bleibt, bis diese unversehens mit mimetischsomatischen Elementen konfrontiert wird und sich mit ihnen verbindet zu einem unmittelbaren Impuls zu Kritik, Veränderung und Befreiung.32

      Erst entstelltes Leben, der als leidende nichtidentische Leib, durchbricht den Bann der Identität, der für das Bewusstsein undurchdringlich sein muss, weil Identität gerade sein Funktionsprinzip ausmacht. Auf diesem eminent rationalitätskritischen Muster gründet Adornos negative Moralphilosophie, die eine rein diskursive Behandlung zurückweist und stattdessen unablässig um ein »Moment des Hinzutretenden am Sittlichen« (ND, 358) als notwendiger Bedingung überhaupt für Moral kreist.33 Eine rein rationale Begründung von Moral erscheint Adorno ausgeschlossen; vielmehr kommt Wahrheit moralischen Sätze wie »Leiden soll nicht sein« nur zu, wenn ihnen ein unmittelbarer Impuls zugrundeliegt: »Wahr sind die Sätze als Impuls, wenn gemeldet wird, irgendwo sei gefoltert worden. Sie dürfen sich nicht rationalisieren; als abstrakte Prinzipien gerieten sie sogleich in die schlechte Unendlichkeit ihrer Ableitung und Gültigkeit« (ND, 281).

      Adornos Moralphilosophie ist hier nicht weiter zu verfolgen; ihre Bedeutung für die behandelten Zusammenhänge lässt sich mit Ulrich Kohlmann auf den Punkt bringen: »Moral ließe sich ohne denkendes Subjekt nicht konkretisieren, aber ohne Physis wäre sie schlechthin nicht.«34 An diese Diagnose ist die Einsicht anzuschließen, dass Adornos Kritik am Identitätsprinzip mit der Privilegierung des Somatischen, des leidenden Leibs, zum entscheidenden Element in der historisch-dialektischen Immanenz von Gesellschaft und Natur, eine strukturell große Nähe zu herrschaftstheoretischen bzw. -kritischen Motiven im aktuellen Diskursraum der Biopolitik aufweist.

      Diesen Zusammenhang verdeutlicht schon eine knappe Vergegenwärtigung der Grundlagen dieses Projekts, die Michel Foucault 1978 / 79 in zwei Vorlesungen zur Geschichte der Gouvernementalität am Collège de France skizziert hat.35 In Foucaults historischer Analyse des Phänomens »Regierung« markiert die Entstehung der Politischen Ökonomie im aufkommenden Liberalismus des 18. und 19. Jahrhunderts eine entscheidende Schwelle:36 Das liberale Credo von der Gesellschaft als Naturzusammenhang leistet einen argumentativen Rekurs auf die von der merkantilistischen und kameralistischen Staatsräson gerade verworfene Natur, fasst diese jedoch nicht mehr wie ehedem theologisch geprägt als Material eines Schöpfungsplans auf. Im neuen Verständnis, das sich gemeinsam mit der Durchsetzung des Liberalismus etabliert hat (und bis heute nachwirkt), entspricht der bemühte Naturzustand vielmehr einer vermeintlichen Naturalität der Gesellschaft, die etwa in den СКАЧАТЬ