Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 30/31. Группа авторов
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СКАЧАТЬ nämlich auf Bewohner, die zwar unter klimatischen Bedingungen leben, die denen der anderen Inseln im Südpazifik vergleichbar sind, deren Bewohner aber dennoch in so gut wie jeder Hinsicht anders erscheinen. Dies bringt Forster zu der Auffassung, es müsse sich hier um zwei verschiedene »Stämme« handeln. Dabei nimmt er die im ausgehenden 18. Jahrhundert viel debattierte These der Polygenese auf, das heißt die These, dass die Menschengattung mehrmals an unterschiedlichen Orten entstanden sei. Auch Voltaire hatte diese Auffassung vertreten, deren Brisanz vor allem daraus resultierte, dass sie die Schöpfungstheologie radikal in Frage stellte.32 In dieser Linie behauptet Forster schließlich auch in Noch etwas über die Menschenracen (1786), jenem Text, in dem er gegen Kants monogenetische Auffassung argumentiert, es gebe zwei »Stämme«, nämlich den des »Negers« und den des »Weissen«. Unter Bezug auf die anatomischen Studien von Samuel Thomas Sömmering behauptet Forster, dass »der Neger sichtbarlich so wohl in Rücksicht äusserer als innerer Gestaltung weit mehr übereinstimmendes mit dem Affengeschlechte habe, als der Weisse«33. Gleichwohl, so führt er weiter aus, stehen beide »ganz nahe nebeneinander«34, da schließlich auch Schwarze zum Menschengeschlecht gehörten und dieses grundsätzlich von den Affen verschieden sei.

      Sowohl Forster als auch Kant schlagen also Einteilungen vor, die auf Kants Problem reagieren, eine Erklärung für die »Mannigfaltigkeiten der Rassen auf der Erdfläche«35 zu finden. Sie konstituieren eine Ordnung, durch die diese Mannigfaltigkeit von einem europäischen Standpunkt aus intelligibel wird. Dabei gilt, was Marie Louise Pratt mit Blick auf die wissenschaftliche Aneignung von Pflanzen und Tieren festgestellt hat, auch für den forschenden Blick auf Menschen: »One by one«, so Pratt, »the planet’s life forms were to be drawn out of the tangled threads of their surroundings and rewoven into European-based patterns of global unity and order«36. Kants Theorie der Menschenrassen hat sich dabei in Hinblick auf die Konstitution eines solchen eurozentrischen Ordnungsmusters als folgenreicher erwiesen als die von Forster. Kant hat nämlich mit dem Begriff der Rasse, der im Kontext eines genealogischen Denkens in Abstammungs- und Vererbungsrelationen auftaucht, nicht nur einen neuen Ordnungsbegriff hervorgebracht. Kant, so hat es Robert Bernasconi einmal formuliert, »contributed more than just the term race‹. He set a direction for future inquiries«37. Schließlich wird der Rassenbegriff bei Kant zum Ausgangspunkt einer Rekonzeptualisierung von Naturwissen und erscheint unauflöslich mit dieser verbunden.

      Eine neue Form von Naturwissen

      Grundlegender als die unterschiedlichen Positionen zur Mono- bzw. Polygenese waren denn auch methodische und erkenntnistheoretische Fragen, die Kant und Forster entzweiten. Gegen Kant, der von Reiseberichten behauptet hatte, sie hätten »bisher mehr dazu beigetragen, den Verstand […] zur Nachforschung zu reizen, als ihn zu befriedigen«38, rehabilitiert Forster das durch Beobachtungen und Erfahrungen gewonnene Wissen. Er zeigt nicht nur auf, wo Kant Reiseberichte falsch gelesen hat, sondern wendet sich insbesondere gegen dessen Anliegen, Begriffe, die die Beobachtung leiten sollen – wie zum Beispiel den der Rasse – vorab zu klären. »Wie vieles Unheil«, klagt Forster, »ist nicht von jeher in der Welt entstanden, weil man von Definitionen ausgieng, worein man kein Mißtrauen setzte, folglich manches unwillkührlich in einem vorhinein bestimmten Lichte sah, und sich und andere täuschte«39. Insgesamt aber verfehlt Forster mit seiner Kritik Kants naturphilosophischen Einsatz, der in der Unterscheidung von Naturbeschreibung und Naturgeschichte liegt. Forster zufolge sollte diese Differenz »als Theil eines Ganzen behandelt werden«40. Andererseits hält er, fast im gleichen Atemzug, eine Naturgeschichte in Kants Sinne überhaupt für unmöglich –»eine Wissenschaft für Götter und nicht für Menschen«41. Worum geht es?

