Название: Franz Kafka: Sämtliche Werke
Автор: Knowledge house
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9782380372786
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Der Heizer klopfte respektvoll an der Türe an und forderte, als man „herein“ rief, Karl mit einer Handbewegung auf, ohne Furcht einzutreten. Er trat auch ein, aber blieb an der Türe stehn. Vor den drei Fenstern des Zimmers sah er die Wellen des Meeres und bei Betrachtung ihrer fröhlichen Bewegung schlug ihm das Herz, als hätte er nicht fünf lange Tage das Meer ununterbrochen gesehn. Große Schiffe kreuzten gegenseitig ihre Wege und gaben dem Wellenschlag nur soweit nach als es ihre Schwere erlaubte. Wenn man die Augen klein machte, schienen diese Schiffe vor lauter Schwere zu schwanken. Auf ihren Masten trugen sie schmale aber lange Flaggen, die zwar durch die Fahrt gestrafft wurden, trotzdem aber noch hin und her zappelten. Wahrscheinlich von Kriegsschiffen her erklangen Salutschüsse, die Kanonenrohre eines solchen nicht allzuweit vorüberfahrenden Schiffes, strahlend mit dem Reflex ihres Stahlmantels, waren wie gehätschelt von der sichern, glatten und doch nicht wagrechten Fahrt. Die kleinen Schiffchen und Boote konnte man wenigstens von der Tür aus nur in der Ferne beobachten, wie sie in Mengen in die Öffnungen zwischen den großen Schiffen einliefen. Hinter alledem aber stand Newyork und sah Karl mit den hunderttausend Fenstern seiner Wolkenkratzer an. Ja in diesem Zimmer wußte man, wo man war.
An einem runden Tisch saßen drei Herren, der eine ein Schiffsofficier in blauer Schiffsuniform, die zwei andern, Beamte der Hafenbehörde, in schwarzen amerikanischen Uniformen. Auf dem Tisch lagen hochaufgeschichtet verschiedene Dokumente, welche der Officier zuerst mit der Feder in der Hand überflog, um sie dann den beiden andern zu reichen, die bald lasen, bald excerpierten, bald in ihre Aktentaschen einlegten, wenn nicht gerade der eine, der fast ununterbrochen ein kleines Geräusch mit den Zähnen vollführte, seinem Kollegen etwas in ein Protokoll diktierte.
Am Fenster saß an einem Schreibtisch, den Rücken der Türe zugewendet ein kleinerer Herr, der mit großen Folianten hantierte, die auf einem starken Bücherbrett in Kopfhöhe vor ihm nebeneinandergereiht waren. Neben ihm stand eine offene wenigstens auf den ersten Blick leere Kassa.
Das zweite Fenster war leer und gab den besten Ausblick. In der Nähe des dritten aber standen zwei Herren in halblautem Gespräch. Der eine lehnte neben dem Fenster, trug auch die Schiffsuniform und spielte mit dem Griff des Degens. Derjenige, mit dem er sprach, war dem Fenster zugewendet und enthüllte hie und da durch eine Bewegung einen Teil der Ordensreihe auf der Brust des andern. Er war in Civil und hatte ein dünnes Bambusstöckchen, das, da er beide Hände an den Hüften festhielt, auch wie ein Degen abstand.
Karl hatte nicht viel Zeit alles anzusehn, denn bald trat ein Diener auf sie zu und fragte den Heizer mit einem Blick, als gehöre er nicht hierher, was er denn wolle. Der Heizer antwortete so leise als er gefragt wurde, er wolle mit dem Herrn Oberkassier reden. Der Diener lehnte für seinen Teil mit einer Handbewegung diese Bitte ab, gieng aber dennoch auf den Fußspitzen dem runden Tisch im großen Bogen ausweichend zu dem Herrn mit den Folianten. Dieser Herr, das sah man deutlich, erstarrte geradezu unter den Worten des Dieners, sah sich aber endlich nach dem Manne um, der ihn zu sprechen wünschte, fuchtelte dann streng abwehrend gegen den Heizer und der Sicherheit halber auch gegen den Diener hin. Der Diener kehrte daraufhin zum Heizer zurück und sagte in einem Tone, als vertraue er ihm etwas an: „Scheren Sie sich sofort aus dem Zimmer!“
Der Heizer sah nach dieser Antwort zu Karl hinunter, als sei dieser sein Herz dem er stumm seinen Jammer klage. Ohne weitere Besinnung machte sich Karl los, lief quer durchs Zimmer, daß er sogar leicht an den Sessel des Offiziers streifte, der Diener lief gebeugt mit zum Umfangen bereiten Armen, als jage er ein Ungeziefer, aber Karl war der erste beim Tisch des Oberkassiers, wo er sich festhielt für den Fall, daß der Diener versuchen sollte ihn fortzuziehn.
Natürlich wurde gleich das ganze Zimmer lebendig. Der Schiffsoffizier am Tisch war aufgesprungen, die Herren von der Hafenbehörde sahen ruhig aber aufmerksam zu, die beiden Herren am Fenster waren nebeneinander getreten, der Diener, der glaubte, er sei dort, wo schon die hohen Herren Interesse zeigten, nicht mehr am Platze, trat zurück. Der Heizer an der Türe wartete angespannt auf den Augenblick, bis seine Hilfe nötig würde. Der Oberkassier endlich machte in seinem Lehnsessel eine große Rechtswendung.
