Название: Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille
Автор: Tobie Schmack
Издательство: Автор
Жанр: Юмористические стихи
isbn: 9783957440679
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»Ich kann auch allein entscheiden, Henry.«
Na klar, kann sie, ohne Frage.
»Aber ich dachte, Schatz …«, versuche ich sie für mich einzunehmen, was ihr überhaupt nicht gefällt.
»Dein Denken kannste dir schenken! Henry, es ist echt gut, halt einfach die Klappe, ja. Ich will Pasta! Basta! Und das mit dem ›Schatz‹. Also, das … also …«
Mit überaus zwangsfreundlicher Stimme wendet sich Delia der Essenfrau zu und ordert, für alle im Flieger zu vernehmen, was sie wünscht. Danach wird’s still und die gefühlten Temperaturen begeben sich merklich unter null. Zum Hauptgericht serviert mir meine nissige Hälfte als Nachtisch mürrisches Schweigen garniert mit peinlicher Stille. Die klösterliche Ruhe triumphiert, bis der Wagen mit den Getränken vor uns anhält. An der Lenkstange ruhen zwei perfekt gepflegte Hände, an deren feinen Enden zartblau verzierte Fingernägel liegen. Unter der makellosen Haut des Handmodels sind in vornehmer Blässe kaum Adern zu erkennen. Wenn das nur die Hände sind, was wird mich erwarten, wenn ich ihr direkt ins Gesicht schaue. Die grazile Halsführung, die wohlgeformten Ohrläppchen, das wohlumrundete Kinn. Ihre leuchtend blauen Augen haben einen leichten Grünstich. Ja, ich bin verdammt bereit für einen heißen Tagtraum, aber neben mir hockt Delia. Liebe auf den ersten Blick ist ein dummes Klischee. Absolute Überwältigung bei einem solchen Anblick von vollkommener, zerbrechlicher Weiblichkeit – ein Hochgenuss. Ich würde alles von ihr nehmen. Für den Moment reicht mir ein Tomatensaft. Als ich nach der winzigen Saftdose greife, berühren ihre langen, feinen Fingerspitzen meine völlig zerknaupelten Stümpfe.
Völlig desinteressiert an dem Geschehen rund um den Servierwagen reißt meine Freundin die Fensterblende hoch und hält den Saft im Plastikbecher kritisch ins Licht. »Ist der eigentlich Bio?«
Der von mir entdeckte Stewardessenengel antwortet in korrektestem Servicesprech. »Selbstverständlich! All unsere Säfte sind natürlich biologisch einwandfrei.«
»Aha, und aus welchem Land?«, fragt Delia intensiver nach.
Der Serviceengel kommt etwas ins Straucheln und lässt sichtbar die Flügel hängen.
»Also, das wird sicher auf der Dose …«, gibt sie mit sanfter Stimme zu verstehen, was Delia umgehend hämisch grinsend quittiert.
Doch nun ist Schluss mit lustig. Der Engel setzt Hörner auf.
»Würden Sie jetzt bitte die Blende wieder senken. Der Mann neben Ihnen möchte sicher noch schlafen. Danke!«
Damit hat Delia nicht gerechnet, was jedoch nicht heißt, dass sie sich das vom Dienstpersonal bieten lässt. »Der Herr hat ja wohl die gleiche Kohle für den Platz hingelegt wie ich«, schießt sie forsch und stutenbissig zurück.
Um mal ganz korrekt zu bleiben, eigentlich war ich es, der uns den ganzen Urlaub als bestmögliches Bett für den perfekten Antrag geschenkt hatte, aber Delia denkt in diesem Moment schon wieder separat und haut der Stewardess auf die Hand, als diese versucht, die Sicht wieder abzudunkeln. »Hey, du Tussi! Ich werd ja wohl den Saft prüfen dürfen, bevor ich den trinke. Ich hab schon ganz andere Dinger im meinem Mund gehabt, und da hieß es auch ›völlig unbedenklich‹.«
Moment, ging das grad gegen mich? Die Dame im blauen Kostüm beschließt – sagen wir schlicht »angepisst« – den Zug weiterrollen zu lassen und die Reihen hinter uns zu bestücken. Dort würde man den Service sicherlich zu schätzen wissen. Auch von hinten sieht sie verdammt attraktiv aus, aber gegen ihre blühend leuchtenden Augen ist das kein echter Ersatz.
Mein Sitz liegt wieder im Dunkeln und merklich zieht die Gefühlskälte von links weiter an. Ich bin mir sicher, es hätte nicht viel gefehlt und Delia hätte den Manager verlangt, der tollkühn in einem Privatjet herangedüst käme und im Auftrag ewiger Kundenglückseligkeit in einem halsbrecherischen Manöver über die Dachluke in die 747 eingedrungen wäre. Was für eine Dramatik. Ford, Harrison Ford, dem würde ich das abkaufen. Leider würde ich nicht so überzeugend wirken, hätte ich mich in die Schusslinie zwischen die beiden geworfen.
