Das Meer. Blai Bonet
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Название: Das Meer

Автор: Blai Bonet

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Iberisches Panorama

isbn: 9783966750219

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СКАЧАТЬ mit Strohdächern und Sandsäcken und mit Beuteln, die mit Johannisbrot und Grünzeug gefüllt waren, Unterstände gegen Bombenangriffe errichtete, hatte das erzählt. Die Nächte verbrachte meine Mutter im Haus von Pau Inglada, um der Witwe beizustehen, die verrückt zu werden drohte und irreredete. Mein Vater, der der Miliz angehörte, patrouillierte mit einer Mauser, die ihm der Sergeant der Guardia Civil gegeben hatte, an der Küste, und ich müsste ganz falsch liegen, wenn mein Vater wirklich gewusst hätte, was er mit einer Mauser anzustellen hätte, falls zwei Meter entfernt von ihm einer hinterm Busch hervorgesprungen wäre. Mein Vater war ein durch und durch unbeschriebenes Blatt und stand allen nur im Weg. Pau Inglada und ich schliefen zusammengekauert, es gefiel uns, dass man uns wie Erwachsene allein schlafen ließ. Er rauchte im Bett. Ich mochte Tabak nicht, aber ich rauchte, damit er nicht sagte, ich hätte nichts in der Hose.

      In jener Nacht schlichen wir uns aus dem Haus. Wir sprangen über die Mauer auf die Straße. Als wir an der Scheune vorbeikamen, bemerkten wir das unruhige Pferd. Die Straße lag einsam da. Der Asphalt glänzte unter dem Licht der Sterne. Die Luft war still, die Bäume bewegungslos. Einzig der Duft der roten Erde, jener besondere Duft vertrockneten, staubigen Grases, das neben den Mauern verdorrt war, stieg empor. Wortlos durchquerten wir den Ort. Die Straßen waren menschenleer. Als wir den Ausgang des Dorfes und das Wegekreuz erreichten, das von Oleandern und krüppligen, staubbedeckten Kiefern überwuchert war, schauten wir uns lächelnd und ängstlich zugleich an, denn nun begann der Weg hinauf zum Friedhof, vor dem wir uns fürchteten.

      Wir verließen die Straße, stapften direkt über die lehmigen Felder und verletzten uns an den harten Stoppeln. Der Duft der eng beieinanderstehenden Oleaster überlud uns mit Furcht, einer heimlichen Feigheit und Wortlosigkeit. Es war mühselig, über die rote und von der Sonne aufgebrochene Erde voranzukommen, wir wanderten hinter den Mauern, an den Brombeeren vorbei und über austreibenden, übelriechenden Spargel. Dieser seltsame Gestank der Felder war uns neu.

      Der Friedhof lag neben der Straße und war etwa fünfzig Schritte von unserem Pfad entfernt. Die Strecke bis zur Friedhofsmauer war steinig und übersät von Affodill und Gestrüpp. Wir blieben auf der anderen Seite des Weges … und liefen durch einen kleinen Hain aus Steineichen mit dicken, alten Waldmeistersträuchern. Ein gutes Versteck. Wir krochen in einen der Sträucher. Er war dreimal höher als wir. Durch die Äste hindurch sahen wir die mondbeschienene Mauer und die schwarzen Zypressen, die sie etwa einen halben Meter überragten. Ebenfalls zu erkennen war der kleine Glockenturm der weiß gekalkten Kapelle.

      „Pau.“

      „Ja?“

      „Wo bist du?“

      „Hier.“

      „Ich sehe dich nicht.“

      „Die Nacht ist dunkel.“

      „Sehr dunkel.“

      „Es muss spät sein.“

      „Ja.“

      „Hast du Tabak dabei?“

      „Ich habe vergessen, ihn einzustecken.“

      „Du bist ein, eine Hure.“

      Das Warten zog sich hin, wir verhielten uns still. Es wurde kein einziges Wort gewechselt. Bloß manchmal legten wir uns die Hand auf die Schulter. Nach einer Weile hörten wir den Motor eines Lastwagens. Als hätte man uns einen Stromschlag verabreicht, hielten wir uns die Hand vor den Mund, um nicht aufzuschreien. Pau Ingladas Hand streifte meinen Hals, ich weiß nicht, an was er beim Geräusch des Motors gedacht hatte, aber er gab mir einen schnellen Kuss auf die Stirn. Weil er sich nicht allein fühlte. Seine Hand war kalt und zitterte.

