Название: Hurra, wir dreh’n uns noch
Автор: Uwe Törl
Издательство: Автор
Жанр: Современная зарубежная литература
isbn: 9783961455584
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Der westkurdische Kartenkontrolleur sah mit Blick auf vergangene, nicht stattgefundene Erfolge, bang die deutsche Zukunft schwinden: „Konntet nicht gewinnen Krieg. Ösis zu viel. Unfähig ihr ward!“
„War das nicht nur einer?“, erkundigte letztere Betreuerin sich bei ihrer sehbehinderten Begleitung. Woraufhin diese mit Missmut in der Stimme knurrte: „Genau wie hier!“ Während der Enthüllung von Schmidt-Mützen-Opa, bezichtigten sich derweil beide Betreuerinnen der Schuld an diesem Malheur. Es erweckte für Außenstehende den Eindruck, dass diese betreuenden Kräfte selber Betreuung von Nöten hätten. Was der dritten betreuenden Kraft im Schlepptau dieses seltsam-senilen Gespannes zu Gute kam, gingen Bärbel und Dagmar verbal aufeinander los. Schmidt-Mützen-Opa vermisste seine Mütze, was er durch Schläge mit Hilfe einer Krücke an die Innenseite der Zeltplane lautstark kundtat. Nur Opa Wilbur war guter Dinge. Laut lachend beklopfte er beidhändig seine steifen Oberschenkelstumpen und schob sich einen von Rastamans heimlich zugesteckten Keksen in den Mund. Fehlten ihm auch die Beine, so hatte er doch seine Zähne noch vollständig. Zumindest verriet das sein lausbubenhaftes Grinsen. Darauf folgte die für Stillschweigen bekannte Fingergeste an seine schmalen Lippen und der anschließende Fingerzeig direkt auf mich. Was mir signalisierte – der meint dich. Somit wurde ich im Vorbeigehen unfreiwillig zum Geheimnisträger von Opa Wilburs Machenschaften. Und das alles zum Nutzen von Schwester Nicki, welche ihrer elegant hergerichteten Dame am Arm den rechten Weg wies. Für sie war das Tohuwabohu ihrer Kolleginnen Ablenkung genug, um mit Rastaman einen großen Umschlag gegen zwei kleinere, unbemerkt von ihren Kolleginnen, zu tauschen. Grad so, dass die beiden Betreuung benötigenden Betreuerinnen ihren beinah eingetüteten Schmidt-Mützen-Opa samt Rollstuhl schadfrei aus Punkines Zeltplane befreit hatten, hatte Schwester Nicki besagte Umschläge heimlich in die elegante Handtasche ihrer eleganten Dame verschwinden lassen. Mit einem hinterhältig geheuchelten: „Kann ich helfen?“, schloss sie zu der Mischung aus Dumpfbacken-Betreuern und betreuten Greisen auf. Und untersagte im zweiten Satz der Frau Piepe, zum Schutz von Marktbesuchern aus Nah und Fern, weiteres Absingen weihnachtlichen Kulturgutes.
Dagmar, wieder über den Dingen, lehnte die Hilfe Nickis frei von Dank mit erhobener Nase ab und drückte stattdessen der Nicki zusätzlich zur Eleganz noch Wilbur aufs Auge, was diesen beiden wiederum doch sehr zu Pass kam. So schmissen sie sich beim entgegenkommen gegenseitig ein High five in ihre fünf Finger und verkniffen es sich zu lachen. „Alles priemstens Wilbur!“, zwinkerte sie ihm zu, griff nach dem Rollstuhl und lies die elegante Dame am rechten Arm einhenkeln. Dann schoben sich alle drei, unbemerkt im Rücken von Bärbel und Daggemar, noch einen Keks in den Mund und strahlten Dank Rastas Backkunst um die Wette.
Und so verließen sie mit ihren Artgenossen voran diesen, für mich doch einmalig aufgemachten, Weihnachtsmarkt.
Von da an strahlte auch ich. Auch ohne Keks, stellte ich fest, und es war mir egal, dass Rasta mich duzte.
„Bist du hier richtig?“, fiel mir nichts Dümmeres ein.