Karl kramte aus seiner Geheimtasche, die er den Blicken dieser Leute zu zeigen keine Bedenken hatte, seinen Reisepaß hervor, den er statt weiterer Vorstellung geöffnet auf den Tisch legte. Der Oberkassier schien diesen Paß für nebensächlich zu halten, denn er schnippte ihn mit zwei Fingern beiseite, worauf Karl, als sei diese Formalität zur Zufriedenheit erledigt, den Paß wieder einsteckte. „Ich erlaube mir zu sagen“, begann er dann, „daß meiner Meinung nach dem Herrn Heizer Unrecht geschehen ist. Es ist hier ein gewisser Schubal, der ihm aufsitzt. Er selbst hat schon auf vielen Schiffen, die er Ihnen alle nennen kann, zur vollständigen Zufriedenheit gedient, ist fleißig, meint es mit seiner Arbeit gut und es ist wirklich nicht einzusehn, warum er gerade auf diesem Schiff, wo doch der Dienst nicht so übermäßig schwer ist, wie z. B. auf Handelsseglern, schlecht entsprechen sollte. Es kann daher nur Verläumdung sein, die ihn in seinem Vorwärtskommen hindert und ihn um die Anerkennung bringt, die ihm sonst ganz bestimmt nicht fehlen würde. Ich habe nur das Allgemeine über diese Sache gesagt, seine besondern Beschwerden wird er Ihnen selbst vorbringen.“ Karl hatte sich mit dieser Sache an alle Herren gewendet weil ja tatsächlich auch alle zuhörten und es viel wahrscheinlicher schien, daß sich unter allen zusammen ein Gerechter vorfand, als daß dieser Gerechte gerade der Oberkassier sein sollte. Aus Schlauheit hatte außerdem Karl verschwiegen, daß er den Heizer erst so kurze Zeit kannte. Im übrigen hätte er noch viel besser gesprochen, wenn er nicht durch das rote Gesicht des Herrn mit dem Bambusstöckchen beirrt worden wäre, den er von seinem jetzigen Standort überhaupt zum erstenmal erblickte.
„Es ist alles Wort für Wort richtig“, sagte der Heizer, ehe ihn noch jemand gefragt, ja ehe man noch überhaupt auf ihn hingesehen hatte. Diese Übereiltheit des Heizers wäre ein großer Fehler gewesen, wenn nicht der Herr mit den Orden, der wie es jetzt Karl aufleuchtete jedenfalls der Kapitän war, offenbar mit sich bereits übereingekommen wäre, den Heizer anzuhören. Er streckte nämlich die Hand aus und rief zum Heizer: „Kommen Sie her!“ mit einer Stimme, fest, um mit einem Hammer darauf zu schlagen. Jetzt hieng alles vom Benehmen des Heizers ab, denn was die Gerechtigkeit seiner Sache anbelangte, an der zweifelte Karl nicht.
Glücklicherweise zeigte sich bei dieser Gelegenheit, daß der Heizer schon viel in der Welt herumgekommen war. Musterhaft ruhig nahm er aus seinem Kofferchen mit dem ersten Griff ein Bündelchen Papiere sowie ein Notizbuch, gieng damit, als verstünde sich das von selbst, unter vollständiger Vernachlässigung des Oberkassiers zum Kapitän und breitete auf dem Fensterbrett seine Beweismittel aus. Dem Oberkassier blieb nichts übrig als sich selbst hinzubemühn. „Der Mann ist ein bekannter Querulant“, sagte er zur Erklärung, „er ist mehr in der Kassa als im Maschinenraum. Er hat Schubal diesen ruhigen Menschen ganz zur Verzweiflung gebracht. Hören Sie einmal!“ wandte er sich an den Heizer, „Sie treiben Ihre Zudringlichkeit doch schon wirklich zu weit. Wie oft hat man Sie schon aus den Auszahlungsräumen herausgeworfen, wie Sie es mit Ihren ganz, vollständig und ausnahmslos unberechtigten Forderungen verdienen! Wie oft sind Sie von dort hierher in die Hauptkassa gelaufen gekommen! Wie oft hat man Ihnen im Guten gesagt, daß Schubal Ihr unmittelbarer Vorgesetzter ist, mit dem allein Sie sich als sein Untergebener abzufinden haben! Und jetzt kommen Sie gar noch her, wenn der Herr Kapitän da ist, schämen sich nicht, sogar ihn zu belästigen, sondern entblöden sich nicht, als eingelernten Stimmführer Ihrer abgeschmackten Beschuldigungen diesen Kleinen mitzubringen, den ich überhaupt zum erstenmal auf dem Schiffe sehe.“
Karl hielt sich mit Gewalt zurück, vorzuspringen. Aber da war auch schon der Kapitän da, welcher sagte: „Hören wir den Mann doch einmal an. Der Schubal wird mir so wie so mit der Zeit viel zu selbstständig, womit ich aber nichts zu Ihren Gunsten gesagt haben will.“ Das letztere galt dem Heizer, es war nur natürlich, daß er sich nicht sofort für ihn einsetzen konnte, aber alles СКАЧАТЬ