      Kant hatte bereits in Von den verschiedenen Rassen der Menschen zwischen Naturbeschreibung und Naturgeschichte unterschieden. Letztere, die, wie es heißt, »fast noch gänzlich fehlt«, würde »die Veränderung der Erdgestalt, ingleichen die der Erdgeschöpfe (Pflanzen und Tiere), die sie durch natürliche Wanderung erlitten haben, und ihre daraus entsprungenen Abartungen von dem Urbilde der Stammgattung lehren. Sie würde vermutlich eine große Menge scheinbar verschiedener Arten zu Rassen ebenderselben Gattung zurückführen und das jetzt so weitläufige Schulsystem der Naturbeschreibung in ein physisches System für den Verstand verwandeln«42. Deutlich lehnt Kant sich hier an Buffons Kritik der artifiziellen, »schulmäßigen« Klassifikationen à la Linné an und favorisiert wie Buffon ein »physisches System«. Über Buffon hinaus führt er jedoch eine entwicklungslogische Perspektive ein. Die synchrone Naturbeschreibung, die, so Kant, den »Zustand der Natur in der jetzigen Zeit« zum Gegenstand hat, sei nämlich »lange nicht hinreichend, von der Mannigfaltigkeit der Abartungen Grund anzugeben«43. Sie kann, mit anderen Worten, keine Genealogien aufzeigen. Der Begriff der Rasse wird dabei als exemplarischer Begriff der Naturgeschichte eingeführt und zwar als Alternative zur Unterscheidung von Gattungen und Arten. »In der Naturbeschreibung«, so Kant, »da es bloß auf Vergleichung der Merkmale ankommt, findet dieser Unterschied allein statt. Was hier Art heißt, muss dort [in der Naturgeschichte] öfter nur Rasse genannt werden«44. »Rasse« ist also ein Begriff, der für Kant überhaupt nur im Kontext einer Naturgeschichte funktioniert, das heißt er funktioniert nur im Rahmen eines naturtheoretischen Denkens, das Entwicklungszusammenhänge – Fortpflanzung, Abstammung, Vererbung – in den Blick nimmt. Gegen Forsters Einwand, eine solche Naturgeschichte verliere sich in einer spekulativen Ursprungssuche und sei also unmöglich, betont Kant, dass es dabei nicht um die Suche nach ersten Ursprüngen gehe. Vielmehr ziele Naturgeschichte darauf, »den Zusammenhang gewisser jetziger Beschaffenheiten der Naturdinge mit ihren Ursachen in der älteren Zeit nach Wirkungsgesetzen, die wir nicht erdichten«, abzuleiten, also, »aus den Kräften der Natur, wie sie sich uns jetzt darbietet«45. Obwohl, wie Kant schreibt, eine Naturgeschichte in seinem Sinne nur erst im »Schattenrisse«46 existiert, zeichnen sich bei ihm deutlich die Konturen dieser neuen Form von Naturwissen ab.

      Von zentraler Bedeutung ist dabei der Begriff des organisierten Wesens. Erneut betont Kant, wo er diesen Begriff in »Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien« einführt, dass im Zentrum seiner Überlegungen die Rekonstruktion von Fortpflanzungs- und Abstammungsprozessen steht. »Ich meinerseits«, schreibt er, »leite alle Organisation von organischen Wesen (durch Zeugung) ab, und spätere Formen (dieser Art Naturdinge) nach Gesetzen der allmählichen Entwicklung von ursprünglichen Anlagen […], die in der Organisation ihres Stammes anzutreffen waren«47. Kant führt an dieser Stelle das Konzept des Bildungstriebs von Johann Friedrich Blumenbach an, der damit organische Wesen im Unterschied zu nicht-organischen charakterisiert hatte. Blumenbach, mit dem Kant in den 1790er Jahren eine ausführliche Korrespondenz unterhielt, hatte in seiner Schrift Über den Bildungstrieb (1780; 1781), dargelegt, »dass in allen Geschöpfen vom Menschen bis zur Made und von der Ceder zum Schimmel herab, ein besonderer, eingeborner, lebenslang thätiger würksamer Trieb liegt, ihre bestimmte Gestalt anfangs anzunehmen, dann zu erhalten, und wenn sie ja zerstört werden, wo möglich wieder herzustellen«48. Dieser Trieb scheine »eine der ersten Ursachen aller Generation, Nutrition und Reproduction«49 zu sein. Damit hatte Blumenbach ein Prinzip formuliert, das es erlaubte, »die Systemebene der Organisation des Individuums mit der Ordnung der belebten Natur«50 zu verbinden. Dies erleichterte »die Übertragung der analytischen Methoden der Physiologie auf die bisher meist bloß deskriptive und klassifizierende Naturgeschichte – eine Übertragung, die eine Voraussetzung einer einheitlichen Wissenschaft vom Leben, einer Biologie, war«51. Blumenbachs Konzept des Bildungstriebs hat damit wesentlich zur Konstitution einer Wissenschaft vom Leben beigetragen.

      Kant knüpft an dieses Konzept an. Bei ihm ist allerdings nicht vom Bildungstrieb die Rede, sondern von einer »Grundkraft, durch die eine Organisation gewirkt würde«52. Diese Grundkraft gilt es erkenntnistheoretisch zu bestimmen. Kant geht davon aus, dass »organisierte Wesen« Entitäten sind, in denen alles »auf einander Zweck und Mittel ist«53. Er denkt die »Grundkraft«, die in diesen Wesen wirkt, entsprechend »als eine nach Zwecken wirkende Ursache«54. Wichtig ist dabei, was Kant dann kurze Zeit später im zweiten Teil der Kritik der Urteilskraft ausführt, nämlich dass es sich bei der Annahme von Zwecken im Bereich der organischen Natur um die Behauptung einer Denknotwendigkeit handelt. Kant behauptet nicht, dass »organisierte Wesen«, also Lebewesen, Systeme von Zweck-Mittel-Relationen sind, sondern dass sie СКАЧАТЬ