Was ist Glaube?. Benjamin Schliesser
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Название: Was ist Glaube?

Автор: Benjamin Schliesser

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: Theologische Studien NF

isbn: 9783290176556

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СКАЧАТЬ habe diese Nachricht mit dem Gedanken gelesen, »auf die hier gestellte Frage dürfe nicht der Schein fallen, dass sie unbeantwortbar sei; eine Theologie und Christenheit, die nicht mehr wisse, was das Neue Testament Glaube nenne, wäre tot«.31 Die sodann mit dem ersten Preis ausgezeichnete Arbeit erfuhr insgesamt sechs Auflagen und prägt die exegetische Diskussion bis heute – »angesichts der Kurzlebigkeit theologischer Produktion eine erstaunliche Sache«32. Man kann der Einschätzung Peter Stuhlmachers durchaus zustimmen, dass Schlatters Untersuchung in ihrer »systematischen Geschlossenheit und historischen Präzision […] bis heute unübertroffen« ist.33

      Einzig Rudolf Bultmanns Darstellung des neutestamentlichen Glaubensbegriffs kann sich mit der Schlatters »im Niveau der Argumentation und der Treffsicherheit der Formulierung« messen.34 Bultmann hat sich vornehmlich in seiner »Theologie des Neuen Testaments« (1948–1955) und im erwähnten Wörterbuchartikel (1955), aber auch in zahlreichen Aufsätzen mit dem Thema »Glauben« auseinandergesetzt. Seine knappen und in schlichter Sprache abgefassten, aber keineswegs einfach zu verstehenden Ausführungen weisen bemerkenswerte und überraschende inhaltliche Analogien zu Schlatters Erstlingswerk auf.

      Abgesehen von der punktuellen Belebung des Glaubensdiskurses in der ökumenischen Auseinandersetzung fällt auf, dass der Glaube trotz seiner Bedeutung v. a. bei Paulus auch in der neutestamentlichen Exegese ein Schattendasein führt. Neuere Veröffentlichungen zum Thema sind Mangelware – sieht man von einigen breit diskutierten Spezialfragen ab35; auch in Gesamtdarstellungen der paulinischen Theologie wird der Glaube meist als Nebenthema unter der Rubrik »Rechtfertigung« verhandelt.

      Dabei gäbe es zu Rhetorik, Theologie und Sinngeschichte der pistis bei Paulus einiges zu sagen. Er war sich der inneren Beweglichkeit und des Schillerns des Begriffs bewusst und machte sie seiner Absicht zunutze. Wie im gegenwärtigen ist auch im antiken Sprachgebrauch der Ausdruck keineswegs so eindeutig, wie man es oft annimmt. Das Spektrum der pistis reicht von der Bedeutung »Treue« (Röm 3,3: »Treue Gottes«36; Gal 5,22) bis hin zur Verwendung im Sinne eines umfassenden Äquivalents für die christliche Bewegung (Gal 1,23). An weiteren Stellen liegt kein unmittelbar religiöser Sinn vor, wie in Röm 14,2.22 (»überzeugt sein«/»Überzeugung«) oder 1Kor 13,7 (die Liebe »glaubt alles«). Nennenswert sind auch die zahlreichen paulinischen Wendungen, in denen pistis (zumeist als Genitiv) begegnet und die seinen Leserinnen und Lesern schon viel Kopfzerbrechen bereitet haben: »Glaubensgehorsam« (Röm 1,5; 16,26), »Glaubensgesetz« (Röm 3,27), »Glaubensgerechtigkeit« (Röm 4,11), »Glaubensanalogie« (Röm 12,3), »Glaubenswort« (Röm 10,8), »Glaubensverkündigung« (Gal 3,2.5), »Geist des Glaubens« (2Kor 4,13), »Christusglaube« (Röm 3,22.26; Gal 2,16.20; 3,22; Phil 3,9) und »aus Glauben zu Glauben« (Röm 1,17). Von beträchtlicher kirchengeschichtlicher und systematisch-theologischer Relevanz sind, wie bereits angedeutet, die paulinischen Perspektiven auf den Ort des Glaubens im Menschen, auf Wesen und Weisen des Glaubens, auf sein Gegenüber, auf seine Konstitutionsbedingungen, auf seine Verhältnisbestimmungen zu Christus, zum Wort bzw. zur Verkündigung, zu Gesetz und Werken, zur Rechtfertigung.

      Rudolf Bultmann spricht zu Recht von zwei verschiedenen Perspektiven, die man bei der Analyse des Glaubens beachten muss: »Es ist zu unterscheiden, ob man vom menschlichen Gesichtspunkt oder vom Gesichtspunkt des Glaubens über die pistis Aussagen macht. Vom Menschen her gesehen ist der |18| Glaube ein Akt des Willens, eine Entscheidung, die Annahme der Einladung Gottes. Vom Gesichtspunkt des Glaubens aus ist der Glaube ein Geschenk Gottes.«37 Wenngleich man sich mit seiner ausschließlichen Verortung des Glaubens im Bereich des Willens nicht zufriedengeben kann, so lenkt er die Aufmerksamkeit doch auf eine notwendige Unterscheidung. Je nach Perspektive kommt man zu voneinander abweichenden Aussagen.