„Ick bin jenau so richtig oder falsch wie du, Bruder!“
„Ich mein ja nur. Weil, was dir da um Hals hängt, passt ja so gar nicht zu deiner sakralen Handelsware.“
Daraufhin küsste er das silberne Cannabisblatt an seiner Kette und meinte doch tatsächlich: „Ick mach dit doch nich zum Spaß hier, wa! Wir alle nich Bruder! Nur bring ick glei noch meene Ernte an dit bedürftiche Volk, wenn de ditte verstehst!? Verstehste?“
„Wie, ihr macht das alle nicht zum Spaß?“
„Weil wir brauchen die Jnete, für unsere Fete!“
„Na Hallo, ein Poet …“
„… und da hat unser Dozenti, welcher een?“ Mit diesem Rätsel wiesen seine Hände in Geberlaune gen Derwisch. „… Türke?“
„Cool Bruder, du bist echt cool. Also der, der hat uns für die Jnete eben, … hierher bejeordit. Seit fast vier Wochen, von Mittach bis beinah jähchin nach zwanzig Uhr und heute iss Schluss, wa. Weil danach iss …“
„… Fete?“
„Man, du hast’s echt troff Bruder! Von Siesta bis Fiesta, quasi. Und deswejen, ohne Scheiß. Jibt dit heut allit zum Ulti, zum Mativen, zum Fifti-Preis. N’türlich nur de Heilichtümer, wa!“, grinste mich Rastaman breit und strahlend an: „Meen Schitt, was’ de da wohl voll Logo, nitt! Willste ma prowieren? Ick lass dir ma Bruder, probehalber!“
„Ne, lass mal gut sein.“
„Iss vom Feinsten!“
„Natürlich vom Feinsten, aber so was voll von Logo.“
Ich heuchelte ein wenig Begeisterung. Nur waren das nicht meine Kräuter, welche er da seine Ernte nannte. „Ich bin mehr so der Schnittlauch-Typ.“
„Schnittlauch?“ Ich dachte, diesem botanischen Behelfsdruiden fielen die Locken aus seinem Rasta. Entgeistert fragte er nach: „Du rauchst Schnittlauch?“
Ja gut, ich hätte diesem ungläubigen Kruzifixhändler in dem Moment die Geschichte vom Pferd erzählen sollen, nur fiel mir das ziemlich spät. Also erklärte ich ihm: „Das Grünzeug kommt aufs Ei! Rührei, kennst’e doch, oder …“
„Klar, kenn ick! Hältst mich wo für doof, oder wie?“
„Vernebelt“, murmelte ich. „Wie meenst’n dit …?“
„Und Petersilie“, lenke ich ab: „Petersilie, die schmeiß ich in die Suppe.“
„Dass de die nich rochst iss mir schon klar.“
„Was, die Suppe?“
„Quatsch, die Petersilie! Man Bruder, wie bist’n du troff? Vielleicht solltist ’de doch ma …“
„Besser mal nicht.“
„…vom Feinsten?“
„Noch nicht mal vom aller Feinsten!“
„Vom aller Feinsten iss och nich! Zumindest nich bei mir, wa!“, warf er mir ein wenig beleidigt entgegen. Weil, das wär wohl gestreckt, erklärte mir der rastagelockte Kräuterexperte. Doch dann wurde unser Austausch von Fachkenntnis jäh unterbrochen, weil Kundschaft in Form eines Späthippies den heiligen Leinwandladen betrat. Jetzt, da zwei Kenner unter sich, war es Zeit für mich, meinen Rundgang fortzusetzen. „Man Bruder, war echt cool. Aber ick muss, wa!“
„Was muss, das muss! Na dann, bis zur nächsten Ernte.“
„Schnittlauch, wa?“
„Mir kommt nix anderes in die Pfeife.“
Der Späthippie hob unsicher fragend seinen Zeigefinger. Wie er ihm das erklären wollte, wollte ich mir nicht mehr antun, auch wenn es bestimmt interessant gewesen, war ich schon zwei Zelte weiter.
Vorbei an selbstgedrechseltem Holzspielzeug heimelicher Hinterhofwerkstätten Südsachsens (man hätte keinen besseren Standort wählen können), welchem sich eine moderne Zelt-Hexe mit traditioneller Glaskugel, über welcher ein eigenwilliges Pendel schwebte, anschloss. Rechts dieses Utensils ein Weihnachtsteller mit etwas abwegigem Belag, bestückt mit ein paar Würfeln, in welche das runische ABC graviert, seltsam verbrannten Federn, Knochen von Ratten, dem СКАЧАТЬ