      „Jetzt werden sie meinen Vater ein zweites Mal umbringen.“

      Der Lastwagen hielt neben der Straße. Dass der Motor verstummte, war furchteinflößend. Die Stille war zum Zerreißen; wie ein gespanntes Seil. Das ganze Feld. Die Wagentür – Bam! – flog zu. Schritte, ihr Rascheln im Gras, Schuhe, die gegen Steine stießen. Im nächsten Moment gefror uns das Blut in den Adern. In einer Reihe liefen die Männer zur Mauer, heulend wie Esel, wie jaulende, rufende Esel. Zwei Uniformierte mit Gewehren über den Schultern hielten Laternen in der Hand, die für mäßiges Licht sorgten. Der Lastwagen gegenüber der Mauer schaltete die Scheinwerfer ein und tauchte die Mauer in grelles Licht. Man konnte die grünen Passionsblumen erkennen, die über die Mauer hingen. Die Uniformierten stellten die Laternen auf den Boden; sie nahmen den Männern die Fesseln ab. Die Männer streckten ihnen mit gebeugten Knien die Arme entgegen, als fielen sie zu Boden; sie plärrten, riefen durcheinander die Namen von Frauen und Männern. Jene männlichen Namen riefen sie anders, jaulender, wie Namen kleiner Jungen. Mit dem Kolben ihrer Gewehre stießen die Uniformierten sie näher auf die Wand zu. Dicht an dicht und mit dem Gesicht zur Wand stellten sich die Männer in einer Reihe auf und heulten wie Esel. Die Milizionäre feuerten mit ihren Maschinengewehren aus zwei Metern Entfernung. Die Erschossenen fielen auf den Rücken und blieben wie Puppen daliegen, mit ausgestreckten Armen. Dann waren kraftlose, stöhnende Laute zu hören. Ein Mann ging auf sie zu – Peng! Peng! Peng! –, woraufhin sich eine Totenstille über die Landschaft legte. Die Scheinwerfer des Lastwagens gingen aus und die Wand verschwand in der nachtschwarzen Dunkelheit, nur ein fahler Mondschein lag auf den Felsen. Ein Vogel sang in den Eichen. Und die duftenden Pinien bewegten sich, leicht hörbar und grün unter den Sternen.

      „Manuel …“

      Pau Inglada streckte mir die Hand entgegen, als wäre er mir gerade, mitten in der Nacht und nach langer Zeit erneut begegnet. Wir kehrten zum Dorf zurück, bedrückt vom Wissen, dass jener, der die Männer mit Schüssen niedergestreckt hatte, Julià Ballesters Vater war, Julià, den Pau Inglada mit der Astra seines Vaters bedroht hatte, damit dieser ihm das Artillerieabzeichen gab.

      Dann, Herrgott, kam der Nachmittag des nächsten Tags – ein feiner, helllichter Nachmittag. Ein Nachmittag im Oktober. Nach der Schule brachte jeder seinen Ranzen nach Hause, um eiligst zur Höhle zu laufen, wo wir unser Camp hatten. Pau Inglada hatte die Astra seines Vaters dabei. Er hielt einen Luftballon mit einer Werbeaufschrift in der Hand, den seine Mutter in einem Textilgeschäft bekommen hatte, sowie ein Paket mit Sulfat und eine Literflasche, die mit Wasser gefüllt war. Auf halbem Wege drückte mir Pau Inglada alles in die Hand, was er trug, und rannte zurück. Als er etwa hundert Meter gerannt war, drehte er sich um und reckte die Hand in die Luft:

      „Das Artillerieabzeichen. Ich hab’s vergessen.“

      „Ah!“

      Ich ging so langsam wie möglich, damit er mich einholen konnte. Er kam zurück, gehetzt, außer Atem. Die Hand auf seiner Brust sagte er:

      „Puh! Ich kann nicht mehr. Ich hatte es vergessen.“

      Und er deutete auf die abgewetzte Plakette voller Grünspan, das Artillerieabzeichen, das er sich links an die Brust geheftet hatte.

      Die Höhle bestand aus einem großen, tiefen Gewölbe, das geräumiger als ein Haus war. In der Decke gab es eine Öffnung, durch die wie durch ein Bullauge Licht eindrang. Der Zugang zur Höhle war niedrig und nicht gerade weit, sodass der Einstieg nicht leicht war. Wir kletterten hinab und stützten uns an den schwarzen, riesigen und feuchten Felsen. In einer Ecke wuchs ein junger, grüner Feigenbaum mit großen Blättern. Wasser floss lautlos an den Felsen herab und da es – plopp, plopp, plopp – an einem Felsvorsprung tropfte, spürte man die etwas kühlere Luft im Innern der Höhle.

      Auf dem Boden sitzend befüllten wir die Flasche mit dem Sulfat und schüttelten sie, zuerst ich, dann Pau Inglada. Bis das Sulfat aufgelöst war. Ich befestigte den Luftballon an einem Stein, der ein Loch hatte. Der Luftballon СКАЧАТЬ