Название: Das Geheimnis von Karlsruhe
Автор: Bernd Hettlage
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Lindemanns
isbn: 9783881908351
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Alle schauten jetzt in Richtung Pyramide, die nachts ebenfalls angestrahlt wurde und matt im Dunkeln schimmerte.
„Pyramide und Obelisk, ägyptische Herrschaftssymbole in Karlsruhe“, sagte Birkenmeyer, während ein Windstoß die über seine Stirnglatze gekämmten Haare in die Luft wirbelte. Er strich sich über den Kopf, um sie wieder an die alte Stelle zu befördern.
„Über Deutschland, so eine Theorie, kann man ja ein Pentagramm legen“, fuhr Birkenmeyers Adlatus fort, der Regieassistent Ludo Fink, der neben ihn auf das Podest getreten war. Er war so schmächtig, dass er neben seinem Chef automatisch wie ein Lehrling wirkte, selbst wenn die Rollen vertauscht gewesen wären. „Die Eckpunkte dieses Pentagramms sind unter anderem die Karlsruher Pyramide und der Frankfurter Messeturm, der eigentlich ebenfalls ein Obelisk ist.“
Ein leicht belustigtes Raunen ging durch das Publikum. Fink hob die Hände, zur Stille gemahnend.
„Auch über Karlsruhe lässt sich solch ein Pentagramm legen. Die Eckpunkte sind dann die alte Dorfkirche in Eggenstein, der Bismarckstein in Ettlingen und Kirchen oder uralte heilige Stätten in den Orten Kleinsteinbach, Rastatt-Rheinau und Büchelberg in der Pfalz.“
Das Raunen nahm zu.
Fink wurde lauter: „Das Pentagramm – oder besser: das umgedrehte Pentagramm, also der Drudenfuß – gilt ja heute als Zeichen des Bösen. Es ist aber das Gegenteil. Es ist in Wirklichkeit ein Bannzeichen gegen das Böse. Nachzulesen schon bei Goethes Faust. Dort kann Mephisto nämlich Fausts Studierzimmer nicht mehr verlassen, weil ein Pentagramm auf der Tür zu sehen ist. ‚Das Pentagramma macht dir Pein?‘, fragt Faust den Mephisto.“
„Meine Damen und Herren!“, übernahm Birkenmeyer wieder. „All diese Phänomene sind belegbar, ja sie sind sogar offen sichtbar im Stadtbild – für den, der sehen kann und will. Nehmen Sie die Straßen des sogenannten Karlsruher Fächers. Sie bilden mit der Kaiserstraße, der zentralen Magistrale in Karlsruhe, ein gleichschenkliges Dreieck. Gleichzeitig führt um das Schloss herum – genauer: um den Schlossturm – ein Kreis, der wie mit einem Zirkel gezogen scheint. In weiten Teilen ist dieser Kreis bis heute eine Straße, die ‚Am Zirkel‘ heißt. Sie kennen sie alle. Noch heute kann man bei einem Blick auf den Stadtplan beides erkennen. Auf historischen Darstellungen Karlsruhes ist es auf den ersten Blick zu sehen. Es sind die zentralen geometrischen Formen der Anlage. Und jetzt frage ich Sie: Wessen Symbole sind denn Dreieck und Zirkel?“
Während Birkenmeyer anfing zu schwitzen und seine Rede mit ausholenden Gesten unterstrich, hörte ihm das Publikum aufmerksam zu.
Der Regisseur lächelte: „Die Freimaurer, meine Damen und Herren. Zirkel und Dreieck sind die Symbole der Freimaurer.“
Er blickte einmal rundum über die Menge und nickte befriedigt. Manch einer im Publikum blickte sich zum Schloss um, als sähe er es zum ersten Mal.
