Rattentanz. Michael Tietz
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Название: Rattentanz

Автор: Michael Tietz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Edition 211

isbn: 9783937357447

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СКАЧАТЬ aus einem der drei- und vierstöckigen Häuser, die am Ende des neunzehnten Jahrhunderts errichtet worden waren und die Straßen der Innenstadt nahtlos säumten, hatte ihnen eine alte Frau zugewunken. »Hilfe!«, schrie sie. »Ich bin überfallen worden!« und dabei wedelte sie mit beiden Armen aus einem Fenster unterm Dach und lehnte sich weit vor.

      »Wenn die so weitermacht, flattert sie gleich los«, hatte Meinhoff leise gespottet. Dann, lauter und gut hörbar, hatte er der verständnislos blickenden Frau erklärt, dass sie einen anderen Auftrag hätten, dass aber, sobald alles wieder funktionieren würde, jemand vom Revier vorbeikäme.

      Verfolgt von den Hilferufen und den Verwünschungen der alten Frau waren sie weitergefahren und vor der Filiale der Deutschen Bank ausgestiegen. Vor dem Haupteingang hatten sich gut zwei Dutzend Männer und Frauen versammelt, die vergebens versuchten, eingelassen zu werden. Hinter einer abgeschlossenen Glastür standen zwei Män ner im Anzug und hatten nur mit dem Kopf geschüttelt.

      »Die lassen uns nicht rein!«, schimpfte ein älterer Herr und drohte mit seiner knorrigen Faust Richtung Eingang. »Nicht mal an den Geld automaten lassen die uns ran.«

      Obermeister Werner Meinhoff, Leiter der Streife, hatte an die Glastür geklopft, während Beck, di Sario und Wegmann die Leute vorsichtig von der Tür abgedrängt und dabei beruhigend auf sie eingeredet hatten. So hatten sie es im Deeskalationsseminar gelernt. Mein hoff war inzwischen von den beiden Bankern eingelassen worden.

      »Wir können die Bank nicht öffnen«, erklärten die Männer. »Abgesehen davon, dass wir ganz allein hier sind, können wir keinerlei Buchungen vornehmen. Die Computer streiken und wir haben keine Möglichkeit, den Saldo irgendeines Kontos abzufragen. Woher sollen wir wissen, ob die Leute überhaupt was abzuheben haben?«

      »Davon ganz abgesehen kommen wir an keinen einzigen Euro ran. Im Kellertresorn liegt zwar reichlich Bargeld, aber die elektronischen Schlösser blockieren die Verriegelung. Ohne Strom und funktionierenden Computer können wir hier gar nichts unternehmen, selbst wenn wir wollten.«

      Den Polizisten leuchteten die Argumente der Banker ein, nicht aber den Passanten auf der Straße. Den vielen Älteren unter ihnen, die während des Zweiten Weltkrieges und in den Hungerjahren danach aufgewachsen waren, steckte diese Kindheitserfahrung zu tief in den Knochen. Sie konnten nicht einfach nur dastehen und ruhig und im Vertrauen auf das Funktionieren der gewohnten Ordnung die weitere Entwicklung abwarten. Ihre erste Intuition war, das Eigentum zu sichern und die Vorräte zu kontrollieren. In einem Land, in dem alles zu jeder Zeit käuflich erwerbbar war, beschränkten sich die Vorräte zu Hause im Allgemeinen auf den Bedarf der kommenden zwei, drei Tage.

      »Ich habe fünfunddreißigtausend Euro auf dieser Bank liegen und jetzt«, eine Frau kramte ihren Geldbeutel aus der Handtasche und hielt den Polizisten die fast leeren Fächer unter die Nasen, »jetzt habe ich nicht mal Geld, um ein Brot und Butter zu kaufen, so lange es noch etwas gibt.«

      Vor der Volksbank war das Problem das gleiche, ebenso bei der kleinen Innenstadtfiliale der Sparkasse. Hier allerdings war die Lage beim Eintreffen der vier Beamten ein klein wenig anders. Eine Menschentraube von vielleicht vierzig Personen drängte gegen den Eingang, der im Gegensatz zu den anderen Banken weit offen stand. Als am Morgen der Strom ausgefallen war, hatten sich zwei Angestellte der Filiale im Tresorraum befunden. Eine der Frauen wollte, als das Licht ausging und ein leises Zischen der offen stehenden Tür das automatische Schließen ankündigte, schnell noch den Tresor verlassen. Sie war im Dunkeln Richtung Tür gerannt und hätte es fast geschafft, als sie über die Geldkassette stolperte, die sie selbst vor wenigen Minuten, zum Abtransport bereit, vor die Tür gestellt hatte. Sie rutschte über den glatten Steinboden wie eine gefallene Eiskunstläuferin und blieb genau im Türrahmen liegen. Ein leises Zischen der sich schließenden Tür, dann wurde ihr Brustkorb eingeklemmt. Das Knacken der brechenden Rippen ging in den gellenden Schreien der Frau unter, die von den eisernen kalten Wänden des Tresorraumes zurückgeworfen wurden. Sie schrie hoch und unvorstellbar laut, schrie in Todesangst und von niemals erwarteten Schmerzen gepeinigt. Rippen durch spießten die Lungen, die Tür drückte weiter. Die Schreie wurden schwächer, dann löste sie verzweifeltes Japsen ab.

