Название: Vom Streifenhörnchen zum Nadelstreifen
Автор: Hans Peter Klein
Издательство: Автор
Жанр: Социальная психология
isbn: 9783866744974
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Selbstverständlich war auch Berlin nicht dazu bereit, die erbetenen Unterlagen für wissenschaftliche Analysen zur Verfügung zu stellen. Man bittet freundlich um Überlassung der bereits geschriebenen Zentralabiturarbeiten und der Lehrerhandreichungen, die für nichts mehr benutzt und auch nicht mehr eingesetzt werden, und scheint in ein Wespennest getreten zu sein. Auch NRW hatte bei der Publikation der Streifenhörnchen-Experimente mit Neuntklässlern mögliche Zitierungen aus dem mit Passwort geschützten Bereich des Ministeriums untersagt, mit dem aufschlussreichen Hinweis, dass man an derartigen Untersuchungen durchaus interessiert sei. Bedingung dafür wäre aber, vorher im Gespräch die Vorgehensweise und vor allem auch die Handhabung der Ergebnisse abzusprechen.32 Auch das ist nichts Neues, selbsterfüllende Prophezeiungen sind im drittmittelgesteuerten Forschungsbetrieb unter Berücksichtigung der Interessenlage der Auftraggeber auch im Hochschulbereich längst gängige Praxis. Jedenfalls scheint sich die Überlassung von Zentralabiturarbeiten und den Lösungsvorschlägen auf offiziellem Wege noch bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag hinauszuzögern. Das »Handelsblatt« titulierte die generelle Verweigerungshaltung der Bundesländer zur Veröffentlichung ihnen anscheinend unliebsamer Daten zu Recht als »Kartell der Verblödung«. Anscheinend sei es den Politikern egal, wenn man auf das Bildungsniveau von Mexiko zurückfalle, so die Autorin.33
Nach den derzeitigen, noch längst nicht abgeschlossenen Analysen scheint sich eine sicherlich wenig überraschende Tendenz anzuzeigen: Je fachlich anspruchsvoller die Zentralabiturarbeiten, desto geringer die Abiturientenquote in den entsprechenden Bundesländern, wobei berücksichtigt werden muss, dass aufgrund unterschiedlicher Regelungen in den einzelnen Bundesländern die Zentralabituraufgaben nur zwischen 24 und 32 Prozent der gesamten Abiturnote ausmachen. Der deutlich überwiegende Anteil stammt aus den Vornoten der Qualifikationsphase und der mündlichen Abiturprüfung. Ganz offensichtlich scheinen aber auch diese Noten in direkter Korrelation zu den Ergebnissen der Lesekompetenzaufgaben im Zentralabitur von den gleichen Bundesländern ebenfalls auf teilweise deutlich erhöhtem Niveau verteilt zu werden. Betrachtet man die Ergebnisse der Zentralabiturarbeiten im Vergleich zu den Ergebnissen vor ihrer Einführung, stellt man fest, dass die Noten nicht nur im Fach Biologie durchweg besser geworden sind. Die Notenstufe »Ungenügend« wird gar nicht, die Note »Mangelhaft« nur noch in wenigen Ausnahmefällen vergeben (Blackout des Prüflings unter anderen). Den Einser-, Zweier- und Dreierbereich erreichten bereits im Zentralabitur 2009 landesweit an Gymnasien in NRW über 90 Prozent der Schüler, an vielen Gymnasien sind es 100 Prozent, für Gesamtschulen und Gymnasien zusammen immerhin noch 80 Prozent (diese Daten werden in Nordrhein-Westfalen den Schulen im passwortgeschützten Rückmeldungsbereich zur Verfügung gestellt). Die Zahl der Bestnoten in den Zentralabiturarbeiten (14 und 15 Punkte) nimmt dagegen überraschenderweise ab. Eine Befragung von sehr guten Schülern liefert dafür die Erklärung. Sie können einfach nicht glauben, dass die im Arbeitsmaterial bereits vorgegebenen Informationen für die Beantwortung ausreichen. Die sehr guten Schüler wiederholen sie nicht, sondern vermeiden Redundanzen, in der Folge fehlen ihnen Punkte. Eine tiefgründige Auseinandersetzung mit der Thematik verwehrt die Aufgabenstellung oder fließt in die Bewertung aufgrund des genau formulierten Erwartungshorizontes kaum ein. Ein wiederholendes Variieren der Informationen aus den Texten reicht aus, von einem wissenschaftspropädeutischen Anspruch findet sich kaum noch eine Spur. Der kritische Blick in die Aufgaben zeigt eindeutig: Es findet eine Nivellierung der Ansprüche statt, die Scheitern weitgehend ausschließt, aber auch Leistungen nicht mehr herausfordert.
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