Название: Vagos, Mongols und Outlaws
Автор: Kerrie Droban
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783854454045
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Vor meinem geistigen Auge tauchten Szenen meiner von bitterer Armut geprägten Kindheit in einem hauptsächlich von Latinos bewohnten Stadtteil auf. Für mich als Außenseiter und „White Trash“ gab es nur einen Weg in die Freiheit, den ich dann auch einschlug: Ich wurde Drogendealer und verbrachte mein Leben damit, große Mengen Kokain von Südamerika nach Europa zu schmuggeln. Das Geld motivierte mich, und ich hatte Talent. Zu der damaligen Zeit rechtfertigte ich mein Handeln mit einer Art „ehrenwertem“ Verbrechenskodex, denn ich konnte mir zumindest vormachen, kein hinterhältiger Dieb oder Kinderschänder zu sein. Als sich der Markt veränderte und Methamphetamin die Stelle von Koks einnahm, wurde ich Drogenkoch und verdiente eine halbe Million Dollar jährlich. Während ich in meiner geräumigen Villa mit den schönen weißen Wänden und den schicken Ledergarnituren von Zimmer zu Zimmer schlurfte, kämpfte ich mit der Illusion, nicht zu den Junkies zu gehören, obwohl mich die Sucht schon fest in den Klauen hatte. Ich warf das Geld in den Deckenventilator, machte daraus Konfetti für die Straße, ich hatte ja genug Kohle. Doch plötzlich verschwanden die teuren Sportflitzer, wurden einfach wieder abgeholt. Meine Frau verließ mich. Ich geriet in Panik. Hastig durchquerte ich die Eingangshalle und schloss sämtliche Türen mit einem gehörigen Knall. Mich überkam die Angst, Wesen aus der Welt der Schatten würden mich überwältigen. Ohne Elektrizität verwandelte sich das Haus in ein Inferno.
Aluminiumfolie klebte an den Fenstern, ließ nicht den kleinsten Sonnenstrahl hinein. Mein Leben rann mir sinnlos durch die Finger. Stunde um Stunde endloser Monotonie bestimmte mein Sein. Ich schloss die Augen, hoffte, dass mich niemand in diesem Zustand sah. Doch dann – ein Hämmern an der Eingangstür, lautes, gepresstes Brüllen: „Polizei – öffnen Sie sofort!“ Ich rannte zur nächsten Toilette, kniete mich vors Klo, schüttete die Drogen mit zittrigen Händen da rein und zog die Spülung ab. Wasser spritzte an meine Wangen. Mein Kopf schien vor Lärm zu bersten. Schwarzuniformierte Männer traten die Tür ein. Auf ihren Sturmjacken erkannte ich den Schriftzug LOS ANGELES COUNTY SHERIFF SWAT TEAM in großen weißen Buchstaben. MP5-Maschinenpistolen richteten sich auf meine Brust, und die roten Laserstrahlen umkreisten das Herz. Irgendwie verspürte ich trotzdem Erleichterung.
Schnitt. Zurück in die Gegenwart. Bislang hatten bereits verschiedene Bundesbehörden versucht, die Vagos zu infiltrieren, doch immer ohne Erfolg. In Kalifornien waren sie vier oder fünf Mal so groß wie die Hells Angels, und ihre Gewalttätigkeit hatte sich herumgesprochen. Die Polizeibehörden sorgten sich zunehmend wegen des Hangs der Gang zu brutalen, scheinbar sinnlosen Angriffen, Waffenschmuggel, zur Verbreitung und zum Handel mit gefährlichen Betäubungsmitteln, zu Schutzgelderpressung, Kreditwucher und Mord, Straftaten, die von der Biker-Szene ausgingen und mittlerweile alle Bevölkerungsschichten in Mitleidenschaft zogen. Die Gangmitglieder lebten wie Ratten in den dreckigsten, stinkendsten Löchern der Stadt. Die Regierung interessierte sich nicht dafür, das Problem einzudämmen – sie wollte es beseitigen!
„Und was muss ich machen?“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust, nervös und angespannt, da ich nicht wusste, was für eine Aufgabe mir bevorstand. Kiles informierte mich kurz und knapp über die Geschichte und die Bedeutung der Vagos: Der Club war in den Sechzigern im San Bernardino Valley gegründet worden und umfasste 24 Chapter in Südkalifornien, Arizona, Nevada, Oregon, Utah und auf Hawaii. In Mexiko gründeten sich zehn Chapter (in Baja California, Jalisco und Mexiko-Stadt). Die Gang, zuerst nannte sie sich „The Psychos“, wählte als Abzeichen ein Bild des nordischen Gottes Loki, der für seine Gerissenheit und sein Intrigenspiel bekannt ist, auf einem stilisierten Motorrad. Sie musste keinen Feind fürchten und beabsichtigte auch nicht, Rivalen wie den Hells Angels oder den Mongols den Krieg zu erklären. Der Club schloss sich sogar je nach Lage der Dinge mit anderen Gangs zusammen. Durch seine Unberechenbarkeit und seine gewalttätigen, sorgsam eingefädelten und unberechenbaren Übergriffe sicherte er sich seine Machtposition. Die Philosophie der Vagos war eindeutig, denn die Mitglieder wollten lieber gefürchtet als verehrt werden! Sie waren die Mafia auf zwei Rädern, doch ohne die Absicht, ein bestimmtes Ansehen zu wahren oder ihr Tun irgendwie zu legitimieren. Die Vagos verbargen ihre Brutalität nicht, sondern stellten sie offen zur Schau. Egal ob ihr Draufgängertum auf ihr offensives Macho-Gebaren zurückzuführen war, auf einen tierischen Instinkt oder den Kampf um die Vormachtstellung in der Drogenwelt – durch ihr Handeln kamen erschreckend viele Menschen ums Leben.
