Название: Lippenstift und Notfalltropfen
Автор: Irene Wondratsch
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783941895980
isbn:
Eishaut
undurchlässiger, dicker
abweisender
Sonja Kohlbacher
GITANES
Wie hört sich Radio Havanna an? Ich weiß es nicht. Ich selbst habe ja nie Radio Havanna gehört. Radio Havanna wurde auf Kurzwelle gesendet. Das habe ich kürzlich erfahren. Nie war ich Kurzwellenhörerin gewesen. Damals, als man Radio Havanna hören konnte, schnellsprechende, unverständliche Stimmen, dazwischen dieses Knacken, verdammt, unterbrochen, dann wieder, die Stimmen, sich überschlagend, Nachrichten, feurige, dringende, lebensverändernde Nachrichten, und wieder, Mist, man schüttelt das Radio, schiebt es hin und her, die Antenne, vielleicht die Antenne ändern? Nicht so fest! Vorsichtig, sonst ist der ganze Empfang im Eimer, pass doch auf! Leben, rasant, Achterbahn und noch was draufgesetzt, da geht was ab, hörst du, da kommst du nicht mit, so geschwind, und leider bin ich nicht dort, nämlich in Havanna, wo das Leben ist, das rasante, schwindlig machende Leben, das Leben, das wichtig ist und auf jeden Fall lebendig und nicht wie hier, so dermaßen langweilig. Da, da ist sie wieder! Die Stimme, hysterisch, lauter werdend, beschwörend, nein, schade, dieses Rauschen und, na ja, dann halt nicht, diese Unterbrechungen, aber ich verstehe ja sowieso nichts. Musik jetzt, ist mir auch lieber, Bongos, irgendwie fröhlich, der Rhythmus, also ich verstehe schon, dass Radio Havanna …
Ich sitze in meinem kleinen Zimmer, die Vorhänge vorgezogen. Auf meiner Bettkante sitze ich, wippe mit den Beinen und rauche. Ich sollte hier nicht rauchen, hier ist Rauchen nämlich verboten, aber was soll’s. Und auch nicht Radio Havanna hören, aber egal, überall hängt er schon, der Rauch, nistet sich konspirativ in die gestreiften Vorhangfalten. Ich blase Rauchkringel in die Luft. Draußen ist es schön. Sonne. Doch ich möchte es lieber abgedunkelt, denn ich höre Radio Havanna, und ich rauche dabei. Das ist mein Geheimnis. Nie höre ich lange zu, denn die Übertragung ist ja elendiglich, die Stimmen geben Meldung von etwas, das ich nicht verstehe.
Vielleicht werde ich eines Tages Spanisch lernen.
Vielleicht werde ich eines Tages eine Reise machen, nach Havanna, wo das Leben ist.
Vielleicht sind meine Vorstellungen falsch, meine Vorstellungen von Radio Havanna.
Aber der Klang in deiner Stimme, der Glanz in deinen Augen, als du davon gesprochen hast!
Von damals, von Radio Havanna!
Angelica Löwe
K2R, FLECKPUTZMITTEL
Mich hat ja keiner gefragt. Meine Säume kräuseln sich. Und ich habe Falten bekommen. Schon bei der Anreise. Wegen der Enge. Überhaupt: diese Tasche. Klein aber unsinnig aufgebläht, wichtigtuerisch, und dabei abgrundtief hässlich.
Was tue ich hier? Wer soll mich hier anschauen? Ohnehin in keinem guten Zustand. Jawohl, ich bin in keinem guten Zustand. Ich brauche so Dinge wie ein Bügeleisen. Muss sorgfältig in Form gebracht werden, damit ich was darstelle.
Diese Berge, die nach Lederhosen schreien. Diese Dirndlkulisse. Steife, eckige Dinger. Als ob ich da in Konkurrenz treten wollte. Überhaupt. Wo einen jeder verkennt. Alles geschmacklos ist und so satt. Ja, ich ärgere mich. Und bekomme diese säuerlich gekräuselten Säume. Und diese entsetzlichen Falten und kein Bügeleisen weit und breit. Jedes auch noch so groteske Dirndl hat hier ein Recht darauf gebügelt zu werden.
Ich bin zu fein für diese Landschaft. Und zu gescheit. Das ist keine Schande.
