Название: Der verlassene Rummelplatz
Автор: Marcel Zischg
Издательство: Автор
Жанр: Публицистика: прочее
isbn: 9783960085041
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»Wer ist dieser Freund«, fragte die Mutter.
In diesem Moment hupte unten ein Auto, und die Kinder gingen mit der Mutter hinunter vor das Haus, wo eine Frau aus dem Auto stieg, die die Mutter kannte.
GRÜNE HAARE
Pit wollte mit dem Zug nach Hause fahren. Als der Dreizehnjährige mittags sein Ticket am Fahrkartenautomat kaufte, dachte er an ein Mädchen, in das er sich verliebt hatte. Bettina hieß sie. Er starrte zu Boden, während er zum Bahnsteig ging. Bettina hatte sich heute auf dem Schulhof abgewendet, als Pit mit ihr hatte sprechen wollen. Das machte ihn traurig.
Jetzt stieg er in den Zug und stellte fest, dass darin nur ein einziger alter Mann stand, der sich unvermittelt zu ihm setzte. Saß Pit im richtigen Zug? Und wo, zum Teufel, waren plötzlich seine Mitschüler? Mussten sie nicht auch nach Hause? Der merkwürdige alte Mann war klein und mager. Er hatte ein eingefallenes Gesicht, Geheimratsecken und grüne Haare.
»Fürchtest du dich vor dem Tod, Junge?«, fragte der Mann ihn unvermittelt.
»Wer sind Sie? Lassen Sie mich in Ruhe.«
»Fürchtest du dich vor dem Tod, Junge?«, wiederholte der Mann.
»Ja«, sagte Pit.
Da ließ der Mann ihn in Ruhe. Pit hatte das Gefühl, als kennte er den alten Mann aus einem anderen Leben – einem Leben, in dem grüne Haare vielleicht ganz normal gewesen waren und die braunen von Pit verrückt.
Der Zug fuhr los. Der Mann ging auf und ab durch den leeren Zug. Im Vorübergehen sah er Pit an, immer wieder.
Pit war schön. Er trug eine teure schwarze Anzughose, einen gestrickten grünen Wollpullover und darunter ein weißes Hemd mit roten Linien. Er hatte braunes, mittellanges Haar, eine schöne Knabenfrisur, ordentlich gekämmt und vor allem feine Gesichtszüge, wenn man ihn im Profil sah. Und wenn er sprach, lächelte er ein breites Lächeln, spitzbübisch und nicht ganz so brav wie seine Frisur. Der Mann mit den grünen Haaren dachte: Wie kannst du so schön sein, Junge? Aber das ist natürlich nur vorübergehend. Genieß es.
Er stieg schließlich an derselben Haltestelle aus wie Pit. Kurz vor dem Halt des Zuges fragte er Pit ein letztes Mal: »Fürchtest du dich vor dem Tod, Junge?«
»Lassen Sie mich in Ruhe, Sie alter Sack!«
Pit verließ den Bahnhof und ging durch die Straßen. Er kam am Theater vorbei, einem prachtvollen Gebäude mit einem Säulenportikus, das von Scheinwerfern angestrahlt wurde. Stolze Schauspieler bewegten sich dort über einen roten Teppich. Filmpremiere. Plötzlich war es Abend geworden.
Pit ging nicht nach Hause, sondern zum Friseur gegenüber vom Theater. Er ließ sich die Haare grün färben.
Dann ging er zurück zum Bahnhof, stieg in irgendeinen Zug und fragte die Menschen, ob sie sich vor dem Tod fürchteten. Einige antworteten etwas, aber die meisten sahen ihn nur verwundert an oder lachten. Als jemand ihn für verrückt hielt und nach Hause bringen wollte, stieg er schnell an der nächsten Haltestelle aus und lief davon, immer die Gleise entlang. Irgendwann fuhr ein langsamer Güterzug vorbei.
Pit lief auf die Gleise zu, auf denen der Zug herankam. Fast schaffte er es den Bahndamm hinauf, bevor sich jemand auf ihn stürzte. Es war ein Mann mit roten Haaren. Er brachte Pit nach Hause.
Seine Eltern waren besorgt, weil er so spät kam. Dann sahen sie ihn genauer an. »Grüne Haare? Bist du verrückt geworden, Junge?«, fragte seine Mutter.
