Der Golem. Gustav Meyrink
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Название: Der Golem

Автор: Gustav Meyrink

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783843804424

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      Sofort ließen die unsichtbaren Finger meine Zunge los, und der Starrkrampf wich von mir. Ich richtete mich auf und blickte hinter mich: Niemand außer Schemajah Hillel und mir war im Zimmer.

      Sein »du« und die Bemerkung, daß er mich erwartet habe, hatten also mir gegolten?!

      Viel befremdender als diese beiden Umstände an sich wirkte es auf mich, daß ich nicht imstande war, auch nur die geringste Verwunderung darüber zu empfinden.

      Hillel erriet offenbar meine Gedanken, denn er lächelte freundlich, wobei er mir von der Bahre aufstehen half, mit der Hand auf einen Sessel wies und sagte:

      »Es ist auch nichts Wunderbares dabei. Schreckhaft wirken nur die gespenstischen Dinge – die Kischuph – auf den Menschen; das Leben kratzt und brennt wie ein härener Mantel, aber die Sonnenstrahlen der geistigen Welt sind mild und erwärmend.«

      Ich schwieg, da mir nichts einfiel, was ich ihm hätte erwidern sollen. Er schien auch keine Gegenrede erwartet zu haben, setzte sich mir gegenüber und fuhr gelassen fort: »Auch ein silberner Spiegel, hätte er Empfindung, litte nur Schmerzen, wenn er poliert wird. Glatt und glänzend geworden, gibt er alle Bilder wieder, die auf ihn fallen, ohne Leid und Erregung.«

      »Wohl dem Menschen«, setzte er leise hinzu, »der von sich sagen kann: Ich bin geschliffen.« – Einen Augenblick versank er in Nachdenken, und ich hörte ihn einen hebräischen Satz murmeln: »Lischuosècho Kiwisi Adoschem.« Dann drang seine Stimme wieder klar an mein Ohr:

      »Du bist zu mir gekommen in tiefem Schlaf, und ich habe dich wach gemacht.

      Im Psalm David heißt es:

      ›Da sprach ich in mir selbst: Jetzt fange ich an: Die Rechte Gottes ist es, welche diese Veränderung gemacht hat.‹ Wenn die Menschen aufstehen von ihren Lagerstätten, so wähnen sie, sie hätten den Schlaf abgeschüttelt, und wissen nicht, daß sie ihren Sinnen zum Opfer fallen und die Beute eines neuen, viel tieferen Schlafes werden, als der war, dem sie soeben entronnen sind. Es gibt nur ein wahres Wachsein, und das ist das, dem du dich jetzt näherst. Sprich den Menschen davon, und sie werden sagen, du seist krank, denn sie können dich nicht verstehen. Darum ist es zwecklos und grausam, ihnen davon zu reden.

      Sie fahren dahin wie ein Strom –

      Und sind wie ein Schlaf.

      Gleichwie ein Gras, das doch bald welk wird –

      Das des Abends abgehauen wird und verdorret.«

      »Wer war der Fremde, der mich in meiner Kammer aufgesucht hat und mir das Buch ›Ibbur‹ gab? Habe ich ihn im Wachen oder im Traum gesehen?« wollte ich fragen, doch Hillel antwortete mir, noch ehe ich den Gedanken in Worte fassen konnte:

      »Nimm an, der Mann, der zu dir kam und den du den Golem nennst, bedeute die Erweckung des Toten durch das innerste Geistesleben. Jedes Ding auf Erden ist nichts als ein ewiges Symbol, in Staub gekleidet!

      Wie denkst du mit dem Auge? Jede Form, die du siehst, denkst du mit dem Auge. Alles, was zur Form geronnen ist, war vorher ein Gespenst.«

      Ich fühlte, wie Begriffe, die bisher in meinem Hirn verankert gewesen, sich losrissen und gleich Schiffen ohne Steuer hinaustrieben in ein uferloses Meer.

      Ruhevoll fuhr Hillel fort:

      »Wer aufgeweckt worden ist, kann nicht mehr sterben. Schlaf und Tod sind dasselbe.«

      »– – – kann nicht mehr sterben?« – Ein dumpfer Schmerz ergriff mich.

      »Zwei Pfade laufen nebeneinander hin: der Weg des Lebens und der Weg des Todes. Du hast das Buch ›Ibbur‹ genommen und darin gelesen. Deine Seele ist schwanger geworden vom Geist des Lebens«, hörte ich ihn reden.

