Название: Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band)
Автор: Rosa Luxemburg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075833211
isbn:
Aber das ist noch nicht das Ende. Waren anfangs alle Gaben der Gläubigen für die christliche Allgemeinheit freiwillig, so begann die Geistlichkeit mit der Zeit, besonders, seit die Religion Staatsreligion geworden war, zwangsweise Gaben zu fordern, und das von allen Gläubigen, begüterten und unbegüterten. Im 6. Jahrhundert wurde von der Geistlichkeit eine besondere Kirchenabgabe eingeführt: der Zehnte (d.h. die zehnte Kornähre, das zehnte Stück Vieh usw.). Diese Abgabe fiel als neue Last auf die Schultern des Volkes und wurde später im Mittelalter eine Gottesgeißel für die armen, durch Fronarbeit ausgepreßten Bauern. Mit dem Zehnten wurde jeder Zollbreit Land, jedes Gut belegt, und der Fronbauer mußte ihn im blutigen Schweiße seines Angesichts für die Herren abarbeiten. Jetzt erhielt das arme Volk nicht nur keine Hilfe und Unterstützung von der Kirche, sondern im Gegenteil, die Kirche verband sich mit den anderen Ausbeutern und Schindern des Volkes: mit Fürsten, Landadel und Wucherern.
Als im Mittelalter das arbeitende Volk durch die Fron in immer größere Not fiel, bereicherte sich die Geistlichkeit immer mehr. Außer den Einkünften aus dem Zehnten und anderen Abgaben und Zahlungen erhielt die Kirche zu jener Zeit riesige Schenkungen und Vermächtnisse von frommen Reichen oder reichen Wüstlingen beiderlei Geschlechts, die sich durch reichliches Vermächtnis an die Kirche in ihrer letzten Stunde von ihrem sündigen Leben loskaufen wollten. Geld, Häuser, ganze Dörfer samt Fronbauern, einzelne Renten und Arbeitsleistungen, die zum Land gehörten, wurden der Kirche geschenkt und vermacht. So sammelten sich in den Händen der Geistlichkeit riesige Reichtümer an. Und jetzt hörte der Klerus schon auf, Verwalter des ihm anvertrauten Besitzes der Kirche, d.h. der Gemeinde der Gläubigen und zumindest der armen Brüder zu sein. Im 12. Jahrhundert verkündete die Geistlichkeit schon offen und stellte es als scheinbar aus den Worten der heiligen Schrift herleitbares Recht dar, daß aller Reichtum der Kirche nicht Eigentum der Gemeinschaft der Gläubigen sei, sondern privates Eigentum der Geistlichkeit und vor allem ihres Oberhauptes, des Papstes. Geistliche Ämter waren somit der beste Weg, große Einkünfte und Reichtümer zu erwerben, und jeder Geistliche, der über den Besitz der Kirche wie über sein Eigentum verfügte, stattete seine Verwandten, Kinder und Enkel mit vollen Händen aus. Da die Kirchengüter sich dadurch beträchtlich verminderten und in den Händen der Familien der Geistlichen zusammenschmolzen, befahlen die Päpste also in ihrer Sorge, den Reichtum im Ganzen zu erhalten, und indem sie sich zu obersten Eigentümern des ganzen Kirchenbesitzes erklärten, der Geistlichkeit den Zölibat, d. h. die Frauenlosigkeit, um zu verhindern, daß der Besitz durch Vererben gemindert wurde. Der Zölibat wurde ursprünglich schon im 11. Jahrhundert eingeführt, aber wegen des großen Starrsinns der Priester allgemein erst Ende des 13. Jahrhunderts angenommen. Damit die Kirche auch nicht den geringsten Teil des Reichtums aus den Händen ließe, gab Papst Bonifatius VIII. 1227 einen Erlaß heraus, der jeglichem Geistlichen untersagte, ohne Erlaubnis des Papstes weltlichen Menschen Schenkungen aus seinen Einkünften zu machen.
So häufte die Kirche in ihren Händen unermeßliche Reichtümer an, besonders Grundbesitz. In allen christlichen Ländern wurde die Geistlichkeit zum größten Grundbesitzer. Gewöhnlich besaß sie den dritten Teil der ganzen Ländereien im Staate, manchmal noch mehr. Nicht nur auf allen Königs-, Fürsten- und Adelsgütern mußte also das Landvolk außer seiner Fronarbeit den Zehnten für die Geistlichkeit abarbeiten, auch auf den ganzen riesigen Flächen der Kirchengüter arbeiteten Millionen von Bauern und Hunderttausende von Handwerkern unmittelbar für die Bischöfe, Erzbischöfe, Domherren, Pröbste und Klöster. Unter den Fronausbeutern des Volkes war im Mittelalter, zur Zeit des Feudalismus, die Kirche der mächtigste Herr und Ausbeuter. Zum Beispiel besaß die Geistlichkeit in Frankreich vor der Großen Revolution, also gegen Ende des 18. Jahrhunderts, ein Fünftel des ganzen Bodens in Frankreich, aus dem sie ein jährliches Einkommen von ungefähr 100 Millionen Franken einstrich.
Die aus den Privatgütern eingenommenen Zehnten betrugen 23 Millionen. Davon wurden 2.800 Prälaten und Obervikare, 5.600 Äbte und Priore, 60.000 Pröbste und Vikare und in Klöstern 24.000 Mönche und 36.000 Nonnen ernährt und unterhalten. Dieses ganze Heer des Klerus war völlig frei von Abgaben und vom Kriegsdienst und gab nur in Jahren allgemeinen Unglücks wie Krieg, Mißernten, Seuchen, eine „freiwillige Abgabe“ an die Staatskasse, die jedoch niemals 16 Millionen Franken überstieg.
Die so begüterte Geistlichkeit bildete mit dem Fronadel zusammen einen Stand, der über das arme Volk herrschte und von seinem Blut und Schweiß lebte. Höhere Kirchenämter wurden als die einträglichsten immer dem Adel gegeben und in adeligen Familien gehalten. Auch deshalb hielt die Geistlichkeit zur Zeit der Fronarbeit überall mit dem Adel zusammen, СКАЧАТЬ