Название: Furchtbare Juristen
Автор: Ingo Muller
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783862871247
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Um die Reichstagsbrandverordnung gegen alle echten oder vermeintlichen Nazi-Gegner anwenden zu können, konstruierten die Gerichte immer neue Varianten der »kommunistischen Gefahr«. Im Münsterland zum Beispiel hatte der Regierungspräsident, gestützt auf diese Verordnung, jede kirchliche Jugendgruppenarbeit verboten. Nachdem einige Mitglieder eines katholischen Jugendvereins dennoch Gruppenfahrten unternommen und gemeinsam Sport getrieben hatten, waren sie nach § 4 der Verordnung (»Zuwiderhandlung gegen Anordnungen der Behörden«) angeklagt worden. Das Landgericht Hagen hatte sie zunächst freigesprochen.140 Das Kammergericht hob den Freispruch jedoch auf, denn »diese Art der Betonung einer (konfessionellen) Spaltung trägt von vornherein den Keim einer Zersetzung des deutschen Volkes in sich, und jede derartige Zersetzung ist geeignet, den kommunistischen Bestrebungen ihrerseits Vorschub zu leisten und ihre Ziele zu unterstützen«. Dass die Katholiken immun gegen den gottesleugnenden Kommunismus seien und ihn sogar bekämpften, ließ das Kammergericht nicht gelten, denn »die so zur Schau getragene eigene Meinung kann nur zu leicht ein Ansporn für die dem Kommunismus anhängenden oder ihm nahestehenden, vielleicht gegenwärtig politisch noch schwankenden Personen sein, die alsdann darauf die Meinung gründen und weiterverbreiten, dass der nationalsozialistische Staat doch nicht das Volk hinter sich habe.«141
Mit dieser Konstruktion der »mittelbaren kommunistischen Gefahr« deckte die Justiz das Vorgehen der Behörden unter anderem gegen die Bekennende Kirche (Kammergericht am 3.5.1935),142 gegen Impfgegner (Reichsgericht, 6.8.1936),143 die Innere Mission (Württembergischer Verwaltungsgerichtshof, 9.9.1936)144 und gegen protestantische Krankenpflegevereine (Badischer Verwaltungsgerichtshof, 9.1.1938).145 Da jedoch die »kommunistische Gefahr im weitesten Sinne«, auf ausgesprochene Antikommunisten angewandt, der Bevölkerung nur schwer zu vermitteln war und zudem mit jeder Verhaftungswelle diese angebliche Gefahr natürlich geringer wurde, verzichteten die Gerichte bald ganz auf die Präambel. Der Württembergische Verwaltungsgerichtshof entschied in dem oben erwähnten Urteil vom September 1936, die Verordnung diene »nicht bloß dem Schutz gegen kommunistische Bedrohung des Staates, sondern gegen jede Gefährdung seines Bestandes und der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, von welcher Stelle sie kommen möge«. Den Bestand des Staates sahen die schwäbischen Verwaltungsrichter schon durch die Satzung eines privaten Kinderpflegeheimes gefährdet, in der festgelegt war, dass das Vereinsvermögen bei einer Auflösung des Vereins der Inneren Mission zufallen solle. Der zuständige Landrat hatte dem Verein unter Hinweis auf § 1 der Reichstagsbrandverordnung auferlegt, die Satzung so zu ändern, dass das Vermögen der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) zufiele. Der Verein zog daraufhin mit dem Einwand, seine Satzung könne doch unmöglich den Staat gefährden, vor das Verwaltungsgericht. Er musste sich jedoch eines Besseren belehren lassen, die Klage wurde abgewiesen mit der Begründung: »Zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gehört im heutigen Staat auch die Wahrung der allgemeinen Belange der völkischen Gemeinschaftsordnung«, Grenzen für behördliche Eingriffe in private Rechte könne es nicht mehr geben.146
Mit solchen Konstruktionen legitimierte die Justiz Vereinsauflösungen, Veranstaltungsverbote, Vermögensbeschlagnahmungen, Verhaftungen und gerichtliche Bestrafungen und führte sich so selbst ad absurdum. Mit der Verweigerung des Rechtsschutzes gegen behördliche Anordnungen überließ sie das Feld der Polizei, der sie zugleich auch das Recht einräumte, allein zu definieren, was legal sei. Dabei wurde eine abweichende Meinung selbst zu den nebensächlichsten Dingen zur »Staatsfeindschaft« aufgeblasen. Der Leipziger Taxenunternehmer Franz S. beispielsweise, Vorstandsmitglied der Droschkenbesitzer-Genossenschaft, hatte zur Organisation seines Gewerbes eine andere Auffassung vertreten als das Verkehrsministerium. Auf Verlangen der Polizeibehörde war er daraufhin kurzerhand aus dem Vereinsregister gestrichen worden. Er erhob Klage gegen diesen Verwaltungsakt und führte aus, er sei doch schließlich kein Staatsfeind, nur weil er über Droschkenorganisation anders dächte. Er wurde jedoch in dritter Instanz vom Oberlandesgericht München147 über seine Rechtlosigkeit belehrt: »Die in der Verordnung aufgeführten verfassungsrechtlichen ... Bestimmungen sind zugunsten der Polizeibehörden schlechthin gegenüber jedermann ihrer bisherigen Bedeutung entkleidet worden ... Insoweit ist daher der bisherige Rechtsschutz ... gegenüber den Polizeibehörden beseitigt.«148
Dass politische Angelegenheiten der Nachprüfung durch die Gerichte entzogen seien, darüber bestand zwischen Polizei und Justiz, Rechtswissenschaft und Rechtsprechung Einigkeit. Die Gerichte halfen überdies noch tatkräftig, den Bereich des Politischen auf alles und jedes auszuweiten. Das Oberlandesgericht Kiel erhob zum Beispiel den Sachverhalt, dass eine Zeitung in einigen kritischen Artikeln angeblich die Ärzteschaft herabgesetzt und deren Ansehen geschädigt hatte, zur politischen Angelegenheit, da »durch die Zeitung den gesundheitspolitischen Tendenzen und Zielen der Staatsleitung entgegengewirkt« werde.149 Das Oberlandesgericht Stettin erklärte sich für den Autounfall eines SA-Mannes als nicht zuständig, weil »jede dienstliche Betätigung eines SA- oder NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps)-Mannes im Rahmen der NSDAP stattfindet und somit als politische Betätigung im allgemeinen weiten Sinne zu bewerten« sei.150 In dem erwähnten Droschkenfall hatte das Oberlandesgericht München schon hinlänglich erläutert, was nun alles politisch war: »In dem Kampf um die Selbstbehauptung, den das deutsche Volk heute zu führen hat, gibt es auch nicht mehr wie früher einen unpolitischen Lebensbereich.«
Die »schöpferische« Auslegung der Reichstagsbrandverordnung und ihre universelle Anwendung durch die Gerichte ging selbst einigen führenden Nationalsozialisten zu weit. Ausgerechnet der Justitiar der Gestapo, Dr. Werner Best, sah sich 1938 veranlasst, die bei der Interpretation der Verordnung gängige Praxis zu rügen: Wenn die Gerichte nicht anders weiterkämen, versuchten sie »sich durch eine gewaltsam erweiterte Auslegung des Begriffs der Gefahrenabwehr zu helfen, die manchmal geradezu zu innerer Unwahrheit der Begründungen« führe.151
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