Jan und Jutta. Liselotte Welskopf-Henrich
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Название: Jan und Jutta

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich

Издательство: Автор

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783957840141

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      Jan benutzte schon die Tagesstunden für seine Vorbereitungen. Am Tage fiel ein Geräusch nicht so sehr auf. Er wickelte den Lappen um den Hammer und entfernte den Putz an der Stelle, an der er schon abbröckelte, noch weiter. Es gab trotz aller Vorsicht viel Staub und Dreck.

      Jan wischte ihn von dem Linoleumboden auf und versteckte ihn in seinem Bett.

      Es ging alles gut. Niemand wurde aufmerksam. Als August unter Aufsicht des Wachtmeisters das Abendessen brachte, sah die Zelle wie immer aus. Dem Wachtmeister fiel es nicht auf, daß die schlechte Stelle an der Wand sich vergrößert hatte.

      Sobald das Abendessen vorüber war, kam für Jan der schwierigere Teil der Arbeit. Er mußte jetzt den ersten Stein aus der Wand nehmen. Sechs Uhr abends war vorbei. Um acht Uhr wurde das Licht gelöscht. Bis dahin wollte Jan wenigstens den ersten Stein geschafft haben, denn im Dunkeln konnte er schlecht arbeiten.

      Es war siebeneinhalb Uhr, als Jan auf der Treppe das leise Knacken vernahm, wie es von Schritten verursacht wird. Irgend jemand kam die Treppe herauf, wahrscheinlich ein »Maschoris«. Jan hörte sofort mit seiner Arbeit auf und begann Freiübungen zu machen.

      Der Spion bewegte sich.

      »Was machen Sie denn hier?« rief die Stimme des Wachtmeisters. »Was soll das Loch in der Wand?«

      Jan begriff, daß alles verloren war.

      »Was ich hier mache?« rief er zurück. »Ich will ausbrechen!«

      Draußen ertönte ein Fluch. Dann entfernten sich die Schritte des Wachtmeisters, aber bald kam er mit zwei Kalfaktoren wieder zurück. Auch August war dabei.

      Die drei betraten die Zelle.

      Schade, schade, sagten Augusts halbverdeckte Augen und seine herabgezogenen Mundwinkel.

      Jan wurde in eine Arrestzelle gebracht. In einem Gitterkäfig, wie er ihn von Celle her schon gewohnt war, verbrachte er die Nacht.

      Am folgenden Tage wurde Jan vorgeführt und das Protokoll wurde aufgenommen.

      Der Fall erregte großes Aufsehen.

      »Waren Sie sich denn nicht klar darüber, daß Sie durch diese Wand nur auf den Korridor gelangen? Darüber mußten Sie sich doch klar sein!« sagte der protokollierende Beamte ein über das andere Mal zu dem Gefangenen. »Wie wollten Sie denn von dem Korridor aus dem Hause hinausgelangen?«

      »Darüber hatte ich mir keine Gedanken gemacht. Das sollte sich eben so ergeben.«

      »Sie können doch nicht verlangen, daß wir Ihnen das glauben?« Der Beamte schaute über die Brillengläser. »Wir nehmen an, daß Sie den Wachtmeister ermorden und mit seinen Schlüsseln das Tor öffnen wollten.«

      Der Beamte betrachtete den Gefangenen bei diesen Worten mit der Miene der strafenden Gerechtigkeit, in die sich Furcht und Neugier mischten.

      »Nein, das wollte ich nicht«, erwiderte Jan, scheinbar gleichgültig.

      »Kann jeder hinterher sagen, das wollte ich nicht! Es bestand doch gar keine andere Möglichkeit.«

      »Wieso denn? Man kann doch nicht im vorweg sagen, was möglich ist. Da war die schadhafte Stelle an der Wand, die hat mich so am lieben langen Tag auf die Gedanken gebracht.«

      »Und von wem hatten Sie das Werkzeug?«

      »Das hab’ ich mir schon von Celle mitgebracht. Da hat so etwas immer herumgelegen.«

      Der Beamte konnte nicht umhin zu schmunzeln. In Celle, der angeblichen Musteranstalt des Herrn Marloh, schien ja allerhand los zu sein und vielerlei zu bestehen mit Ausnahme von Ordnung.

      Der protokollierende Beamte zeigte sich Jan gegenüber jetzt etwas freundlicher.

      »Wir könnten die Sache von gestern gleich auf Ihrem Termin morgen mit verhandeln. Sind Sie damit einverstanden?«

      »Jawohl, damit bin ich einverstanden.«

      Der Tag und die Nacht vergingen.

