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dem Leben davon kamen. Als die Russen in der Meinung, daß alles tot sei, wahllos noch einige Schüsse in den Leichenhaufen abgegeben hatten, verließen diese die Zelle und schlossen die Tür wieder hinter sich ab. Die 4 krochen nun unter den Leichen hervor, verbanden mit abgerissenen Hemdenstreifen notdürftig ihre Wunden und warteten die ganze Nacht. Am frühen Morgen des 25. 6. begann im Gefängnis jedoch erneut das Schießen, worauf sich die 4 wieder unter die Leichen verkrochen. Jetzt erschienen nur die beiden Frauen mit den Revolvern und gaben mehrere Schüsse in den leblosen Haufen hinein ab. Danach zogen sich die jüdischen Weiber zurück und verschlossen die Zellentür. Nunmehr rafften die 4 ihre letzten Kräfte zusammen, rissen die Heizkörper der Zentralheizung von der Wand und rannten mit diesen gegen die Tür, bis diese nachgab und aufsprang. In dieser Weise rammten sie noch mehrere Zellentüren, um gegebenenfalls noch Überlebende aus anderen Zellen retten zu können. Sie stürmten dann ins Freie, überkletterten die Gefängnismauer und rannten nach allen Himmelsrichtungen auseinander. Tsch. blieb nach etwa 100 m in einem Kornfeld völlig entkräftet liegen. Hier wurde er am 26. 6. von deutschen Soldaten, die ihn sofort einem Lazarett zuführten, aufgefunden. Der Überlebende Morosiuk sagte hierzu noch aus, daß er mit 9 Häftlingen in einer anderen Zelle lag. M. war seit dem 15. 6. 41 im Gefängnis, ohne daß er vernommen worden ist und ohne daß man ihm bisher den Grund zu seiner Festnahme bekanntgegeben hat. In seiner Zelle haben nur die beiden Judenweiber geschossen; er ist von seinen Mitgefangenen der einzige Überlebende und konnte sich nur dadurch retten, daß er sich nach 2 Beinschüssen tot stellte, ebenfalls unter bereits Erschossenen lag und sich, als die Weiber fort waren, mit Leichenblut und Leichenwasser über und über beschmierte. So hat er 2 Nächte und 2 Tage unter den Leichen und unter mehrfachen Kontrollen durch die Judenweiber liegen müssen, bis er von deutschen Soldaten am 26. 6. aus der Zelle gerettet wurde. Angaben der Ehefrau Walentyna Lepieszkiewicz: Die L. ist gebürtige Ukrainerin und mit einem polnischen Geschäftsführer einer Buchhandlung in Rowno verheiratet. Am 23.8.1940 wurde sie mit ihren Mannvom NKWD festgenommen, weil man in ihrerWohnung Waffen gefunden hatte, die sie nach ihren durchaus glaubwürdigen Angaben bei einem Krieg der Deutschen gegen die Russen, den sie als einzige Rettungsmöglichkeit vor der sowjetischen Hölle ersehnten, gegen die Sowjets verwenden wollten. 3 Monate nach der Festnahme fand in Rowno die Verhandlung gegen ihren Ehemann statt, der zu 8 Jahren Zwangsarbeit (Sibirien) verurteilt wurde und auch Anfang 1941 deportiert worden ist. Die L. hat jede Hoffnung aufgegeben, ihren Ehemann jemals lebend wiederzusehen. Sie nimmt an, daß er längst umgekommen oder von den Russen erschlagen worden ist. Gegen sie selbst hat man noch nicht verhandelt, sie ist auch noch nicht vernommen worden. Sie ist heute auch ganz froh darüber, daß sie nicht vernommen worden ist, da sie von ihren Mithäftlingen weiß, daß die Frauen fast ausnahmslos bei den Vernehmungen von den Kommissaren oder Vernehmungsrichtern vergewaltigt werden. Sie führte dazu aus, daß die Frauen derartig verängstigt sind, teils durch Drohungen, teils durch Folterungen, daß sie niemals wagten, den Gelüsten der Vernehmenden irgendwelchen Widerstand entgegenzusetzen. Die L. lag zusammen mit 8 Frauen in einer Zelle. Am Abend des 24. 6. hörten sie ein sich näherndes Schießen und Schreien. Ihre Ahnung, daß sie alle umgebracht werden sollten, wurde zur Gewißheit, als sich die Zellentür öffnete und mehrere NKWD-Männer teils mit Maschinenpistolen, teils mit Karabinern bewaffnet eintraten und sofort das Feuer auf die sich verängstigt in einer Zellenecke zusammendrängenden Frauen eröffneten. Die L. erhielt als erste Frau einen Oberschenkel-und einen Beinschuß und fiel sofort um. Auf sie stürzten die anderen. Als die Schießerei aufhörte, wurde von den Beamten die Zellentür wieder verschlossen. Sie kroch nun hervor und rief nach anderen noch Lebenden. Es kamen 2 weitere Frauen, eine nur leichtverletzte Frau von 19 Jahren und die Frau Pindwiuk, die irrsinnig geworden ist, hervor. Die verwundeten Frauen warteten nun die ganze Nacht. Am nächsten Morgen näherten sich wieder Schüsse. Es traten 2 jüdische NKWD-Beamte mit Karabinern ein, die in aller Seelenruhe ihre Bajonette aufpflanzten. Zunächst stach ein Beamter der Leichtverletzten direkt ins Herz. Die Frau war sofort tot. Beim Herausziehen des Bajonetts verlor der Jude das Bajonett, und während der andere Jude auf die Frau P. einstach, diese aber nur am Arm und Bein verletzte, da sie am Boden lag, ertönte bereits der Lärm der mit den Heizkörpern gegen die Zellentür rennenden männlichen Häftlinge. Dadurch zur Eile angetrieben, erhielt die L. nur zwei verhältnismäßig leichte Stiche mit dem Bajonett in den Hals und die beiden Beamten flohen. Die Zellentüre blieb offen. Infolge der seelischen Aufregung und der körperlichen Schwäche war es aber den beiden noch lebenden Frauen nicht möglich, die Zelle zu verlassen; zudem zeigten sich bei der P. die ersten Anzeichen des beginnenden Wahnsinns. So verbrachten beide Frauen noch den ganzen 25. 6. und den halben 26. 6. neben den übrigen Leichen in der Zelle, völlig entkräftet und geschwächt durch den Blutverlust, bis sie am 26. 6. durch deutsche Sanitäter einem Lazarett zugeführt wurden.