      »Hillel, Hillel, laß mich den Weg gehen, den alle Menschen gehen: den des Sterbens!« schrie alles wild in mir auf. Schemajah Hillels Gesicht wurde starr vor Ernst.

      »Die Menschen gehen keinen Weg, weder den des Lebens noch den des Todes. Sie treiben daher wie Spreu im Sturm. Im Talmud steht: ›Ehe Gott die Welt schuf, hielt er den Wesen einen Spiegel vor; darin sahen sie die geistigen Leiden des Daseins und die Wonnen, die darauf folgten. Da nahmen die einen die Leiden auf sich. Die anderen aber weigerten sich, und diese strich Gott aus dem Buche der Lebenden.‹ Du aber gehst einen Weg und hast ihn aus freiem Willen beschritten – wenn du es jetzt auch selbst nicht mehr weißt: Du bist berufen von dir selbst. Gräm dich nicht: Allmählich, wenn das Wissen kommt, kommt auch die Erinnerung. Wissen und Erinnerung sind dasselbe.«

      Der freundliche, fast liebenswürdige Ton, in den Hillels Rede ausgeklungen war, gab mir meine Ruhe wieder, und ich fühlte mich geborgen wie ein krankes Kind, das seinen Vater bei sich weiß.

      Ich blickte auf und sah, daß mit einemmal viele Gestalten im Zimmer waren und uns im Kreis umstanden: einige in weißen Sterbegewändern, wie sie die alten Rabbiner trugen, andere mit dreieckigem Hut und Silberschnallen an den Schuhen – aber Hillel fuhr mir mit der Hand über die Augen, und die Stube war wieder leer.

      Dann geleitete er mich hinaus zur Treppe und gab mir eine brennende Kerze mit, damit ich mir hinaufleuchten könne in mein Zimmer.

      Ich legte mich zu Bett und wollte schlafen, aber der Schlummer kam nicht, und ich geriet stattdessen in einen sonderbaren Zustand, der weder Träumen war noch Wachen noch Schlafen.

      Das Licht hatte ich ausgelöscht, aber trotzdem war alles in der Stube so deutlich, daß ich jede einzelne Form genau unterscheiden konnte. Dabei fühlte ich mich vollkommen behaglich und frei von der gewissen qualvollen Unruhe, die einen foltert, wenn man sich in ähnlicher Verfassung befindet.

      Nie vorher in meinem Leben wäre ich imstande gewesen, so scharf und präzis zu denken wie eben jetzt. Der Rhythmus der Gesundheit durchströmte meine Nerven und ordnete meine Gedanken in Reih und Glied wie eine Armee, die nur auf meine Befehle wartete.

      Ich brauchte bloß zu rufen, und sie traten vor mich und erfüllten, was ich wünschte.

      Eine Gemme, die ich in den letzten Wochen aus Aventurinstein zu schneiden versucht hatte – ohne damit zurechtzukommen, da sich die vielen zerstörten Flimmer in dem Mineral niemals mit den Gesichtszügen decken wollten, die ich mir vorgestellt –, fiel mir ein, und im Nu sah ich die Lösung vor mir und wußte genau, wie ich den Stichel zu führen hatte, um der Struktur der Masse gerecht zu werden.

      Ehedem Sklave einer Horde phantastischer Eindrücke und Traumgesichter, von denen ich oft nicht gewußt: Waren es Ideen oder Gefühle, sah ich mich jetzt plötzlich als Herr und König im eigenen Reich.

      Rechenexempel, die ich früher nur mit Ächzen und auf dem Papier hätte bewältigen können, fügten sich mir mit einemmal im Kopf spielend zum Resultat. Alles mit Hilfe einer neuen, in mir erwachten Fähigkeit, das zu sehen und festzuhalten, was ich gerade brauchte: Ziffern, Formen, Gegenstände oder Farben. Und wenn es sich um Fragen handelte, die durch derlei Werkzeuge nicht zu lösen waren – philosophische Probleme und ähnliches –, so trat an Stelle des inneren Sehens das Gehör, wobei die Stimme Schemajah Hillels die Rolle des Sprechers übernahm.

      Erkenntnisse seltsamster Art wurden mir zuteil.

      Was ich tausendmal im Leben achtlos als bloßes Wort an meinem Ohr hatte vorübergehen lassen, stand wertgetränkt bis in die tiefste Faser vor mir; was ich »auswendig« gelernt, »erfaßte« ich mit einem СКАЧАТЬ