Pit lächelte spitzbübisch. Der Mann mit den roten Haaren erzählte, was am Bahndamm geschehen war. Pits Mutter blickte erschrocken und besorgt, als stürzten sich schwarze Vögel auf die Erde, und Pit kehrte zurück in die Wirklichkeit. Ihm wurde bewusst, dass er einen verrückten alten Mann mit grünen Haaren getroffen hatte, woraufhin er sich selbst die Haare hatte grün färben lassen. Auch dass er die Leute im Zug dumm angequatscht und sich fast vor einen Güterzug geworfen hatte, fiel ihm wieder ein. Das alles war geschehen. Nur das mit dem Theater, die Filmpremiere, das hatte er sich wohl nur eingebildet, denn die hatte schon am Abend zuvor stattgefunden, wie sein Vater wusste. Außerdem war draußen heller Tag; die Sonne schien, wie Pit durch das Flurfenster sehen konnte. In diesem Moment verfärbten ihre Strahlen sich grün.
Hat die Sonne Haare, fragte sich Pit.
SCHATTENTURMGESCHICHTE
Das Baby lag am Meer. Ein kleiner Junge in der prallen Sonne, im Sand, mitten zwischen den Liegen. Es schrie. Aber keiner hob es auf oder ging zu ihm. Alle dachten, seine Mutter ist nicht weit.
Jahre später war der Junge zwölf und erinnerte sich an nichts mehr.
Er machte Urlaub am Meer mit seinen Eltern und seinem siebzehnjährigen Bruder. Sein älterer Bruder blieb oft im Hotelzimmer, denn er hatte ein Hitzefieber gehabt und musste die Sonne meiden.
Die Eltern waren gerade mit ihm am Strand. Es war mittags. Sein Vater las Zeitung, und seine Mutter bräunte sich. Dem Jungen war langweilig.
»Darf ich einen Spaziergang am Strand machen?«
»Ja, natürlich«, sagten die Eltern, »aber geh nicht zu weit und komm bald wieder!«
Der Junge ging los. Er trug zum Sonnenschutz ein T-Shirt über seiner Badehose, denn es war brütend heiß. Er hörte aufgeregte Stimmen und Schreie. Irgendein amerikanischer Song klang aus der Strandbar herüber. Die Kinder am Strand hatten Spaß. Sie spielten Volleyball und Boccia.
Der Junge wollte nicht mit anderen Kindern spielen, denn er war schüchtern, aber gleichzeitig wünschte er sich Gesellschaft, und so stimmte er zu, als ein Junge auf ihn zulief und ihn fragte: »Willst du mitspielen?«
Der Junge spielte mit einigen italienischen Kindern Volleyball. Aber er hatte einen schlechten Aufschlag und traf mehrere Male das Netz. Als zwei Mädchen kicherten, lief er weg.
Vor ihm, in einiger Entfernung, ganz am Ende des Strandes, erhob sich ein hoher Turm. Er konnte nicht genau erkennen, was für ein Turm es war; er sah nur die Umrisse eines schwarzen Etwas. Die Sonne beschien den Turm von hinten, und das mächtige Bauwerk wirkte vor ihrem Licht wie ein blauer Schatten.
Der Junge lief auf den Turm zu, bis er plötzlich im Sand ein Baby entdeckte, einen kleinen Jungen. Es schrie in der Hitze.
Er nahm das Baby, hob es auf und wollte es zu dem Schattenturm tragen. Da schrie das Baby noch lauter als zuvor, und seine Mutter, die jetzt herbeieilte, rief: »Haltet den Jungen!«
Der Junge wollte das Baby zu dem Schattenturm bringen, aber plötzlich war er nicht mehr sicher, ob es überhaupt ein richtiger Turm war. Vielleicht war es auch nur ein riesiger Schatten.
Jetzt hatte die Mutter des Babys ihn eingeholt. Sie nahm ihm das Kind weg und weinte. Ein paar andere Badegäste packten den Jungen grob und führten ihn zurück.
Er fragte: »Wie weit wäre es noch bis zu dem Schattenturm gewesen?«
Da schüttelte der Mann, der ihn an der Hand führte, den Kopf und sagte verächtlich: »Das ist kein Turm. Das ist ein Hotel.«
Der Junge wurde zurückgebracht zu seinen Eltern. Als die Mutter erfuhr, was geschehen war, СКАЧАТЬ