Delia interessiert sowieso bei jeder Reise nur, wie sie schnellstmöglich wieder aus dem Flieger kommen würde. Es ist einfach nicht ihr Ding. Gewöhnlich betäubt sie ihre Angst vor dem möglichen Absturz in Verbindung mit einer satten Portion Klaustrophobie mit einer Mixtur aus Brandy, Kaffee und wieder Brandy. Dummerweise habe ich gerade ganz schlechte Karten, mit diesem Sonderwunsch von meiner Lieblings-Stewardess erhört zu werden. So bleibt mir bis zur nächsten Fütterung nur das Backgroundgeräusch aus klimpernden Dosen und knackenden Plastikbechern. Jedoch fühle ich weiterhin ihre Nähe. Die noch immer sichtlich erregte Diva namens Delia, die spürbar bemüht ist, bloß keinen übermäßigen Körperkontakt zu mir herzustellen, meckert engagiert weiter. Wenn sie es könnte, sie würde kleine Feuerpfeile spucken. Irgendwie muss ich jetzt wohl einfach da durch und ihrer Laune ein Podium schenken. Natürlich behaupte ich, dass der Tomatensaft widerlich geschmeckt hat und die Saftschubse definitiv rausgeschmissen gehört, am besten jetzt gleich direkt durch den Notausstieg. Dass wir dann gleich alle mit abkacken würden, lasse ich lieber unerwähnt. Argumente dieser beschwichtigenden Art bringen uns leider nicht weiter. Was auch immer ich sage, ich kriege keine Ruhe rein. Glücklicherweise sind die anderen Passagiere in unserem Dunstkreis mit Futtern und Filmschauen beschäftigt. Das Bordrauschen macht auch für mich Delias Genuschel in einem Mindestmaß erträglich, bis sie es sich anders überlegt und mal wieder instruiert, mich natürlich.
»Aspirin!«
Delia benimmt sich, als wäre ich ihr wohldefiniert degradierter Handlanger zur tumben Befriedigung ihrer Gelüste. Da ich jetzt keinen Bock habe, den vorhin so gut verstauten Rucksack aus der Gepäckablage rechts oben zu zerren, tue ich so, als hätte ich sie nicht verstanden.
»Henry! Jetzt tu nicht so, als hättest du mich nicht verstanden. Die Nummer kauf ich dir nicht ab.«
Ja, richtig, ich könnte ganz sicher auf hundert Meter Entfernung in einem Wald ein sich entleerendes Eichhörnchen mit Magen-Darm-Infekt ausmachen. Ja, ich höre einfach alles. Verdammt! Warum muss ich auch immer damit prahlen.
»Ja, Delia, welchen Stern darf ich dir denn nun vom Himmelszelt pflücken?«, wechsele ich mein Verhaltensmuster, das mir momentan nicht stehen will, und lächele sie gequält an.
»Ich krieg grad Kopfschmerzen von der ganzen Nummer hier. Also, komm schon, die Aspirin sind im vordersten Reißverschlussfach.«
Ich schnaufe im Aufrappeln kurz durch, was auch nicht unkommentiert bleibt, und klappe die Abdeckung der Ablage langsam hoch. Da liegt er, mein aschgrauer Wildlife-Rucksack. Ich hatte ihn irgendwann mal von Delia zum Geburtstag bekommen, nein, zum ersten Jahrestag, der sollte ewig halten, eben was fürs Surviven. Zwischen den davor hineingestopften Bambushüten und einem tonnenförmigen Musikinstrument mit sowas wie einem Eingeborenenmuster lugt der Trageriemen hervor. Während ich mit der einen Hand das Musikungetüm zu fixieren suche, ziehe ich bestimmt an dem Riemen, doch da bewegt sich nichts. Als ich kurz über meine Schulter sehe, merke ich, dass die nächste Stewardess mit dem Müllwägelchen anrückt. Hinter mir spüre ich Delias So-wird-das-schon-mal-gar-nichts-Vorwürfe, die nun an meinen Nacken klatschen und mir langsam den Rücken hinunterfließen. So sehr ich auch ziehe, da löst sich nichts. Ein wenig schieben, nach links drücken, dann leicht drehen und seitlich zurückpressen. Den Kopf zwischen meinen langsam schwerer werdenden Oberarmen eingepfercht tänzele ich auf meinen Zehenspitzen. Meine Finger zittern sich über das fremde Gepäck hinweg bis ganz nach hinten. Im Ungewissen СКАЧАТЬ