Die Niederlage der politischen Vernunft. Egon Flaig
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Название: Die Niederlage der politischen Vernunft

Автор: Egon Flaig

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежная публицистика

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isbn: 9783866746473

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СКАЧАТЬ Weltkrieg sprossen variantenreiche Versionen einer Furcht vor dem trüben Endstadium, dem sich die menschliche Gattung eilends nähere. Francis Fukuyama hat 1992 in »The End of History« einen schwachen Aufguß der optimistischen Variante verbreitet, indem er den weltweiten Sieg der parlamentarischen Demokratie und des Kapitalismus diagnostizierte und die Alternativlosigkeit dieser »posthistorischen Welt« prognostizierte. Die Sozialphilosophie von Jürgen Habermas und vor allem die Systemtheorie von Niklas Luhmann waren dort längst angekommen. Als Samuel Huntington 1993 diesen Konsens aufkündigte, blies ihm sofort ein scharfer Wind ins Gesicht. Indes, seine kardinale These hat sich bewahrheitet; just die Auflösung der Machtblöcke hat neue Divergenzen erzeugt; und der Gegensatz zwischen der islamischen Kultur und der restlichen Welt ist zum heftigsten geworden. Ein nüchterner Geschichtsdenker wie Ernst Nolte benutzt zwar den Begriff ›Nachgeschichte‹, doch er füllt ihn mit einem neuen Gehalt: Selbst eine technisch perfekte Weltgesellschaft wird sich vor schweren Konflikten nicht schützen können.24

      Kojève und seine Nachfolger glaubten, daß ein Prinzip, welches sich sozial realisiere, hinfort die Realität bestimme: Wenn die Freiheit zum Leitwert der Welt würde, welche sich in einen rechtsstaatlich garantierten und menschenrechtlich orientierten sozialen Zustand begeben würde, dann bewege sich nichts Bedeutendes mehr. Doch dabei bleibt unbeachtet: Erstens sind die Begriffe Freiheit, Gleichheit und Solidarität (Brüderlichkeit) – in sich antinomisch; radikal zu Ende geführt, heben sie sich selber auf. Totale Freiheit wäre ein ebenso absurder Zustand wie radikale Gleichheit. Aus diesem Grund wird über das Maß ihrer Verwirklichung immer zu streiten sein und niemals ein Konsens gefunden werden. Zweitens sind diese Prinzipien dialektisch aufeinander angewiesen. Damit widerstreiten sie einander: Ein ›Übermaß‹ an Gleichheit geht auf Kosten der Freiheit; ein ›Übermaß‹ an Freiheit geht auf Kosten der Solidarität. Diese Wechselwirkung ist in der Politischen Philosophie oft erörtert worden, weil sie die kardinalen Fragen der Staatsform und sozialen Verhältnisse berührt. Obendrein verkompliziert sich diese Wechselwirkung, weil alle drei liberal-republikanischen Prinzipien den Schutz einer staatlichen Organisation benötigen, welche den Individuen zuverlässige ›Sicherheit‹ vor Gewalt bietet: Ohne Sicherheit vor Gewalt gibt es keine Freiheit; aber selbstverständlich muß alle Sicherheit bestimmte Grade der individuellen Freiheit einschränken, um die individuelle Freiheit als kollektives Gut überhaupt erst zu ermöglichen. Drittens ist es gar nicht möglich, die fundamentalen Prinzipien der Moderne so in Einklang zu bringen, daß alle sozialen, sprachlichen, religiösen und regionalen Gruppierungen damit zufrieden wären. Daher unterlägen alle dissentierenden Sektoren der Weltgesellschaft unaufhörlich der Versuchung, ihren Dissens als programmatischen aufzufassen. Im politischen Spektrum profilieren sich Strömungen am Rand immer dadurch, daß sie die Streitpunkte vergrundsätzlichen. Diese Tendenz verschärft die Konflikte; und diese treiben die Geschichte voran.

      Selbst wenn die weltrepublikanischen Organe bestens funktionieren, ist der Dynamik der Differenzierung nicht zu entkommen, gleichgültig ob diese sich speist aus demographischen Verschiebungen, aus dem Umgang mit knappen Ressourcen, aus den sozialen Folgen von technischen Fortschritten oder aus dem bloßen Wechsel der Generationen. Stets stören sie das momentane ›Gleichgewicht‹ und nötigen dazu, erneut Freiheit, Gleichheit, Sicherheit und Solidarität in Ausgleich zu bringen. Und die Ansichten darüber, wie solche Ausgleiche aussehen sollen, divergieren. Der Grad solcher Divergenzen kann die globalisierte Menschheit dissoziieren und schwere Konflikte ausbrechen lassen. Wir neigen dazu, die generationelle Dynamik in Kulturen zu unterschätzen. Auch die erwünschte Weltgesellschaft unterliegt der Notwendigkeit, die sozialen und politischen Verhältnisse über die Zeitläufte hinweg ebenso zu reproduzieren wie die kulturellen Kompetenzen. Doch die intergenerationelle Weitergabe mittels Geburt, primärer und sekundärer Sozialisation samt Bildung und Beruf erbringt zwangsläufig ›neue‹ und ›andere‹ Menschen. Es ist nicht einmal möglich, die Werthaltungen von einer Generation auf die nächste so zu übertragen, daß sie identisch blieben. Solche Abweichungen können sich mit der Zeit als gravierend herausstellen und weit über folkloristische Besonderheiten hinausgehen. Gerade ›neue‹ Werthaltungen sind imstande, normative Divergenzen von hoher Brisanz anzutreiben.

