Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 30/31. Группа авторов
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СКАЧАТЬ im Gegensatz zu mechanischen – Grundannahmen ausgehen. Der Gegensatz von Mechanik und Teleologie, der im Zentrum von Kants Naturphilosophie steht, ist also kein faktischer, sondern ein rein erkenntnistheoretischer.55 So geht Kant schließlich davon aus, dass man im Bereich der Natur überhaupt nur im übertragenen Sinn von nach Zwecken wirkenden Ursachen sprechen kann. »Wir kennen dergleichen Kräfte«, schreibt Kant, »durch Erfahrung nur in uns selbst, nämlich an unserem Verstande und Willen, als einer Ursache der Möglichkeit gewisser ganz nach Zwecken eingerichteter Produkte, nämlich der Kunstwerke«56. Es handelt sich bei der Rede von der Zweckmäßigkeit in Bezug auf die organische Natur also um einen Vergleich. Die ästhetische Urteilskraft, die auf Artefakte gerichtet ist und die im Zentrum des ersten Teils der Kritik der Urteilkraft steht, stellt somit das Vorbild für Kants Konzept der teleologischen Urteilskraft dar. Gleichwohl ist dieser Vergleich wie jede Analogie auch durch ihre Grenze bestimmt. Kant behauptet nämlich gerade keine strikte Analogie zwischen Artefakten und Natur. Die »organisierte Natur« kann, wie er ausführt, nicht nach dem »Analogon der Kunst« gedacht werden – »denn da denkt man sich den Künstler (ein vernünftiges Wesen) außer ihr«57. Die Naturdinge, um die es Kant geht, sind aber nicht gemacht, also von einem Produzenten hervorgebracht, sondern sie produzieren und reproduzieren sich selbst. Ein Ding als Naturzweck ist, wie es heißt, »von sich selbst« Ursache und Wirkung,58 das heißt es ist, wie Kant am Beispiel eines Baumes ausführt, durch Prozesse der Fortpflanzung, des Wachstums und der Regeneration oder Selbsterhaltung bestimmt. Kant arbeitet hier an der Konstitution eines neuen Gegenstandsbereichs von Naturwissen. Deutlich zeichnet sich dabei ab, was er eine »ganz andere Ordnung der Dinge als die eines bloßen Mechanism der Natur«59 nennt.

      Auch wenn Kant auf diese Weise an der Formierung einer Wissenschaft vom Leben teilhat – er hat stets bezweifelt, dass das Wissen über die organische Natur die Form einer Wissenschaft annehmen könnte. Der Gegenstand der Naturwissenschaft beschränkt sich für Kant auf eine Körperlehre, die auf den Gesetzen der Mechanik basiert.60 Materie ist bei ihm grundsätzlich unbelebte Materie. Deutlich sind hier also dem, was kurze Zeit später den Namen Biologie erhalten wird, Grenzen gesetzt. Festzuhalten aber bleibt, dass die naturphilosophischen Überlegungen Kants in der Abkehr von der klassifizierenden Naturbeschreibung einer entwicklungslogischen Perspektive Raum schaffen, die mit Konzepten der Fortpflanzung, der Vererbung und der Abstammung operiert. Diese Perspektive nimmt ihren Ausgang von dem Versuch, mit dem Begriff der Rasse ein Ordnungsschema für die Diversität globaler Bevölkerungen zu etablieren. Auch wenn der Begriff der Rasse und die Prozesse kolonialer Globalisierung, die ihn am Ende des 18. Jahrhunderts auftauchen lassen, in den abstrakten naturphilosophischen Überlegungen der Kritik der Urteilskraft nicht mehr präsent sind, spielen sie dort dennoch eine Rolle. Sie gehören nicht nur zum historischen Apriori der Kant’schen Naturphilosophie, sondern sind auch immanent von konstitutiver Bedeutung.

      Philosophiegeschichte als globale Verflechtungsgeschichte

      Indem ich Kants Rekonzeptualisierung von Naturwissen im Ausgang von seiner Bestimmung des Rassenbegriffs rekonstruiert habe, habe ich versucht, deutlich zu machen, dass Kants naturphilosophische Überlegungen im Horizont der um 1800 entstehenden Form von Globalität situiert sind. Dabei ging es mir nicht zuletzt darum, an einem Beispiel aufzuzeigen, inwiefern sich philosophische Konzepte und Entwürfe als Elemente einer globalen Verflechtungsgeschichte lesen lassen.

