Название: Mit Feuer und Schwert
Автор: Hans-Joachim Löwer
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783990404225
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Die Armenier, die sich auf dem Bergrücken verschanzt hatten, sahen die Soldaten immer näher an ihre letzte Bastion heranrücken. In ihrer Verzweiflung hissten sie zwei Fahnen, die bis auf das Mittelmeer hinaus sichtbar waren. Die eine trug ein rotes Kreuz auf weißem Grund, die andere eine Aufschrift in englischer Sprache: „Christians in distress: Rescue!“ („Christen in Not: Rettet uns!“) Um den Blick darauf zu lenken, entzündeten sie abends ein Feuer. Nach ein paar Tagen entdeckten Matrosen eines französischen Kriegsschiffes, das vor der Küste kreuzte, die Fahne mit dem Schriftzug. Drei weitere Schiffe ihres Flottenverbands wurden hinzugerufen, die Franzosen nahmen die Türken unter Beschuss, so wurden alle Armenier gerettet, die noch am Leben waren. Die vier Schiffe brachten sie nach Ägypten. 53 Tage hatte ihr Widerstand gedauert, der österreichische Schriftsteller Franz Werfel schrieb darüber den epochalen, dramaturgisch etwas gewandelten Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“.
Alte Männer beim Brettspiel in Vakıflı. Die Vergangenheit des Dorfes am Musa Dagh möchten sie lieber ruhen lassen.
Nach Kriegsende 1918 durften die Überlebenden in ihre Dörfer zurückkehren. Die Kolonialmacht Frankreich hatte diesen Teil des zerschlagenen Osmanischen Reichs unter ihre Verwaltung genommen. 1939 aber wurde die Region Hatay wieder der Türkei angeschlossen. Fast alle Armenier flüchteten in den Libanon, so leerten sich sechs von sieben christlichen Dörfern, die es damals rund um den Musa Dagh gab. Die 130 Bewohner, die heute noch in Vakıflı leben, sind so etwas wie die Letzten ihrer Art.
Unterhalb der Kirche steht eine von drei Pensionen, die die Dorfbewohner für Touristen eingerichtet haben. Im Hof verkaufen Frauen Produkte aus ökologischer Landwirtschaft: Granatapfelsirup sowie Marmeladen aus Rosen- und Orangenblüten, Grapefruit und Kirschen, Feigen, Walnüsse und Papayas. Ich streife an einem Zaun entlang, der behängt ist mit nostalgischen Fotos aus einer versunkenen Zeit. Ganz hinten hängt unter Baumzweigen tatsächlich eine kurze Chronik, die von der Rettung der Armenier berichtet. Es ist der einzige schriftliche Hinweis auf dieses Drama, den ich im Dorf gefunden habe. Kein Satz aber über den Genozid, den Hintergrund dieses Ereignisses. Jede türkische Regierung hat ihn bislang bestritten, und wer es dennoch in diesem Land behauptet, riskiert bis zu zwei Jahre Gefängnis wegen „Herabsetzung der türkischen Nation“.
Ich treffe Kuhar Kartun, die Frauenbeauftragte der Kooperative von Vakıflı. Sie ist Jahrgang 1962 und lebt seit gut 25 Jahren im Ort. Ihr Großvater gehörte zu den Helden des Musa Dagh, so sieht sie es eigentlich als Aufgabe an, Besuchern von der Geschichte des Dorfes zu erzählen. Doch auch sie tut es eher zögerlich und stockend, als wir uns dem Thema „Völkermord“ nähern. „Wir wollen in Frieden leben“, sagt sie. „Wir kämpfen hart genug darum, dass unsere Kinder hier überhaupt eine Zukunft haben. Wir werden ja nur deshalb gut behandelt, weil wir so wenige sind.“ Das Geschäft mit der Ökonische funktioniere eher schlecht als recht. Die meisten jungen Leute seien daher schon nach Istanbul gegangen.
Ich fange an, ihr ein paar Ideen vorzuspinnen. Man könne das Drama am Musa Dagh touristisch richtig groß einschenken, mit Dokumentarfilmen und einer Ausstellungshalle und historischen Wanderpfaden am Berg. Aber je länger ich davon fabuliere, umso entgeisterter schaut die Frau mich an. „Wir wären wohl damit überfordert“, sagt sie schließlich, „diese ganze Geschichte hier aufarbeiten zu wollen.“ Sie weiß natürlich, dass der Teufel los wäre, wenn die Leute von Vakıflı so etwas ernsthaft versuchen wollten.
