Position beziehen. Heinrich Bedford-Strohm
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Название: Position beziehen

Автор: Heinrich Bedford-Strohm

Издательство: Автор

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783532600023

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       Stärker zivilgesellschaftlich engagiert

      Er kann tatsächlich nachweisen, dass sowohl subjektive Religiosität als auch öffentliche religiöse Praxis einen positiven Einfluss auf strukturelle Aspekte der Sozialintegration in Deutschland ausüben. Er stellt dabei zum Teil deutliche Unterschiede zwischen den religiösen Traditionen fest.

      Während etwa regelmäßiger Gottesdienstbesuch für alle Religionen mit einem größeren Freundschaftsnetzwerk einhergeht und zu häufigerem Treffen mit Freunden und Nachbarn führt, wird die Einbindung in formelle Netzwerke zivilgesellschaftlichen Engagements vornehmlich in christlichen Konfessionen und hier insbesondere im Protestantismus gefördert.

      Religiöse Protestanten – so Traunmüller – sind „in stärkerem Maße zivilgesellschaftlich eingebunden als religiöse Katholiken.“ Evangelische Gemeinden – so fährt er fort – „stellen einen fruchtbareren Nährboden für soziales Engagement und Beteiligung dar als katholische. Dies steht in Einklang mit einem zentralen Argument der Sozialkapitaltheorie, wonach die horizontalere Organisation protestantischer Gemeinden mehr Raum für Engagement zulassen sollte als die hierarchische Organisationsstruktur der katholischen Kirche.“

      Auch wenn sich Protestanten über diese Beobachtung des von konfessionellen Standortdebatten völlig unbelasteten Soziologen durchaus freuen dürfen, ist das Interessante an dieser Diagnose nicht seine konfessionelle Zuspitzung.

      Bemerkenswert ist vielmehr, dass hier ein Zusammenhang zwischen dem theologischen Selbstverständnis einer bestimmten christlichen Konfession und dem Sozialverhalten ihrer Mitglieder empirisch dingfest gemacht werden kann. Theologische Debatten – so könnte man daraus schließen – sind möglicherweise relevanter für die Lebenswelt, als auf den ersten Blick deutlich wird.

       Starke Überzeugungen

      Zwei ganz unterschiedliche Deutungsmuster sind möglich, wenn wir nach der Bedeutung von Gemeinschaft in der modernen Gesellschaft fragen. Entweder wir verstehen Gemeinschaft als Gegenbegriff zur Gesellschaft, wie das der große Soziologe Ferdinand Tönnies, Nestor der deutschen Soziologie, in seinem vor über hundert Jahren erschienenen Buch „Gemeinschaft und Gesellschaft“ getan hat.

      Gemeinschaft ist dann der Ort, wo Menschen, die Verwandtschaft, Zusammengehörigkeitsgefühl oder starke gemeinsame Überzeugungen verbindet, Geborgenheit finden angesichts einer Gesellschaft, die geprägt ist von Egoismus, kalter Zweckorientierung und ökonomischer Nutzenmaximierung. Es überrascht nicht, dass im Lichte dieses Gemeinschaftsbegriffes die Entwicklung zur modernen westlichen Gesellschaft im Wesentlichen als Verfallsgeschichte gedeutet werden muss: Gemeinschaft geht immer mehr verloren. Der Egoismus nimmt immer mehr überhand.

      Die andere Deutungsmöglichkeit teilt diesen Pessimismus gegenüber der Moderne nicht. Sie ist in der Soziologie zum ersten Mal eindrucksvoll von einem Zeitgenossen von Tönnies ausgearbeitet worden, der mit guten Gründen als Begründer der französischen Soziologie gelten kann: Emile Durkheim. In seinem Werk über die soziale Arbeitsteilung sieht er, ähnlich wie Tönnies, die alten von starker innerer Übereinstimmung getragenen Formen von Gemeinschaft („mechanische Solidarität“) erodieren. Er sieht aber gleichzeitig neue Formen von Gemeinschaft an ihre Stelle treten („organische Solidarität“).

       Gemeinschaft durch Verschiedenheit

      Die Stärke des Deutungsangebots, das Durkheim schon vor mehr als einem Jahrhundert geliefert hat, liegt darin, dass uns die Augen geöffnet werden für die vielen neuen Formen von Gemeinschaft und sozialem Zusammenhalt, die erst in der modernen pluralistischen Gesellschaft möglich geworden sind. Nur so können wir über eine, übrigens in allen politischen Lagern zu findende, Position konservativer Kulturkritik hinausgelangen, die beim Blick auf unsere Gesellschaft nur noch Werteverfall, Verlust von Gemeinschaft und allgemeinen Egoismus sieht. Es ist wahr: Die alten Formen von Gemeinschaft, die starke Verbindlichkeit und oft lebenslanges Engagement implizierten, verlieren an Bedeutung. Wer wüsste das neben Parteien und Sportvereinen nicht genauer als die Kirchen!

