Die Schatzinsel. Robert Louis Stevenson
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Название: Die Schatzinsel

Автор: Robert Louis Stevenson

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Reclam Taschenbuch

isbn: 9783159618586

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СКАЧАТЬ jedoch, dass er einer solchen Begegnung gerade ausweichen wollte. Wenn tatsächlich einmal ein Seemann im Admiral Benbow einkehrte – und das geschah dann und wann, schließlich lagen wir an der Küstenstraße nach Bristol –, betrachtete er ihn immer erst eine Weile durch den Türvorhang, bevor er die Gaststube betrat, und man konnte sicher sein, dass er mucksmäuschenstill blieb, solange der Fremde dort verweilte. Mir zumindest erschien sein Verhalten durchaus nicht rätselhaft – kein Wunder, war ich doch gewissermaßen ein Profiteur seiner Besorgnis. Er hatte mich eines Tages beiseite genommen und mir ein Geschäft vorgeschlagen. Ich solle in unserer Gegend »scharf Ausguck halten« nach einer bestimmten Person, und zwar »’nem Seemann, dem ein Bein fehlt.« Wenn so einer auftauche, müsse ich ihm gleich Bescheid sagen. Ein kleiner Dienst, für den er mich aber, versprochen, jeden Monatsersten mit einem silbernen Vierpennystück entlohnen werde. Freilich zahlte er längst nicht immer pünktlich; wenn ich ihn dann mahnte, schnaubte er mich nur an und warf mir einen drohenden Starrblick zu, der mich verstummen ließ. Doch noch bevor die Woche zu Ende war, besann er sich eines Besseren, gab mir mein Vierpennystück und wiederholte seinen Auftrag: immer scharf Ausguck halten nach dem »Seemann mit einem Bein«.

      Es lässt sich denken, wie dieser unheimliche Geselle mich in meinem Schlaf heimsuchte. In stürmischen Nächten, wenn der Wind das Haus durchrüttelte und die Brandung brausend gegen den Strand schlug und die Klippen hochjagte, sah ich ihn in tausenderlei Gestalt und mit tausenderlei teuflischen Fratzen. Bald fehlte ihm das Bein bis zum Knie, bald bis zur Hüfte, bald erschien er mir als ein monströses Missgebilde, das überhaupt nur ein Bein hatte, allerdings in der Mitte des Unterleibs. In meinen schlimmsten Alpträumen rannte und sprang dieses Wesen hinter mir her, verfolgte mich über Hecken und Gräben. So erfreulich das monatliche Vierpennystück war – ich bezahlte es mit diesen schauerlichen Gesichten reichlich teuer.

      Während das Phantom des einbeinigen Seemanns mich nun wahrlich in Schrecken versetzte, hatte ich vor dem Kapitän selbst viel weniger Angst als die meisten, die ihn bei uns kennen lernten. An manchen Abenden trank er erheblich mehr Grog, als er vertrug; der Rum stieg ihm zu Kopfe. Dann saß er da und sang seine alten, wilden, bösen Seemannsweisen, meist, ohne sich um die anderen Gäste zu kümmern. Gelegentlich jedoch bestellte er Lokalrunden; dafür mussten die verschüchtert bebenden Anwesenden aber auch sämtlich seinen Geschichten lauschen und seine Lieder im Refrain mitgrölen. Immer wieder erzitterte das ganze Haus unter dem »Jo-ho-ho, und ’ne Buddel voll Rum«; kein Wunder: alle Nachbarn stimmten ein; Todesangst im Gesicht, schmetterten sie los ums liebe Leben, einer lauter als der andere – man wollte ja nicht unangenehm auffallen. Denn in solchem Zustand war der Kapitän der ungemütlichste Patron, der sich denken lässt. Er schlug mit der Hand auf den Tisch – und alle hatten zu schweigen. Unterbrach man ihn durch Fragen, bekam er einen Wutanfall, was freilich auch passieren konnte, wenn keine gestellt wurden, denn dann vermutete er, die Gesellschaft habe nicht richtig zugehört. Außerdem durfte ihm keiner der Gäste die Schenke verlassen, bevor er, endlich müde getrunken, ins Bett wankte.

      Am meisten ängstigten die Leute seine Geschichten. Fürchterliche Geschichten waren das, von grausigen Todesarten, vom Hängen etwa oder vom Über-die-Planke-Springen, von Stürmen auf dem Meer, von den Dry Tortugas und von wilden Wagnissen an verschiedenen Orten in der Karibischen See. Wenn das alles stimmte, was er da so erzählte, hatte er sein Leben unter den übelsten Burschen zugebracht, die Gott je auf seinen Meeren segeln ließ. Und dann die Sprache, in der er seine Geschichten darbot! Sie verstörte unsere einfachen Landleute fast ebenso wie die Verbrechen, die er berichtete. Mein Vater meinte, der Kapitän würde uns noch ruinieren. Auf die Dauer gehe doch kein Gast in eine Schenke, wo er sich erst stundenlang tyrannisieren und niederbrüllen lassen müsse, bis er sich schließlich zitternd zu Bett scheren dürfe. Ich hingegen glaubte wahrhaftig, dass der Alte unser Geschäft eher beflügelte. Sicher, während er tobte, hatten sie Angst; aber wenn sie sich in seiner Abwesenheit über ihn und sein Gebaren unterhielten, fanden sie doch irgendwie Geschmack daran. Es brachte eine erfreuliche Abwechslung in ihr ruhiges Landleben. Ein paar Jüngere gaben sogar an, ihn zu bewundern. Der sei noch »’n richtiger Seebär«, »’ne echte alte Teerjacke«, lobten sie ihn etwa und behaupteten, Männern seines Schlages habe England zu verdanken, dass es zur See so gefürchtet sei.