„Sie sollen da rein, Informationen über die Gang sammeln, die Anführer identifizieren, von ihnen Drogen kaufen und möglichst viele illegale Schusswaffen sicherstellen“, sagte Kiles und nannte mir eine Liste der Bars in einem Radius von 40 Meilen um mein Apartment, die von den Vagos häufig besucht wurden. Die Mitglieder seien nicht schwierig auszumachen, klärte sie mich auf, denn alle Outlaw-Biker-Gangs trügen voller Stolz ihre Kutten. Es waren ärmellose Westen aus Jeansstoff oder Leder mit aufgenähten Abzeichen, die nicht nur die Zugehörigkeit zu einem Club symbolisierten, sondern auch die kriminellen und sexuellen „Errungenschaften“ eines Bikers verrieten. Sie wollten der Öffentlichkeit zeigen, dass sie zu den Gesetzlosen gehörten, den sogenannten „Onepercentern“3, einer kleine Gruppe von Motorradfans, verantwortlich für 99 Prozent aller Straften, die Biker verübten.
„Achten Sie auf die Führungspersonen!“ Kiles trank ihren Becher aus. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie man die Anführer erkannte. Sie erklärte es mir: „Die mit dem grünen Abzeichen.“ Die Vollmitglieder (Full-Patch-Members) trugen auf der Rückseite ihrer Kutte ganz unten den „Bottom Rocker“, auf dem „Kalifornien“ stand. Der Aufnäher oben gab den Club an, in diesem Fall die Vagos, und der mittlere Aufnäher zeigte ein großes V und ein Bild des gehörnten Loki. Der Name Vagos stammte – obwohl er leicht spanisch klingt – von „vagabond“ ab, dem englischen Begriff für umherziehende Menschen. Die Gang bestand zu 70 Prozent aus Weißen, jedoch war der Anführer ein Latino.
„Wenn Sie drin sind, müssen Sie improvisieren.“
Die „Bezahlung“ für den gefährlichen Auftrag bestand nicht in Geld, sondern in Zeit. Falls ich nicht den Rest meines Lebens hinter Gittern verbringen wollte, musste ich Resultate liefern. Die mir drohenden 22 Jahre zogen sich wie eine Schlinge um meinen Hals zusammen, nahmen mir die Luft zum Atmen. Ich verfügte weder über einen Plan noch ein Bike und stand auch nicht unter dem offiziellen Schutz der Behörde. Ich fühlte mich alleingelassen und war so einsam wie niemals zuvor in meinem Leben.
Zuerst folgte ich Kiles’ Vorschlag und hing in Kaschemmen wie dem Motherlode rum, in der Hoffung, Gespräche der Biker zu belauschen, während ich mit den Stammgästen Billard spielte und einige Bier hob. Der Trinkspruch der Biker – „Viva Los Vagos und fick die anderen in den Arsch“ – hallte durch den Laden. Die Graffiti an der Wand bildeten eine Mischung aus Realität und Phantasie ab, denn sie spielten auf das Thema Autoklau im großen Stil an, allerdings mit Blick auf eine fiktive Latino-Straßengang in Los Angeles, die Krieg gegen eine ebenfalls fiktive Grove-Street-Gang führte. Ich beobachtete einige Biker, die mir argwöhnische Blicke zuwarfen. Adrenalin pumpte durch meine Adern, ich hatte das Gefühl, unter Starkstrom zu stehen. Damals lebte ich in einem winzigen Apartment mit meinem Pitbull Hercules, 30 Meilen von der County-Grenze entfernt. Jede Nacht fuhr ich durch die frostige Dunkelheit von meiner Bude zu der Bar und dann wieder zurück. Meist stolperte ich um 3 Uhr morgens durch die Tür – hungrig, übermüdet und verängstigt, da das gleiche Spielchen in einigen Stunden wieder von vorne begann.
Nachdem zwei Wochen lang nichts passiert war, legte ich mir einen Plan zurecht.
Das in Hesperia gelegene Motherlode stank ekelerregend. Eine Mischung aus schalem Bier, Pisse und Kotze verpestete die Luft. Vor dem Schuppen standen die Harleys aufgereiht. Die Musik pulsierte СКАЧАТЬ