Название: Angstfrei glauben
Автор: Johann Gerhardt
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783815026021
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Wir zahlen für Medikamente und Therapeuten, für Kliniken und Rehabilitation, für die Industrie der Glücksmomente und Glücksdrogen. Und wir merken: Den eigentlichen Preis zahlt der Mensch selbst. Denn einmal „gelernte“ Angst ist nur schwer zu verlernen und hat die Tendenz, sich dauerhaft einzunisten.
Die persönliche Seite der Angst
Obwohl Angst ein universales Phänomen ist, hat sie auch eine persönliche Seite. Immer ist es der Einzelne, der Angst verspürt, selbst wenn eine Masse in Panik davonstürmt.
Wenn ich Angst verspüre, ist es meine Angst. Der andere kann sie vielleicht gar nicht verstehen. Ich z. B. habe keine Angst vor Spinnen. Es macht mir nichts aus, wenn eine dort lebt, wo ich auch lebe. Im Gegenteil, sie fangen Fliegen und Fliegen stören mich – im Gegensatz zu Spinnen –, wenn es nicht zu viele sind (weil meine Gäste sonst denken könnten, ich habe ein unordentliches Haus).
Aber ich kenne jemanden, der große Angst hat, wenn sich eine Spinne im Zimmer befindet, und wenn es nur ein harmloser, langbeiniger Weberknecht ist. Dann muss erst eine aufwändige Tötungsaktion erfolgen oder das Tier muss zumindest erfolgreich des Hauses verwiesen werden, ehe man beruhigt einschlafen kann.
Es ist nicht meine unrealistische Angst vor der Spinne, es ist die der anderen Person. Sie gehört zu ihr wie ihre Kleider und wie ihr Gesicht.
Und wie ist das mit der Angst vor dem „Raubtier“ Maus? Auch diese Angst ist unrealistisch. Es traut sich ohnehin keine Maus mehr in unsere sterilen und „mausunfreundlichen“ Wohnungen. Ich bin mir oft nicht sicher, wer vor wem mehr Angst hat. Dennoch ist die Vorstellung, einer Maus zu begegnen, für manche der reine Horror.
Selbst Hunde müssen nicht unbedingt Angst hervorrufen. Mein kleiner dreijähriger Enkel z. B. ignoriert Hunde völlig. Neulich bin ich mit ihm spazieren gegangen. Er fuhr auf dem Dreirad, völlig hingerissen von einer Wasserpfütze und den Spuren, die das Dreirad im Wasser hinterließ. Der Hund, der ohne Leine vor dem Spaziergänger trottete, schnüffelte mal kurz am Gesicht meines Enkels Joe – sie waren auf gleicher Augenhöhe –, aber der schnüffelnde Vierbeiner bekam nur einen kurzen Blick. Joes Interesse galt weiter der Pfütze und den Spuren. Der Hund verstand und ging weiter.
Ich hoffe, das Verhältnis meines Enkels zu Hunden bleibt so ungetrübt. Auch ich habe überhaupt keine Angst vor Hunden, sie müssen nur klein genug sein. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mit Schlangen, Krokodilen und Löwen auf keinem guten Fuß stehe. Und nachts allein im Dschungel oder selbst bei uns im Wald mit seinen Wildschweinen – nein danke!
Apropos nachts. Nächte haben ihre eigenen Angstmuster. Als ich ein Teenager war, hatte ich mal wieder meinen Bruder besucht und wollte mit dem letzten Zug nach Hause fahren. Es gab eine enge, unbeleuchtete Gasse zum Bahnhof. An diesem Abend war es stockdunkel. Auf der linken Seite befand sich ein Lattenzaun. Damit ich auf dem Weg bleiben konnte, streckte ich meinen linken Arm aus und fuhr beim langsamen Vorwärtstasten mit den Fingern den Lattenzaun ab. Rrrr – machten die Latten unter meinen Fingern.
Und plötzlich hatte ich etwas Weiches im Arm. Stoff! Eine Person! Wahrscheinlich ein Mensch! Vor Schreck brachte ich kein Wort heraus. Kein „Guten Abend“ oder „Was machen Sie denn da? Kennen wir uns?“ Es wäre ja vielleicht angebracht gewesen, etwas Witziges von sich zu geben oder wenigstens höflich zu grüßen. Nichts, nur Schreck, dann den Arm einziehen und schnell weiter. War es eine Frau gewesen, ein Mann, ein hübsches Mädchen vielleicht? Keine Ahnung. Auf jeden Fall war es irgendjemand gewesen. Dieser „Jemand“ hatte sich nicht bewegt, nichts gesagt. Bestimmt hat es Angst gehabt. Ich hoffe doch sehr!
Auf jeden Fall bin ich seitdem diesen Weg immer mit einem mulmigen Gefühl gegangen. Ich glaube, ich habe seit damals sogar immer gepfiffen – ein fröhliches Lied, motiviert von Angst und um sie zu vertreiben.
Meine Sehnsucht ist auch meine Angst
Unsere Persönlichkeit ist das, was wir im sozialen Kontakt „vor uns hertragen“. Der Begriff „Persona“, von dem unser Wort abgeleitet ist, beschrieb im lateinischen Theater die Maske oder Larve, die die Schauspieler vor ihr Gesicht hielten, um ihre Rolle zu spielen.
Wir begegnen einander als Personen in verschiedenen Situationen und sozialen Aufgaben. Ich z. B. bin Deutscher, ein Mann, mit einem bestimmten Alter. Ich bin verheiratet, bin Vater, Pastor der Adventgemeinde, seit längerer Zeit Dozent an der Hochschule. Ich bin Traupastor, Evangelist, Beerdigungsredner. Außerdem passionierter Radfahrer, zuweilen Autofahrer, hoffentlich kein Trittbrettfahrer.
Unsere verschiedenen Rollen, die wir zu „spielen“ haben auf unserer Lebensbühne, sind vielfach bestimmt von den Anforderungen von außen, aber auch von den inneren Kräften, die schon vielfach benannt worden sind. Die einen sprechen von Trieben, die anderen von Bedürfnissen, wieder andere von Motivationsstrukturen oder Reiz-Reaktionsmechanismen.
Ich selbst spreche in diesem Zusammenhang gern von Sehnsucht und Angst. Beides sind Kräfte, die ich an mir erlebe, und ich kann sie praktisch verstehen. Sie spielen zusammen, miteinander und gegeneinander. Und wenn ich in einer Beratungssituation mit Menschen über Sehnsucht und Angst spreche, brauchen sie nur in sich hineinzuhören, um ihre Stimmen zu vernehmen.
Die erste Kraft, der wir uns zuwenden wollen, ist deshalb die Sehnsucht.
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