Название: Die Olive und wir
Автор: Hugo Portisch
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783711053053
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Was den Wein betrifft, war also alles, was man zu dessen Pflege braucht, schon vorhanden, mit Ausnahme der Spritzmittel, die auch hier zur Bekämpfung von Ungeziefer und Krankheit angewendet werden. Aber es sind die mildesten unter den Giften: Schwefel und Kupfersulfat, beide leicht abwaschbar, und beide werden auch von jedem Regen prompt abgewaschen.
Lange Zeit blieb für uns unklar, weshalb es auf dem Grund derart viele Haselnussstauden gab. Dabei ist der Ausdruck Staude nicht angebracht: Die einzelnen Äste wachsen wie Bäume aus dem Boden, werden bis zu 30 Zentimeter dick und ragen oft 15 Meter hoch – der schon erwähnte Haselnusswald. Doch nach einem der heftigsten Regengüsse, den die wettererprobte Toskana je erlebt hatte, erkannten wir den Nutzen auch der Haselnüsse: Ihr Wurzelwerk trotzt den Wassermassen und hält den Boden fest.
Es gibt nur eine einzige andere Pflanze, und es gab sie auf unserem Grund in großer Dichte, die Gleiches und noch Besseres vollbringt: wilde Brombeeren. Sie erteilten uns eine unvergessliche Lehre. Als wir endlich wussten, was nun alles zu unserem Grund gehört, wussten wir auch, dass ein Teil dieses Grundes völlig verwildert war. Wie uns schien, einer der schönsten Teile: das einzige flache Gelände im Talboden. Einst standen dort Obstbäume, jedenfalls waren sie da und dort in ihrer verwilderten Form noch erkennbar, aber überrankt wurde das gesamte Gelände von wilden Brombeeren. Wir nannten sie wild, weil sie ausschließlich aus ungeheuer langen, dicht mit großen Dornen besetzten Ranken bestanden, die ein undurchdringliches Dickicht bildeten. Was früher einmal an Bäumen da war, hatten sie umrankt und unter sich begraben. Also entschlossen wir uns, dieses schöne Stück Grund roden zu lassen. Keine große Angelegenheit. Ein Caterpillar besorgte das innerhalb eines Tages.
Aber damit war der Kampf gegen die wilden Brombeeren auf unserem Grundstück noch lange nicht gewonnen. Wo immer ein Stückchen Grund auch nur zeitweise nicht bearbeitet wurde, schossen sie aus dem Boden, die „Spini“, wie sie die Bauern nennen. Lange bevor uns David Attenborough in seinen eindrucksvollen Filmen „Das geheime Leben der Pflanzen“ vor Augen führte, konnten wir das geheime Leben der Spini beobachten: Sie blühen nicht, sie tragen keine Beeren und daher auch keine Samen. Sie vermehren sich durch Ableger, Triebe, die mit unglaublicher Geschwindigkeit wachsen und sich innerhalb von Tagen meterweit vorschieben. An jedem Hindernis, das ihnen entgegensteht, wachsen sie hinauf, überranken es und kommen auf der anderen Seite wieder zu Boden. Sobald sie eine entsprechende Distanz zur Mutterpflanze gewonnen haben, schlagen diese Triebe selbst Wurzeln, kappen sich von der Mutterpflanze ab und bilden ein eigenes Gewächs, das nun seinerseits wieder Dutzende Triebe dieser Art nach allen Seiten aussendet. Den Spini gelingt es solcherart in überraschend kurzer Zeit, sich über große Flächen auszubreiten. Kein Wunder, dass die Spini von den Landwirten gefürchtet sind.
Der Kampf gegen die Spini kennt kein Ende. Und viele meinen, er könne letztlich nicht gewonnen werden, denn ihre Wurzeln sitzen tief, und aus diesen Wurzeln werden immer wieder neue Triebe kommen. Wir haben den Kampf streckenweise doch gewonnen, indem wir auch die Wurzeln aufspürten und aushoben. Und haben diesen Sieg bald bereut. Denn wo immer wir die Spini samt ihren Wurzeln beseitigten, gab der Boden beim nächsten großen Regen nach und rutschte ab. Dutzende Muren waren die Folge. Jeder radikalere Eingriff in die Natur rächt sich hier sofort. Eine über Jahrhunderte gewachsene Naturordnung darf nicht gestört werden.