      Als ein gefährlicher Ausbrecher gefesselt und scharf bewacht, wurde Jan am folgenden Morgen aus seiner Zelle und über den Hof zum Gerichtssaal geführt.

      Jans Blick streifte rasch die Gefängnismauern, die den Hof umgaben, und er erinnerte sich, wie er ein und ein halbes Jahr vorher, im Frühjahr 1935, einen Tag um den anderen über diesen Hof zum Gerichtssaal geführt worden war. Er und seine vielen guten Genossen, die die illegale Arbeit in der kleinen Heimatstadt gewagt hatten, wurden damals über diesen Hof zur Verhandlung geführt … und jetzt wie damals tat sich die Tür zum Gerichtssaal auf und Jan wurde auf die Anklagebank gebracht. Zwei Wachtmeister postierten sich neben ihm. Auf der Bank saßen schon Christoph und Franz, Jan setzte sich neben sie. Die Freunde wechselten kein Wort. Es war nicht der Ort dafür, und es gab auch nichts Wichtiges zu sagen.

      Die Gerichtszeremonien verlangten ihre Zeit. Während der Richter in seiner Robe den erhöhten Platz einnahm, der Staatsanwalt seine Papiere zurechtlegte und die beiden Zeugen sich einfanden, blieb Jan und seinen Freunden die Muße, an das zurückzudenken, was sich vor eineinhalb Jahren hier abgespielt hatte. Das war die alte getünchte Wand, die dem Saal ein nüchternes und gleichgültiges Aussehen gab, die alte gedrechselte Barriere, die Richter und Angeklagte von den Zuhörern abschloß. Auf den Plätzen für das Publikum saß auch heute eine Anzahl Neugieriger. Vor eineinhalb Jahren waren diese Bänke alle voll besetzt gewesen, und auch August hatte unter den Zuhörern gesessen.

      Jan glaubte noch einmal die schneidige Stimme des Herrn Staatsanwaltes Dr. Frischbier zu hören. Er erinnerte sich kaum an sein Gesicht, denn dieses Gesicht hatte nichts Besonderes an sich gehabt. Es war das Gesicht eines Korpsstudenten gewesen, der jetzt für den »Führer« seine Pflicht tat, ein Gesicht, in dessen Mienenspiel sich wenig eigene Gefühle, wenig eigene geistige Arbeit ausdrückten, das Gesicht eines qualifizierten Spießers. Das Gesicht und die schneidige Stimme paßten in den getünchten Saal. Alles wirkte wie Tünche, die man aufstreichen und abkratzen, oder wie eine Maske, die man aufsetzen und wieder absetzen konnte, je nach den Erfordernissen der Zeit und der Karriere. Herr Staatsanwalt Dr. Frischbier hatte auch keine eigenen Worte gesprochen. Er hatte nur die Worte gesagt, die ihm sein »Führer« und der »Völkische Beobachter« lieferten, Worte, wie Jan und seine Genossen sie in allen Modulationen seit Jahr und Tag von ihren Feinden zu hören gewohnt waren und wie sie immer wieder gesprochen werden mußten, solange es Menschen gab, die ihre Brüder von den Gütern der Erde ausschließen wollten.

      »Das Ziel der KPD ist der bewaffnete Aufstand! Die Kommunisten haben sich illegal organisiert, Möller war schon 1933 in Schutzhaft. Er wurde entlassen. Diese Gnade hat er damit beantwortet, daß er in seinem Heimatorte die KPD wieder aufgebaut hat! Er ist ein eingefleischter Kommunist! Die härtesten Strafen müssen angewandt werden! Das Gericht hat nicht nur die Aufgabe zu sühnen, es hat die Aufgabe, solche Elemente auszumerzen! Möller und sein Kurier Roth sind die Hauptangeklagten. In ihren Händen lief alles zusammen. Ich beantrage …«

      Jan wurde aus seinen Erinnerungen herausgerissen. Der Richter in der schwarzen Robe begann mit der Vernehmung der Zeugen und der Angeklagten. Als Zeugen waren der Wachtmeister Vürmann und jener Polizeimeister geladen, bei dem die Gefangenen wieder eingeliefert worden waren. Die Gefangenen sagten wiederum aus, daß sie durch ihre Flucht gegen die schlechte Behandlung der Gefangenen protestieren wollten und daß Vürmann Gefangene geprügelt habe.

      Vürmann СКАЧАТЬ