      Ihre Kollegin hatte noch versucht, die Frau zu retten. Sie stemmte sich gegen die Stahltür, aber umsonst – die am Boden Liegende wurde langsam zerquetscht, so aber auch das völlige Schließen des schweren stählernen Monstrums verhindert. Die Blutungen in ihrem Brustkorb und die unvorstellbaren Schmerzen ließen sie nach wenigen Minuten bewusstlos werden. Zwanzig nach sieben, in dem Moment, als der Leiter dieser kleinen Filiale das Gebäude betrat, war sie tot.

      Der Filialleiter, vom verzweifelten Rufen der eingeschlossenen Mitarbeiterin in den Keller gelockt, mühte sich einige Minuten vergeblich, die Tür zu öffnen. Außer Atem und mit Schweißperlen auf der Stirn versuchte er telefonisch, Hilfe zu rufen. Schließlich wusste er sich nicht anders zu helfen, als die Kunden, die bereits vor der Bank warteten und an die Glastüren klopften, um Hilfe zu bitten. Er erwartete zwar noch einen weiteren Mitarbeiter, war sich aber sicher, dass sie ge meinsam immer noch zu schwach wären, die schwere Tür zu öffnen und die Frauen zu befreien. Was der Filialleiter nicht wusste war, dass sein verspäteter Mitarbeiter mit seinem Wagen einen kleinen Unfall hatte und deshalb diesen Tag gedachte, mit seinem Überstundenkonto zu verrechnen.

      Zu siebt hatten sie es bis halb neun endlich geschafft, die Tür so weit aufzuhebeln, dass die Eingeschlossene den Tresorraum verlassen und die Leiche herausgezogen werden konnte. Danach überschlugen sich die Ereignisse in der kleinen Filiale.

      Während der Filialleiter das Gesicht der Toten mit seinem Jackett zudeckte, war den Kunden der Inhalt des kleinen Raumes hinter der Stahltür aufgefallen. Im Lichtkegel der Taschenlampe, die der Leiter mit in den Keller gebracht hatte, sahen sie Geldpakete, Hartgeldrollen und einige kleine Goldbarren.

      »Danke für Ihre Hilfe.« Der Filialleiter wollte die Menschen, die unruhig vor der Tresortür standen, nach oben schicken. »Könnte einer von Ihnen bitte zur Polizei gehen?«, hatte er gefragt.

      »Wozu denn? Der ist nicht mehr zu helfen«, hatte ein Mann geantwortet, der nach Alkohol roch und sich gerade eine Zigarette ange zündet hatte. »Ich würde aber gern die dreihundertvierundzwanzig Euro abheben, die noch auf meinem Konto sind.«

      »Tut mir leid, aber solange die Computer nicht funktionieren, kann ich nichts auszahlen. Außerdem«, fügte er mit einem Blick auf die Leiche der Frau hinzu, »weiß ich nicht, ob die Bank heute überhaupt noch öffnet. Wäre doch ziemlich pietätlos.«

      »Pietät hin oder Pietät her«, hatte der mit der Zigarette herumgefuchtelt und war einen Schritt auf den Filialleiter zugegangen, »ich will jetzt mein Geld. Sofort!«

      »Genau, ich will auch alles abheben!«

      »Ich auch!«

      »Und ich!«

      Alle sieben – der Sozialhilfeempfänger, der nach Alkohol roch, ein Ehepaar Ende sechzig mit goldener Kette um den Hals (sie) und Mercedesschlüssel in der Hand (er), ein etwas verschlafen wirkender Teen, eine spindeldürre Ökotante, spätgebärend, mit dem Zwillingskinderwagen vor dem Filialeingang sowie zwei Männer einer Baufirma, die, nachdem ihnen ihr Chef heute frei gegeben hatte, auf dem Weg zurück nach Hause waren und gerade zufällig an der Bank vorbeikamen, als der Filialleiter um Hilfe rief – sie alle waren sich in ihrer Forderung nach sofortiger Auszahlung ihrer Guthaben erstaunlich einig.

      »Bitte, versuchen Sie es doch in unserer Hauptniederlassung. Es sind doch nur ein paar Minuten von hier!« Doch sein Rat fiel auf unfruchtbaren Boden.

      »Also, wenn Sie mir nichts geben wollen, hebe ich meine Kohle halt selbst ab.« Der Mann, der nach Alkohol roch, hatte seine Zigarette ausgetreten und wollte sich durch die schmale Öffnung СКАЧАТЬ