      Im Klartext: Die Weltrepublik garantiert keineswegs Kants ewigen und vollkommenen Frieden. Sondern sie wird ein Notinstrument bleiben, nämlich das einzige, das imstande ist, den Frieden immer wieder schnellstmöglich herzustellen und die aufflackernden Bürgerkriege nicht ausarten zu lassen.

      Was hat diese Überlegung mit dem Begriff der Politischen Vernunft zu tun? Das wird deutlicher, wenn wir einen flüchtigen Seitenblick werfen auf die naturbedingten und auf die mikrobiotisch verursachten Katastrophen der Zukunft, welche unvermeidbar Teile der Menschheit heimsuchen werden. Sie sind weder zureichend vorhersehbar noch präventiv abzufangen. Auch der Katastrophenschutz der künftigen Weltrepublik bleibt an Nachträglichkeit gekettet; und seine kurativen Maßnahmen kompensieren niemals jene dramatischen Ungleichheiten in den Lebenschancen, die jede wirkliche Katastrophe bewirkt. Auch die globalisierte Menschheit wird periodisch das Leiden bewältigen müssen, das Menschen millionenfach beugt. Die Klagelieder werden immer erschallen. Und ob jemals eine künftige Weltrepublik den Mut aufbringen wird, die Losungen der römischen Reichsidee auszugeben – PAX AETERNA – FELICITAS TEMPORUM, darf getrost bezweifelt werden. Zwar dient die Vernunft auch der Erkenntnis. Aber das Bewußtsein selber nützt prioritär nicht dem Erkennen, sondern der Orientierung des Menschen in seiner Lebenswelt. Orientierung und Erkenntnis gehen jedoch in der Regel weit auseinander. Vor allem aber benutzen die Menschen einen nicht unerheblichen Teil ihrer Bewußtseinsfunktionen, um Enttäuschungen und bitteres Leid zu verarbeiten. Weil Menschen extrem abhängige und verletzbare Lebewesen sind, ist es für sie eine zentrale biographische Aufgabe, an den persönlichen Widerfahrnissen zu wachsen und sie einzufügen in einen Sinnhorizont. Anders gesagt: Sie brauchen Trost; und dieses Bedürfnis ist nicht leicht zu stillen. Eine metaphysische Neigung ist darum untilgbar; sie wirkt als Matrix für religiöse Dispositionen, garantiert eine unterschiedlich intensive religiöse Anfälligkeit. Die aufgeklärteste Gesellschaft ist nicht gefeit gegen das Hochschwappen von religiösen Wellen. Und nur Narren sind außerstande, die ungeheure Gewalt zu übersehen, mit der Religionen die Menschen erfassen können. Auch in Zukunft.

      Niemand muß sich fürchten, daß die Weltrepublik in ein Eschatolithikum gähnender Immerselbigkeit hineindämmern wird. Von solcher Furcht, notorisch beheimatet in anti-universalistischen Weltsichten, wird noch die Rede sein im Kapitel über Recognition und Differenz. Sondern im Gegenteil wird die Menschheit froh sein, wenn eine solche Republik wenigstens einige der kollektiven Überlebensprobleme überhaupt politisch zugänglich macht. Zweifelsohne wird es ein Ende der Geschichte geben, denn eines Tages wird dieser Planet abgewohnt und ohne irgendein Leben um einen roten Riesen kreisen. Doch das Ende der Geschichte wird erst eintreten, sobald es keine Menschen mehr geben wird. Keinen Tag vorher.

       II. Die dreifach negierte Aufklärung

      Dialektiken der Aufklärung

      Insbesondere drei Errungenschaften der Aufklärung stehen nun auf dem Spiel, nämlich der menschenrechtliche Universalismus, die Wissenschaft als letzte Instanz in Wahrheitsfragen und die republikanische auf Volkssouveränität beruhende Organisation menschlicher Gemeinschaften. Aus dieser Trias entstammen die beiden letzten zwar der Antike, und auch die erste gründet auf Ideen, die weit älter sind als das 18. Jahrhundert; dennoch haben sie in der Epoche, die wir ›Aufklärung‹ nennen, ihre maßgebliche Konfiguration erhalten. Wir riskieren nun, diese Errungenschaften zu verspielen.

      Das ist immer wieder vorausgesagt worden, am eindringlichsten von Nietzsche. Und daß die Aufklärung keineswegs gegen Katastrophen gefeit hat, bleibt unbestritten. Aber sind diese ihr deshalb anzulasten? Wir stehen vor dem Thema ›Dialektik der Aufklärung‹. Viele Intellektuelle ließen im 20. Jahrhundert ihre Sorgen und ihre Aufmerksamkeit um dieses Thema kreisen. Sowohl Heidegger als auch Adorno und Horkheimer brachten die Widersprüche der Aufklärung in prägnante Formen; und beide Versionen ähneln einander teilweise zum Verwechseln. Ihnen zufolge hat СКАЧАТЬ