      Der Ansatz der Verflechtungs- bzw. der Globalgeschichte, der seit einigen Jahren in den Geschichtswissenschaften diskutiert und entwickelt wird, zeichnet sich durch das Unternehmen aus, die Geschichte der Moderne in einer nicht-eurozentrischen Perspektive zu schreiben. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit sind dabei vor allem Prozesse der Verflechtung, also des entanglement, zwischen der europäischen und der außereuropäischen Welt gerückt. Dabei ist, wie Shalini Randeria und Sebastian Conrad betonen, jedoch nicht davon auszugehen, dass im Zuge der modernen Globalisierung »alles und jeder im gleichem Maße, auf die gleiche Weise und zu jeder Zeit miteinander verbunden und entangled war«61. Vielmehr ermöglicht eine globalgeschichtliche Perspektive, wie sie schreiben, »den Blick auf die ungleiche Textur und Beschaffenheit der modernen Welt, die auch als Effekt differentieller Auswirkungen der kolonialen Begegnung auf unterschiedliche Bereiche des sozialen Lebens gelesen werden kann«62. Diese Offenheit für die verschiedenen Ebenen und Formen der Verflechtung macht es möglich, dass auch Philosophiegeschichte wichtige Impulse aus dieser Erweiterung und Dezentrierung der historischen Perspektive gewinnen kann. Auch die spezifischen Abstraktionen des philosophischen Diskurses können und müssen schließlich in den Blick genommen werden, wenn es darum geht zu analysieren, inwiefern »die kulturellen und sozialen Zusammenhänge der kolonialen Epoche […] in den Produkten der europäischen Wissensordnung ihre Spuren hinterlassen«63 haben.

      Noch stets aber herrscht in der Philosophie eine eurozentrische Verengung vor. Insbesondere in der Philosophiegeschichte scheint sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Ausklammerung außereuropäischen Wissens vollzogen zu haben. »Die Idee, Philosophie habe in Griechenland begonnen« und sei ein europäisches Phänomen, kam, so Bernasconi, erst am Ende des 18. Jahrhunderts, in der damals einsetzenden Philosophiegeschichtsschreibung »zu ihrem vollständigen Durchbruch«64. Sie wurde im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts zum konstituierenden Mythos des Faches und ähnelt darin den Ausschluss- und Segregationsprozessen in anderen Sozial- und Kulturwissenschaften, wie zum Beispiel der Geschichtswissenschaften, die auf einen methodischen Nationalismus festgelegt wurden.65 Dieser Prozess, so ist zu ergänzen, ging Hand in Hand mit der Disziplinwerdung von Philosophie, für die im Laufe des 19. Jahrhunderts die Abgrenzung von den Naturwissenschaften sowie von den sich formierenden Sozialwissenschaften immer bedeutsamer wurde. Die Einführung einer postkolonialen, globalgeschichtlichen Perspektive auf die Geschichte der Philosophie hängt daher aufs Engste mit der Infragestellung ihrer disziplinären Grenzziehungen zusammen.

      Wie sich am Beispiel der Lektüre von Kants Theorie der Menschenrassen zeigt, lässt sich ein Zugang zu den globalgeschichtlichen Dimensionen nämlich erst gewinnen, wenn philosophische Konzepte historisch situiert und zugleich im Kontext einer Wissensgeschichte im umfassenden Sinne gelesen werden. Erst in der Wiedereinsetzung der Texte in die inter-diskursiven Bezüge, in denen sie entstanden, werden die jeweiligen Konturen der philosophischen Interventionen sichtbar. Die Einbeziehung von Wissenschaftsgeschichte in die Philosophiegeschichte erweist sich dabei als unabdingbar, um dem Textmaterial gerecht zu werden, das sich den disziplinären Zuordnungen des 19. und 20. Jahrhunderts entzieht. Schließlich geht es, um beim Beispiel zu bleiben, nicht darum, Kants Ausführungen zu den Menschenrassen zu skandalisieren – wofür seine Stilisierung der weißen Rasse, seine Bemerkungen über den schlechten Geruch der schwarzen Haut oder die Klassifizierung der Bewohner Nord- und Südamerikas als »unfähig zu aller Kultur«66 manchen Anlass geben mögen. All dies ist Teil des kolonialen Imaginären Europas, an dem auch Kant teilhat. Der Einsatz einer postkolonialen, globalgeschichtlichen Perspektive in der Philosophie liegt demgegenüber jedoch darin, die Texte als Eingriffe bzw. als theoretische Praxen zu begreifen, die Sicht- und Denkweisen auf spezifische Art und Weise hervorbringen. Um also die Reich- und Tragweite von konkreten philosophischen Einlassungen zur Globalität und kolonialen Machtverhältnissen zu bestimmen, muss einerseits gezeigt werden, wie und wodurch diese Texte aktiv an der Formierung und Transformierung einer epistemischen Ordnung und eines kulturellen Horizonts mitwirken. Andererseits muss gezeigt werden, inwiefern diese Einlassungen mit den abstrakteren Passagen und Texten der jeweiligen Autoren systematisch zusammenhängen und sich auch dort Spuren der Verflechtung finden.67

      Dabei handelt es sich nicht um ein immanente, hermeneutisch ausgerichtete Lektüre, die einen ursprünglichen, zu verstehenden Sinn unterstellt. Ebenso wenig geht es um eine aktualisierende Lektüre, die Konflikte der Gegenwart zurückprojiziert oder umgekehrt nach Ansätzen einer besseren, »multipolaren« Moderne sucht, wie es zum Beispiel jüngst der Literaturwissenschaftler Ottmar Ette getan hat, der Alexander von Humboldt zu einem »Denker der Globalität« stilisiert, von dem er Anregungen »für die Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit«68 erwartet. Stattdessen könnte eine postkolonial-globalgeschichtliche Lektüre methodisch viel von der Geschlechterforschung in der Philosophie lernen, die inzwischen vielfältige Strategien der Rekonstruktion expliziter wie impliziter СКАЧАТЬ