Aus:BAB, R 58/214
1 Dies ist als Aufforderung zu werten, den Kommissarbefehl auf Offiziere ab diesem Rang anzuwenden; vgl. Felix Römer: Der Kommissarbefehl. Wehrmacht und NS-Verbrechen an der Ostfront 1941/42, Paderborn u.a. 2008.
2 In Kremenez (Krzemieniec) lebten 1941 etwa 15000 Juden, darunter 4000 Flüchtlinge. Ebenso wie in Dubno waren die NKWD-Morde beim sowjetischen Abzug Anlaß für ein Judenprogrom; EdH, Bd. 2, S. 812.
3 Im wolhynischen Dubno lebten 1941 etwa 12000 Juden. Einigen Hundert von ihnen gelang die Flucht vor dem deutschen Einmarsch; EdH, Bd. 1, S. 372; zu den Erschießungen in Dubno: Verbrechen der Wehrmacht, S. 123–127.
4 „Ich habe selbst gesehen, daß deutsche Wehrmachtsangehörige auf dem Hofe des dortigen Gefängnisses mehrere jüdische Opfer in eine Ecke getrieben und dann Handgranaten in die Gruppe geworfen haben, wodurch diese Menschen auf der Stelle zerfetzt wurden“, Vern. Lothar Fendler v. 19.3.1962, BAL, B 162/1552, Bl. 196 ff.; zum Pogrom in Tarnopol: Verbrechen der Wehrmacht, S. 100–106.
5 Narodnyi kommissariat gosudarstvennoj besopastnosti (NKGB–Volkskommissariat für Staatssicherheit), am 3.2.1941 aus dem NKWD ausgegliedert u. am 20.7. wieder zusammengelegt; Christopher Andrew/Wassili Mitrochin: Das Schwarzbuch des KGB. Moskaus Kampf gegen den Westen, Berlin 1999, S. 686.
6 Generaloberst Iwan Alexandrowitsch Serow (1905–1990), 1937–1950 Deputierter des Obersten Sowjet, Febr. 1939 Leiter der NKWD-Hauptabt. für Miliz, Juli 1939 stellv. Leiter der Hauptverwaltung des NKWD, Sept. 1939 Volkskommissar des Innern in der Ukraine, Febr.–Juli 1941 1. stellv. Volkskommissar für Staatssicherheit, danach bis Febr. 1947 stellv. NKWD-Chef, 1945–Nov.1946 stellv. OB der Sowjetischen Militäradministration in der SBZ, März 1954 Vorsitzender des Komitees für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR, 1958 Leiter der Hauptabt. Aufklärung u. stellv. Chef des Generalstabs der Streitkräfte; vgl. Lukasz Kaminski/Krzysztof Persak/Jens Gieseke (Hrsg.): Handbuch der kommunistischen Geheimdienste in Osteuropa 1944–1991, Göttingen 2009, S. 138.
7 Zu den NKWD-Morden im Gefängnis von Dubno, in dem sich unmittelbar vor dem deutschen Angriff etwa 600 Gefangene befanden: Musial: Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen, S. 119–122. Nach Musial lassen sich die Tatumstände der in den Gestapo- u. SD-Berichten behaupteten (u. in der Nachkriegszeit bisweilen kritiklos wiederholten) Beteiligung von Juden an den Erschießungen in Dubno nicht mehr eindeutig klären; dennoch geht er davon aus, daß „zumindest ein Teil der Berichte zutrifft“. Einschränkend gibt er zu bedenken, NKWD-Funktionäre hätten als „Angehörige des sowjetischen Terrorapparats“ nicht als Juden (so sie welche waren) gehandelt, während gleichzeitig die Deutschen auf der Suche nach Vorwänden für die Verfolgung u. Ermordung von Juden gewesen seien; ebd., S. 270 ff. Die Verbrechen des NKWD in Dubno wurden in 2 Beiträgen der Propagandakomp. 637 mit den Titeln „Bolschewistischer Massenmord in Dubno“ (29.6.1941) u. „Im Blutkeller der GPU“ (10.7.1941) ausgeschlachtet. Dafür machte man Photos vom Ort des Geschehens u. Portraitaufnahmen „roter Verbrecher“ – Stereotypen des Juden u. des Politkommissars –, die „als Spitzel laufend der GPU die Opfer ans Messer lieferten“; erhalten im Bestand des Vertreters des AA beim AOK 6, PAAA, R 60762; vgl. Marco Carynnyk: The Palace on the Ivka-Dubne, September 18th, 1939 and June 24th, 1941, in: Barkan/ Cole/Struve: Shared History–Divided Memory, S. 263–301.