„Auch das Pentagramm spielt bei den Freimaurern keine ganz unwichtige Rolle. Denn die Vorläufer der Freimaurer waren ja die Bauhütten, die verantwortlich für den mittelalterlichen Kirchenbau, aber auch die Errichtung der Stadt Karlsruhe waren. Die Baumeister und die Handwerker, die zu den Hütten gehörten, hüteten eine Menge altes Wissen. Geheimwissen zum großen Teil, das sie nur an die jeweiligen Mitglieder ihrer Hütte weitergaben. Wissen, das bis in ägyptische Zeiten zurückreichte, manche behaupten, bis ins sagenhafte Atlantis. Dazu gehörte auch der Goldene Schnitt. Sie haben vielleicht schon davon gehört.“
Einige in der Menge nickten, jemand rief: „Leonardo da Vinci!“
„Richtig.“ Birkenmeyer kratzte sich am Kopf und strich sich dabei möglichst unauffällig über die Haare, um ihren Sitz zu prüfen. „Man findet ihn bei Leonardos berühmter menschlicher Proportionsstudie, die übrigens auf viel ältere Darstellungen zurückgeht. Ich will Sie jetzt nicht mit Mathematik langweilen, aber beim Goldenen Schnitt geht es, kurz gesagt, um ein bestimmtes Verhältnis, das zwei Streckenlängen zueinander haben. Dieses Verhältnis beträgt ungefähr 1 : 1,6 und wird mit dem griechischen Buchstaben Phi bezeichnet. Phi ist eine in vieler Hinsicht magische Zahl mit einer unendlichen Anzahl von Ziffern hinter dem Komma. Was darüber hinaus das Interessante daran ist: Man findet dieses Verhältnis in der Natur vielfach wieder, bei der Anordnung der Blätter von Pflanzen, bei der Außenhaut von Früchten wie der Ananas, ja sogar bei der Struktur von Galaxien.“
Birkenmeyer streckte theatralisch einen Arm in den Himmel. Nicht wenige Blicke folgten ihm, obwohl von hier aus, mitten in der hell erleuchteten Stadt, nur wenige Sterne zu erkennen waren. Arnold blickt auch kurz nach oben, dann wieder nach vorne und sah dabei den großen Schweißfleck unter der Achsel auf Birkenmeyers weißem Hemd.
Der nahm, als spürte er Arnolds Augen auf sich, den Arm schnell wieder nach unten.
„Auch in der Architektur, in der Malerei, ja sogar in der Musik findet man Strukturen nach dem Goldenen Schnitt. Man findet sie in der Königskammer der Cheops-Pyramide. Und im Pentagramm. In diesem fünfeckigen Stern lässt sich wirklich überall der Goldene Schnitt beobachten, jede einzelne Teilstrecke darin steht im Verhältnis der Zahl Phi zueinander. Und, meine Damen und Herren, wenn wir jetzt zusammen weitergehen ...“
Birkenmeyer beugte sich bei diesen Worten nach vorne, sodass sein Gesicht fast völlig verschattet wurde. Nur seine Augen wurden von einem der Bodenscheinwerfer beleuchtet.
Er hat das bestimmt vorher geprobt, dachte Arnold.
„ ... dann werden sie sich den Goldenen Schnitt im Stadtpan Karlsruhes sozusagen erlaufen. Denn alles hier auf dem Weg vom Schlossturm bis zum Ettlinger Tor steht im Verhältnis des Goldenen Schnitts zueinander. Zum Beispiel teilt die Kaiserstraße den Weg vom Schlossturm zum Obelisken am Rondellplatz direkt nach dem Goldenen Schnitt.“
Birkenmeyer richtete sich wieder auf.
„Das war Weinbrenners Werk. Das Werk Friedrich Weinbrenners, der diese sogenannte Via Triumphalis zwischen Schloss und Ettlinger Tor mit Pyramide, Obelisken, Rathaus und Stadtkirche geschaffen hat. Und, meine Damen und Herren, der Goldene Schnitt war durchaus auch zu Zeiten Weinbrenners, also Anfang des 19. Jahrhunderts, noch Geheimwissen. Das fand man in keinem der damals erhältlichen Lehrbücher. Aber ...“, er beugte sich wieder nach vorne, als wollte er dem Publikum flüsternd ein Geheimnis verraten, das nicht jeder hören sollte, „ ... auch damals waren die Freimaurer in unserer Stadt aktiv. Nicht wenige badische Honoratioren bis hin zum Markgrafen Carl Friedrich selbst hatten zuvor der geheimnisumrankten ägyptischen Loge des Grafen Cagliostro in Basel angehört.“
Birkenmeyer hob den Kopf und klatschte in die Hände. „Folgen Sie uns.“ Er stieg schwungvoll und mit wehender Jacke vom Sockel des Markgrafen herunter, der sich dies alles mit hatte anhören müssen, zur Stummheit verdammt. Die Menge folgte.
Während sie den sogenannten Platz der Grundrechte betraten, der aus Dutzenden Lampen, die im Boden eingelassen waren, beleuchtet wurde, diskutierten die Besucher leise miteinander. Der kleine Mann, der vorhin das Gruftipärchen über den Theaterabend aufgeklärt hatte, befand sich wieder an Arnolds Seite. Er schnaubte unwillig und murmelte vor sich hin.
„So kann man das doch nicht machen“, verstand Arnold.
Birkenmeyer drehte sich am Ende des Platzes noch einmal zur Menge um. „Wir stehen jetzt auf dem Platz der Grundrechte. Karlsruhe ist ja die Stadt des Rechts, hier befindet sich der Sitz der höchsten Gerichte Deutschlands. Wir lassen jetzt einmal außer Acht, warum das so gekommen ist. Stattdessen reden wir von Recht und Gerechtigkeit. Das sind ja zwei ganz verschiedene Dinge, wie jeder weiß, der schon einmal mit Gerichten zu tun hatte.“
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