Aber immerhin haben wir einen Erziehungserfolg zu verzeichnen. Die Spini wuchsen entlang des schönen Weges, der durch unseren Grund führt. Und da wir sie von nun an schonten, überwucherten sie mit ihren Ablegertrieben regelmäßig diesen Weg. Und ebenso regelmäßig wurden sie von uns zurückgeschnitten, besser gesagt zurückgesichelt, zurückgehackt. Wir hatten uns schon damit abgefunden, dies in Zeitabständen immer wieder tun zu müssen – wer Spini duldet, muss sich mit ihnen plagen. Doch dann erlebten wir Erstaunliches. Eines Tages hatten die Spini offenbar begriffen, dass sie ihre Ableger unentwegt einbüßen und sich solcherart nicht vermehren können. Sie sandten keine Triebe mehr aus. Ihre ansonsten großen Blätter wurden sichtbar kleiner, und eines Tages stand die ganze Allee von Spini in voller Blüte. Nie zuvor hatten diese wilden Brombeeren geblüht. Aber in ihren Genen war die Information offensichtlich noch vorhanden, dass es auch eine andere Art der Vermehrung gäbe, als Ableger zu treiben. Diese Erbinformation wurde nun mobilisiert, sie blühten, sie trugen kleine Früchte und damit Samen. Diesen Teil des geheimen Lebens der Pflanzen hatte selbst Attenborough für seine Dokumentationen noch nicht entdeckt. So haben die Spini auch durch uns gelernt und nicht nur wir durch sie.
Doch wer hier einen Grund besitzt, der lernt nicht aus. Und meist lernt er erst durch Fehler. Da hatten wir also das schöne flache Stück Land am Talboden von den Spini gesäubert, aber nun musste damit auch etwas getan werden. Für uns war die Sache klar: Dieses Stück Erde bot sich doch als idealer Weingarten an.
Doch so, wie die Weinstöcke am Rande der Oliventerrassen wuchsen, schien uns das recht unökonomisch zu sein. Kein Traktor kam da heran, keine Fräse, keine Mähmaschine. Auf diesem flachen Stück Land sollte ein Weingarten entstehen, wie ihn die fortschrittlichen Winzer nördlich der Alpen nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen anlegen würden. Lenz Moser, ein bekannter niederösterreichischer Weinhauer, hatte da bahnbrechende Erkenntnisse gewonnen und zu Papier gebracht, ein Lehrbuch, wie Weingärten erfolgreich anzulegen wären. Wir besorgten uns das Lehrbuch, studierten es gründlich und weihten dann unsere bäuerlichen Nachbarn ein – in die von Lenz Moser gepriesene, arbeitssparende und die Erträge steigernde Hochkultur. Die Bauern kannten weder das Wort noch hatten sie von dieser Methode je gehört. Aber sie sind praktische Leute und erkannten die von uns geschilderten Vorteile der Hochkultur: Steher aus Beton würden jene aus Akazienholz ablösen, dies würde es erlauben, die Steher viel weiter voneinander entfernt aufzustellen und zwischen ihnen lange Strecken von Drähten zu spannen. Drähte, an denen sich die Triebe der Weinstöcke praktisch von allein hochranken können. Damit erspart man sich, die Triebe zu binden und auch zurückzuschneiden, zwei aufwendige Arbeitsgänge. Da die Weinstöcke solcherart aber auch viel mehr Bewegungsfreiheit gewinnen, bedanken sie sich dafür mit höheren Erträgen.
In Italien wird so ziemlich alles, was aus dem germanischen Norden kommt, für technisch überlegen gehalten. Die Lenz Moser’sche Hochkultur, von uns überzeugend vorgetragen, fand bei unseren Nachbarn daher auch bereitwillige Aufnahme. Mit ihrer Hilfe wurde der neue Weingarten angelegt: mit Betonstehern und den langen Drähten zwischen ihnen. Und in der Tat: Die Weinstöcke folgten Lenz Moser aufs Wort, sie rankten sich an den Drähten hoch, mussten nicht gebunden und auch nicht zurückgeschnitten werden.
Die erste Ernte war enttäuschend klein, doch das sei immer so bei Ersternten, trösteten uns unsere Nachbarn. Doch klein blieb auch die zweite und klein blieb auch die dritte Ernte. Kein Vergleich zu den Erträgen der Weinstöcke auf den Oliventerrassen, deren Reben nach alter toskanischer Art mühsam in runden Bögen mit Weidenruten an das Geflecht von Schilf gebunden wurden. Der Zufall wollte es, dass wir in jenem dritten Erntejahr unseren großen Lehrmeister, Lenz Moser, persönlich trafen. Wir berichteten ihm von unserem neuen Weingarten und wie genau wir seinen Ratschlägen gefolgt wären. Aber wir fügten auch hinzu, dass unsere Ernten im Vergleich zu den alten toskanischen Weinstöcken noch zu wünschen übrig ließen. Lenz Moser konnte es kaum fassen: Wo hätten wir die Hochkultur angelegt? In der Toskana? Mit toskanischen Reben? Falscher hätte man es nicht machen können. Die Art, wie die Toskaner ihre Reben auslegen und binden, sei eine Hochkultur par excellence, angepasst den Boden- und Klimaverhältnissen und solcherart selbstverständlich ertragreicher als die von Lenz Moser dem СКАЧАТЬ