Sprachgewalt. Группа авторов
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Название: Sprachgewalt

Автор: Группа авторов

Издательство: Автор

Жанр: Социальная психология

Серия:

isbn: 9783801270308

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       Freiheit

      Michael Quante

       Wahrheit

       Über die Autorinnen und Autoren

       Danksagung

      Einleitung

      »Politische Sprache wird gestaltet, um Lügen wahrhaftig und Mord respektabel klingen zu lassen und leerem Geschwätz Aufmerksamkeit zu verschaffen.« Diese düstere Behauptung machte der britische Schriftsteller George Orwell in seinem 1946 veröffentlichten Essay Politics and the English Language und fügte hellsichtig hinzu: »Man sollte begreifen, dass das gegenwärtige politische Chaos mit dem Verfall der Sprache zusammenhängt und dass sich eine Verbesserung wahrscheinlich dadurch erreichen ließe, bei seinem verbalen Ende anzufangen.«1

      Wer Orwells Worte heute liest, könnte meinen, er beschreibe den aktuellen Zustand unserer Welt. Sie klingen auffallend zeitgemäß. Fünfundsiebzig Jahre sind seit ihrer Niederschrift vergangen. Wir haben Orwell vielleicht gelesen, aber seine Warnung scheinen wir nicht verinnerlicht zu haben.

      Das Ziel dieses Buches ist, das Bewusstsein für eine Sprache zu schärfen, die irreführend sein kann und oft genug bewusst in die Irre führen soll. Es ist jedoch kein Lexikon, sondern eine Sammlung von Essays. Der Aspekt, der für die Auswahl des jeweiligen Begriffs entscheidend war, ist sein Framing – sein Bedeutungsrahmen, der entscheidenden Einfluss darauf nimmt, wie Menschen dieses Wort verstehen. Es geht also um Begriffe, die nur vermeintlich klar sind, die oft gebraucht, aber schwer oder selten verstanden werden. Es geht um Begriffe, die im politischen Diskurs zur Beurteilung und Kategorisierung dienen, zur Einteilung in Gut und Böse, die beschönigen oder stigmatisieren, ein- oder ausschließen, fördern oder vernichten.

      In seinem 1947 erschienenen Buch über die Macht der Sprache des Dritten Reiches, Lingua Tertii Imperii, erklärt Victor Klemperer »Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen je selbstverständlicher, je unbewußter ich mich ihr überlasse. Und wenn nun die gebildete Sprache aus giftigen Elementen gebildet oder zur Trägerin von Giftstoffen gemacht worden ist? Worte können wie winzige Arsendosen sein: Sie werden unbemerkt verschluckt; sie scheinen keine Wirkung zu tun – und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.«2

      Die Idee hinter SPRACHGEWALT ist, sich auf dieses Problem zu konzentrieren. Es ist nicht neu, aber heute, zu einer Zeit, in der sich die Gesellschaft immer stärker polarisiert, brennender als in den ganzen fünfundsiebzig Jahren nach Kriegsende.

      Wir leben in einer Welt, in der das Wort »postfaktisch« – auf Englisch »Post-Truth« – von der Redaktion der Oxford Dictionaries zum Internationalen Wort des Jahres 2016 gekürt wurde, ein Urteil, dem sich die Gesellschaft für Deutsche Sprache anschloss. Im selben Jahr wurde ein gewisser Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt, und eine betrügerische antieuropäische Referendums-Kampagne in Großbritannien führte zum Brexit.

      Politiker, die nicht hundertprozentig ehrlich sind, sind kein neues Phänomen. Übertreibungen und Halbwahrheiten werden mittlerweile gar in Kauf genommen, so lange jedenfalls, wie die allgemeinen Aussagen und Botschaften glaubwürdig erscheinen. Aber der Typus des »postfaktischen Politikers« stellt uns vor eine größere Herausforderung, empfindet er doch die Selbstverpflichtung zur Wahrheit als ein mühsames, unnötiges Hindernis, das man getrost außer Acht lassen kann. Er verkündet mit der vollen Autorität seines Amtes – wir müssen nur unsere Zeitungen aufschlagen, um Beispiele dafür zu finden – was seiner Meinung nach seinen momentanen Interessen am besten dient.