      In einer anderen Hinsicht allerdings drohte er uns tatsächlich zu ruinieren. Er blieb erst Woche um Woche, dann Monat um Monat, ohne Kost- und Logiergeld zu entrichten; die paar Goldstücke, die er bei seiner Ankunft hingeworfen hatte, waren längst aufgebraucht. Mein Vater brachte es jedoch nie über sich, energisch weitere Zahlungen zu verlangen. Wenn er das Thema auch nur behutsam anschnitt, schnaubte der Kapitän noch lauter als üblich durch die Nase – oder sagen wir getrost: er brüllte – und starrte den Mahnenden buchstäblich aus dem Zimmer. Wie oft habe ich meinen armen Vater nach einer solchen Abfuhr die Hände ringen sehen. Der Ärger und die Angst, die er damals durchleben musste, haben, da bin ich sicher, sein frühes und unglückliches Ende wesentlich beschleunigt.

      Während er bei uns wohnte, trug der Kapitän stets dieselben Sachen. Nie schaffte er sich neue an; nur einmal kaufte er von einem Hausierer ein paar Strümpfe. Als sich irgendwann die Vorderkrempe seines Dreispitzes aus ihrer Befestigung löste, ließ er sie einfach hängen, obwohl ihm das herunterlappende Stoffstück, wenn scharfer Wind ging, doch sehr lästig sein musste. Auch seinen Rock werde ich nie vergessen. Den flickte er selbst, oben in seiner Kammer, und zwar ziemlich oft, bis das gute Stück schließlich nur noch aus Flicken bestand. Nie schrieb er einen Brief, nie bekam er einen, und nie sprach er mit irgendwem, außer mit unseren Nachbarn, und auch mit denen fast nur, wenn hinreichend Rum ihn beschwingte. Seine große Seemannskiste hat während der ganzen Zeit keiner von uns je offen gesehen.

      Nur ein einziges Mal geriet er mit seiner Toberei an den Falschen, und zwar kurz bevor sein Aufenthalt bei uns endete. Mein armer Vater lag gerade im Bett; die zehrende Krankheit, die ihn schließlich dahinraffen sollte, setzte ihm schon sehr zu. Es war später Nachmittag; Doktor Livesey, unser Hausarzt, schaute gerade vorbei und besuchte den Patienten. Er ließ sich von meiner Mutter einen kleinen Imbiss reichen, dann ging er in die Schankstube, um eine Pfeife zu rauchen, bis sein Pferd eintraf; es musste aus dem Dorf geholt werden, denn der alte Benbow besaß keine Stallung. Ich folgte dem Doktor in den Raum. Seine Erscheinung – ich sehe es heute noch vor mir – stach frappant gegen die der übrigen Gäste ab: hier der blitzsauber gekleidete Arzt mit seiner schneeweiß gepuderten Perücke, seinen leuchtenden schwarzen Augen und seinen gepflegten Manieren, dort die schlichten Landleute, ungeschlacht und lärmig. Den schroffsten Kontrast aber bildete selbstverständlich unser Hauspirat, der wieder einmal eifrig dem Rum gefrönt hatte. Schon beträchtlich im Dusel, saß er an seinem Tisch, beide Arme aufgelümmelt. Schmierig, plump und stumpfäugig, wirkte er verglichen mit dem Doktor wie eine wahre Vogelscheuche. Plötzlich ließ er – der Kapitän, meine ich – sein unvermeidliches Lied erschallen:

      »Fünfzehn Mann auf dem Totenschrein –

      Jo-ho-ho, und ’ne Buddel voll Rum;

      Sauft nur, der Teufel wird mit euch sein –

      Jo-ho-ho, und ’ne Buddel voll Rum.«

      Ursprünglich hatte ich vermutet, der »Totenschrein« sei schlicht und einfach die große Truhe oben im Vorderzimmer. Dementsprechend erschien er auch in meinen Träumen von dem einbeinigen Seemann. Inzwischen aber machten wir uns längst keine Gedanken mehr um das Lied, ja, wir schenkten ihm kaum noch Beachtung. Doktor Livesey freilich hörte es an jenem Abend zum ersten Mal, und es machte auf ihn offenbar keinen sehr guten Eindruck, denn er blickte einen Moment höchst ärgerlich zu dem Sänger hinüber, bevor er in seinem Gespräch mit dem alten Gärtner Taylor fortfuhr, den er über neue Methoden der Rheumabehandlung unterrichtete. Inzwischen kam der Kapitän beim Klang der eigenen Musik zusehends in Stimmung und in Fahrt; schließlich schlug er, getreu seiner Gewohnheit, mit der Hand auf den Tisch, was, wie wir alle wussten, heißen sollte: Ruhe jetzt! Alles verstummte augenblicklich, nur einer nicht. Doktor Livesey redete einfach weiter wie zuvor, laut und freundlich, wobei er nach jedem Satz oder doch jedem zweiten einen kräftigen Zug aus seiner Pfeife nahm. Der Kapitän СКАЧАТЬ