      Aber das heißt eben nicht automatisch, dass die Menschen nur auf dem Ego-Trip sind. In veränderter Form nehmen die sozialen Kontakte zu und auch die Bereitschaft zum Engagement nimmt keineswegs ab, sondern verändert sich vielmehr in ihrem Anforderungs- und Erwartungsprofil. Gemeinschaft wird heute zunehmend in Netzwerken erfahren, in Formen von Gemeinschaft also, die als genuine Produkte der modernen Gesellschaft gesehen werden können.

      Was das Leben in Netzwerken kennzeichnet, will ich noch ein wenig erläutern: Das Charakteristische solcher Netzwerke lässt sich am besten anhand von drei Aspekten beschreiben, die ich Pluralisierung, Individualisierung und Gegenseitigkeitsorientierung nenne.

       Starke und schwache Beziehungen

      Pluralisierung bedeutet, dass nicht mehr von der einen gemeinsamen Grundlage ausgegangen werden kann, von der traditionelle Gemeinschaften lebten und der alles andere untergeordnet wird, seien es die Familienbande, die politische Überzeugung oder die religiöse Orientierung.

      Die Menschen leben heute in einer Vielzahl unterschiedlicher Gemeinschaften, die alle das Leben mitprägen, vom Sportverein, dem Kegelklub oder auch dem Literaturkreis über die Schulgemeinschaften der Kinder mit ihren jeweiligen Sommer- oder Weihnachtsfesten bis hin zu Nachbarschaftskreisen, Bürgerinitiativen oder eben auch der Kirchengemeinde. Diese Vielzahl von Gemeinschaften bildet das Netzwerk, in dem wir leben. Wie zentral diese Pluralisierung für die sozialen Unterstützungsleistungen des Einzelnen heute ist, zeigt eine faszinierende Untersuchung des amerikanischen Soziologen Mark Granovetter, die ich hier vorstellen möchte.

      Granovetter unterscheidet „starke“ und „schwache“ Beziehungen und weist ihnen jeweils unterschiedliche Funktionen zu. Starke Beziehungen sind die Beziehungen in den Intimgruppen, die traditionell am deutlichsten mit dem Begriff „Gemeinschaft“ verbunden waren. Sie vermitteln vorrangig tiefere Gefühle wie Liebe und Geborgenheit, sie verlangen viel Zeit und sind geprägt durch einen hohen Grad von Verbindlichkeit.

      Schwache Beziehungen sind im Gegensatz zu starken Beziehungen weniger zeitaufwendig und mit weniger emotionalem Engagement verbunden. Ihre größte Stärke liegt darin, dass sie eher am Rande eines persönlichen Netzwerks angesiedelt sind und deshalb eine Art Brückenfunktion zu anderen Gemeinschaftskontexten erfüllen können. Über schwache Beziehungen entstehen Einstiegsmöglichkeiten in andere soziale Milieus.

       Pluralisierung bedeutet nicht Abbruch von Gemeinschaft

      Die schwächstmögliche Form der sozialen Beziehung – das kann über Granovetter hinaus zur Erläuterung gesagt werden – ist heute die „Gefällt mir“-Taste bei Facebook. Wenn Sie sich – sofern Sie bei Facebook registriert sind – heute bei einem Ihrer Facebook-Freunde mit dem minimalstmöglichen Zeitaufwand in Erinnerung bringen wollen, drücken Sie die „Gefällt mir“-Taste bei einem dort eingestellten Bild oder irgendeiner Aussage Ihres Freundes. Mit einem einzigen Click sagen Sie: Es gibt mich noch und es ist mir wichtig, dass du mich nicht vergisst. Und wenn es Gründe gibt, die entsprechende soziale Beziehung wieder neu zu aktivieren, gibt es jedenfalls eine kommunikative Basis dafür.

      Das kann insofern ganz handfeste Dimensionen haben, als die Untersuchung von Mark Granovetter auch gezeigt hat, dass die schwachen Beziehungen von besonderer Bedeutung sind, wenn es um soziale Unterstützungsleistungen im Alltag geht: In einer Studie über Menschen, die ihren Arbeitsplatz wechselten, stellte sich heraus, dass die СКАЧАТЬ