Manchmal stellen türkische Touristen Fragen, bei denen es ihr schwer fällt, nicht die Beherrschung zu verlieren. „Wie kommt es denn, dass es euch noch gibt?“, hat sie mehr als einmal gehört. „Fühlt ihr euch hier eigentlich wohl?“ – „Wir waren schon lange hier, bevor die ersten Türken kamen“, pflegt sie dann trotzig-tapfer zu entgegnen. Und erschrickt doch immer ein wenig vor ihren eigenen Worten. „Zehn Jahre früher“, meint sie, „hätte ich so etwas noch nicht zu sagen gewagt.“ Sie spürt, kein Ort kann seiner Geschichte entrinnen. So wandern die Menschen von Vakıflı, wenn Besucher danach forschen, geistig auf einem schmalen Grat. „Wir wollen uns nicht zur Schau stellen“, sagt Kartun. „Wir wollen nicht ständig um Mitleid betteln. Wir wollen nur unseren Glauben leben.“
Kaum hat sie das gesagt, hören wir aus der Ferne einen dumpfen, grollenden Knall. Ich schaue die Frau fragend an. Am Himmel wölben sich dunkle Wolken, ob das wohl ein Gewitter ist? „Nein, das war kein Donner“, erwidert sie. „Wir kennen das Geräusch schon ziemlich gut. Es war mit Sicherheit eine Bombe.“ Syrien liegt, blickt man gen Südosten, gleich hinter den Bergen. Kuhar Kartun schaut nicht lange dorthin. Sie kehrt schnell zurück in ihre kleine, Gott sei Dank noch geordnete Welt. Das Leben im Dorf ist schwer genug. Aber wenigstens haben sie hier Frieden.
Ich packe meine Sachen und strebe dem nächsten dolmuş zu. Zwei Tage lang habe ich in die Vergangenheit geblickt. Aber, so schießt es mir plötzlich durch den Kopf, vielleicht war das auch ein Blick in die Zukunft? Habe ich hier ein Modell dafür gesehen, wie die Christen im Orient überleben werden? Wird es, wenn wieder hundert Jahre vergangen sind, 20, 50 oder 100 Vakıflıs geben? Ein Szenario, das mir am Anfang meiner Reise schwer vorstellbar erschien. In den drei Monaten, die vor mir liegen, wird sich das ein wenig ändern.
KAPITEL 2 · WADI NATRUN – ÄGYPTEN
„Man kann es aus den Gesichtern lesen“
Wie koptische Mönche mit ihren muslimischen Nachbarn leben
Je weiter weg von der Welt, desto so näher bei Gott. Dieser Glaube hat vor 1.700 Jahren junge Christen scharenweise in die ägyptischen Wüsten getrieben. Allein im Wadi Natrun sind es mindestens 5.000 gewesen, die seit dem 4. Jahrhundert als Eremiten leben wollten. Sie zogen sich in eine Gegenwelt aus Höhlen und Zellen zurück. Obwohl sie rein gar nichts besitzen durften, hatten sie offensichtlich eine große Anziehungskraft auf benachbarte Stämme. In den Klöstern, die da aus dem Boden schossen, gab es Wasser und Brot, kostbare Güter in der Wüste. Es gab wärmende Kutten, die Nomaden sich gern überstreiften, wenn die Nächte besonders kalt wurden. Es gab Brennholz und Essensvorräte, gestapelt in Kellerräumen. Es gab kunstvolle Ikonen, die sich als Raubgut an reisende Händler verkaufen ließen. Ein Kloster war eine lohnende Beute für Berber und Beduinen, die als Nomaden durch die nördliche Sahara zogen.
Den ersten Überfall im Wadi Natrun gab es im Jahr 407, ein halbes Dutzend ist schriftlich dokumentiert. Die wehrlosen Mönche wurden ihrer Kleider beraubt, niedergemacht oder auf Kamelen verschleppt und danach als Sklaven gehalten. Erst im 9. Jahrhundert begannen die Gottesdiener, ihre Klöster mit schützenden Mauern zu umgeben. Jeder Konvent hatte von nun an einen Fluchtturm mit einer Zugbrücke. In ihn zogen sich die Mönche zurück, wenn feindliche Horden heranrückten. Dort hatten sie so viele Nahrungsmittel gehortet, dass sie wochenlang ausharren konnten – so retteten sie wenigstens ihr Leben.
Heute stehen vier Klöster im Wadi Natrun, eineinhalb Autostunden westlich der ägyptischen Hauptstadt Kairo. Die Türme ihrer Kirchen ragen wie mächtige Pfeiler in die Landschaft. Die Mönche haben die Wüste rundum in fruchtbares Land verwandelt, mit Feigen- und Olivenbäumen, Obst- und Gemüsegärten, Schaf- und Hühnerfarmen, Kuh- und Büffelherden. Freitags und samstags streben Tausende von Kairoern, Christen wie Muslime, diesen Bastionen zu. Viele Besucher kommen aus keinem anderen Grund, als einen Gesprächspartner zu finden, bei dem sie ihre Sorgen ausschütten können. Die Nachbarn aber, die nahe den Klöstern siedeln, sind СКАЧАТЬ