      Stellt man sich auf den anthropologischen Standpunkt, dann erscheint der Glaube als eine Erkenntnisweise oder Bewusstseinsprägung mit unterschiedlicher inhaltlicher Füllung. Adolf Schlatter formuliert in der Einleitung seiner Monographie: »Glaube ist ein inneres Geschehn« und kann als solches »vom übrigen seelischen Geschehen abgegrenzt und fixiert werden.«38 Die Frage, ob bzw. wie sich das Glaubensgeschehen von den (anderen) seelischen Vorgängen abhebt oder ob es in (einem von) ihnen aufgeht, wird verschieden beantwortet.

      Wie schon ihr Aufbau nahelegt, überprüft die vorliegende Studie anhand der Paulustexte folgende Aussage: »Der anthropologische Ort des Glaubens kann also nicht in einem der Seelenvermögen, sondern nur in deren Gesamtzusammenhang gesucht werden. D. h., als anthropologischer Ort des Glaubens kommt nur die Dreiheit von Gefühl, Vernunft und Wille in ihrer gegenseitigen Durchdringung und in der damit gegebenen (zirkulären) Einheit in Frage.«39 Die Gefahr dieses Zugangs liegt freilich in einer psychologisierenden, intellektualisierenden oder voluntativen Engführung des Glaubensbegriffes – also darin, dass es zu einem anthropologischen »Missverständnis« kommt.40 Davor warnt auch Gerhard Ebeling, wenn er feststellt: »Der Glaube betrifft viel radikaler den Menschen, als dass er, wie man es bei jener schlechten Psychologisierung des Glaubens meint, seinen Ort hätte in irgendwelchen partiellen und sekundären Schichten seines Wesens, in irgendwelchen Fähigkeiten des Menschen wie Erkenntnisvermögen oder Wille oder Gefühl.«41

      Diesem Missverständnis kann man begegnen, indem man den Glauben vom »Standpunkt des Glaubens« und damit vom Christusgeschehen her denkt. Aus einer solchen Betrachtungsweise sind dezidiert theologische Aussagen zu erwarten wie: »Der Glaube hat keine Geschichte, wohl aber bestimmt er Geschichte.«42 |19| Oder in den drastischen Worten Johann Georg Hamanns: »Glaube ist nicht jedermanns Ding, und auch nicht communicable wie eine Ware, sondern das Himmelreich und die Hölle in uns.«43 Dieser Ansatz birgt die Gefahr, den Glauben der Wirklichkeit und der Welt zu entheben und ihn abzukoppeln von erkenntnistheoretischen, hermeneutischen oder humanwissenschaftlichen Annäherungen. Das Gespräch über den Glauben wird so zum Binnendiskurs aus der Theologie für die Theologie und geht Gesprächspartnern aus anderen Diskursen verlustig.

      Es kann nicht sinnvoll sein, die Betrachtung des Glaubens auf einen der beiden Standpunkte zu reduzieren. Der Glaube ist eine anthropologische Kategorie, geht in dieser Bestimmung aber keineswegs auf. Er ist nicht jenseits von allgemein-menschlichen Konstanten zu beschreiben, aber zugleich markiert er einen qualitativen Sprung, der wie im Fall des Paulus zu einer »rigorosen Umwertung aller bisherigen Werte und Ideale (Phil 3,7–11)« führen kann.44 Es wird sich zeigen, dass auch Paulus in seiner Rede vom Glauben immer zugleich vom Menschen und von Gott her denkt.

      Bultmanns existentiale Interpretation richtet sich ganz auf das gläubige Subjekt und räumt der Welt- und Heilsgeschichte lediglich eine Randstellung ein: »Die entscheidende Geschichte ist nicht die Weltgeschichte, die Geschichte Israels und der anderen Völker, sondern die Geschichte, die jeder Einzelne selbst erfährt.«45 Damit ist aber, was die pistis angeht, »eine radikale Individualisierung gesetzt: Die Botschaft trifft den Einzelnen und isoliert ihn.« »Der Glaube führt in die Vereinzelung.«46 Diese Linie kann bis in die autobiographischen »Bekenntnisse« Augustins zurückverfolgt werden, welcher Gott preist für »meinen Glauben, den du mir gegeben hast«.47 Im Gegensatz dazu stehen beispielsweise die Erwägungen Karl Barths zum Individualismus eines solchen »Ich-Glaubens.« Er kritisiert, »dass der Christ in den letzten Jahrhunderten (auf dem weiten Weg vom alten Pietismus bis hin zu dem an Kierkegaard sich inspirierenden theologischen Existentialismus der Gegenwart) begonnen hat, sich selbst in einer Weise ernst zu nehmen, die dem Ernst des Christentums durchaus nicht angemessen ist«.48 Schon früh zeichnete sich der Dissens zwischen Bultmann und Barth in dieser Frage ab. In seinem Römerbriefkommentar schreibt Barth: »Nirgends ist er [sc. der |20| Glaube] identisch mit der historischen und psychologischen Anschaulichkeit des religiösen Erlebnisses. Nirgends reiht er sich ein in die kontinuierliche Entwicklung menschlichen Seins, Habens und Tuns.«49 Bultmann entgegnet, dass Barth die Paradoxie des Glaubens überspanne: »Ist der Glaube, wenn er von jedem seelischen Vorgang geschieden, wenn er jenseits des Bewusstseins ist, überhaupt noch etwas Wirkliches? Ist nicht das ganze Reden von diesem Glauben eine Spekulation, und zwar eine absurde? Was soll das Reden von meinem ›Ich‹, das nie mein Ich ist? Was soll dieser Glaube, von dem ich höchstens glauben СКАЧАТЬ