      Nicht nur, dass jene politische Sprache, die nach Orwell dazu dient, Lügen wahrheitsgetreu klingen zu lassen, nicht verschwunden ist, die Mittel ihrer Verbreitung sind zudem ausgefeilter geworden. Wissenschaft und Technologie wurden und werden skrupellos für Desinformationsziele aller Art benutzt. Die technologische Entwicklung hat die Informationskanäle, die uns erreichen, fast grenzenlos ausgeweitet. Nur auf den ersten Blick macht es uns diese Vielfalt leichter, »Wahrheit« und »Lüge« zu unterscheiden.

      Die neuen Entwicklungen ermöglichen es außerdem, dass Maschinen vernünftig klingende Texte produzieren, die strategisch in die sozialen Medien eingespeist werden. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz werden gefälschte Fotos und Videos erstellt und verbreitet. Es wird immer schwieriger, maschinelle von »echten« Inhalten menschlicher Autoren zu unterscheiden. Wir ertrinken in Informationen und wissen nicht mehr, wem wir vertrauen können.

      Was fake, gefälscht, und was echt ist, mag für manche eine rein ästhetische Frage sein, aber sie hat praktische, manchmal lebensgefährliche Auswirkungen, und wir müssen lernen, kritisch zu lesen und kritisch zuzuhören, damit wir in der Lage sind, diese Unterscheidung zu treffen. In einer Welt, in der ein Präsident der Vereinigten Staaten – und er war nicht der einzige – fast täglich Lügen und Legenden twittert, müssen wir wachsam sein und unsere politischen Instinkte schärfen, um uns vor solchen Machenschaften zu schützen.

      Sehr schnell kann der Punkt erreicht werden, an dem die Frage zu stellen ist: Wie bleiben wir wachsam, ohne paranoid zu werden? Für den britischen Philosophen Bertrand Russell war klar: »Wenn man einem Fürsten vertrauen kann, dann nicht, weil er gut ist, sondern weil es gegen seine Interessen ist, schlecht zu sein.« Er plädiert für hohen Skeptizismus. In der Tat geht Demokratie nicht von blindem Vertrauen aus. Ganz im Gegenteil. Um sich vor Missbrauch zu schützen, bedarf die Demokratie robuster Kontrollmechanismen. Vertrauen hält unsere Gesellschaft im Kern zusammen, aber Vertrauen bedeutet nicht Kritiklosigkeit. Wir müssen wachsam bleiben, um nicht manipuliert zu werden. Und doch wird bei völligem Misstrauen ein gemeinsames Leben sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Ständige Wachsamkeit hat ihren Preis, sie erfordert Zeit und Konzentration und kann dazu führen, dass ein diffuses Misstrauen die Oberhand gewinnt. Die Vorstellung, dass unsere gewählten Repräsentanten unglaubwürdig sind, kann an sich schon destruktiv sein. Es ist viel einfacher, im Vertrauen darauf durchs Leben zu gehen, dass die Informationen, die uns erreichen, einwandfrei sind und wir stets die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit erfahren. Der amerikanische Philosoph, Logiker und Mathematiker Charles Sanders Peirce (1839–1914) – der auch als »Vater des Pragmatismus« bezeichnet wird – schrieb: »Wir klammern uns beharrlich daran, nicht nur zu glauben, sondern das zu glauben, was wir glauben.«3 Er erklärte, dass Menschen zu fast allem bereit sind, um an ihrem Glauben oder ihren Überzeugungen festhalten zu können, die es ihnen ermöglichen, unbequeme Zweifel zu eliminieren. Anstatt die gesamte Bandbreite der verfügbaren Informationen zu untersuchen, glauben wir lieber genau das weiter, was wir bereits glauben.

      In der politischen Sprache spielen Slogans und Schlagwörter eine wichtige Rolle. Die deutsche Sprache hat hierfür einen treffenden Namen: Kampfbegriff – ein »Reizwort, das die Gegner in einer Auseinandersetzung provozieren und die Zuhörer für den eigenen Standpunkt überzeugen soll«4, wie der DUDEN schreibt, ein Begriff, der als »Instrument des politischen Meinungskampfes« dient. Kurioserweise hat die englische Sprache kein wirklich passendes Äquivalent. Schlachtruf, politische Parole, polemischer Slogan – keiner davon ist so eingängig wie Kampfbegriff. Begriffe, sagt Bertold Brecht in seinen Flüchtlingsgesprächen, »sind sehr wichtig. Sie sind die Griffe, mit denen man die Dinge bewegen kann.« Bei Kampfbegriffen können diese Griffe zu Waffen werden.5

      Es gibt Begriffe wie Freiheit, Demokratie, Wahrheit СКАЧАТЬ