Wenn dieses Grün ein wenig herkommen würde, wenn es sich entschließen könnte einen Schritt zu machen. Ein kleines, kurzes Lächeln. Immerhin bin ich Gast hier. Aber nein, es steht stur vor mir, eine selbstgefällige Mauer. Lässt sich herab und spielt dann lieber im Wasser, mit dem Himmelblau, dem Steinweiß – überhaupt, im Wasser sind sie alle so mühelos, legen sich ineinander, verschwimmen, mischen sich.
Ich bin von zarterer Natur. Ein wenig Sonne, und schon bleiche ich aus und im Wasser werde ich überhaupt zu einem Fetzen.
Ich kann das nicht. Ich möchte nach Hause. Ich möchte in ein verrauchtes Café, auch wenn ich danach tagelang stinke. Ich brauche belebte Straßen, ich brauche bewundernde Blicke, Augen, die mich hinter dunklen Sonnenbrillen verzückt anstarren, ich brauche ein wenig Neid und Eifersucht und einen kleinen Hauch Missgunst. Hier? Diese klare Luft, diese strengen Schatten und diese Selbstverständlichkeit, mit der ich übersehen werde. Oder belächelt. Man darf ein verwöhntes Stück wie mich nicht so einfach irgendwo hängen lassen. Das ist herzlos.
Außerdem ist mir fad. Ich brauche Kultur. Mit einem samtäugigen Cello, mit einem zierlichen Plüschsesselchen, mit kühl geäderten Marmorsäulen, mit einer großzügig geschwungenen Freitreppe zum Beispiel, mit so was kann ich mich leicht unterhalten. Die sehen mich und wissen sofort. Qualität. Fein gesponnen. Raffiniert gewickelt. Eine von uns, sozusagen.
Diese Bäume aber stehen da und schweigen und es fällt ihnen nicht einmal auf. Würde sich einer, ein einziger nur ganz leicht verneigen, dann könnte ich ja zugeben, dass sein spitz genadeltes Grün sich gar nicht so schlecht macht. Rotbraun und schwarz schillernde Rinde dazu, das macht ja durchaus auch was her.
Ich hänge sowieso im Schrank. Dort werde ich noch eine Woche hängen bleiben, so weit als möglich Contenance bewahren und auf bessere Zeiten hoffen. Ist ja nicht das erste Mal.
Stimmen. Besser als nichts. Ein wenig Unterhaltung, auch wenn hier nicht gerade Interessantes zu erwarten ist. Die Kastentür! Das gilt sicher dieser windelärschigen Radlerhose – peinlicher geht’s überhaupt nicht mehr, aber sie tut immer, als wäre sie was Besonderes.
Und jetzt ein Geschiebe und Gedränge, als gäbe es etwas zu gewinnen. Wird schon jeder drankommen, irgendwann.
Ich? Bin wirklich ich gemeint? Wenn sie nur nicht ...
Nein. Nein, es bleibt dabei. Ah, tut das gut. Hat sie zugelegt? Mir scheint, mein Zipp ... egal. Was noch? Nein, nicht telefonieren. Das kann ja Stunden dauern. Schwitzen tut sie auch, wenn sie ihre Hand nicht bald wegnimmt, habe ich ein feuchtes Muster ... obwohl, in der letzten »Fashionweek« war ja Ähnliches ... na endlich. Nein, die anderen. Die anderen! Heute ein wenig Absatz. Bitte!
So. Tasche, Schlüssel, können wir? Wir können!
Barbara Holpfer
SCHLÜSSELBUND
Die Erste liegt in Graz. Von einer Freundin meiner Mutter vermittelt. Ebenerdig, ein Zimmer, Küche mit Kohlenofen. Kein Bad, Waschbecken, Klo am Gang. Blick in einen Garten. Die Vormieterin hat die Möbel farbig gestrichen, sie will weiterhin noch fallweise kommen. Ich habe keinen Mietvertrag. Das Einheizen ist schwierig, ich bin mit Zentralheizung aufgewachsen. Bis Mittag bleibe ich im Bett und beobachte meinen warmen Atem, der durch den kalten Raum zieht. Wenn ich hungrig bin, hole ich Wurstsemmeln oder gehe ins Kaffeehaus. Ab der Monatsmitte muss ich sparen und die eingepackte Erbsensuppe meiner Oma verkochen. Das schmutzige Geschirr verschwindet so lange hinter dem blassgrünen Vorhang, bis ich keines mehr habe. Nachts treibe ich durch die Stadt. Suche. Trinke.
Der Schreibtisch steht vor dem Fenster. Ich versuche für die erste Staatsprüfung zu lernen. Die Scheiben haben einen Sprung. Er führt durch mein Gesicht, das sich darin spiegelt.
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