Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte. Martin Luther
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СКАЧАТЬ wankt nach der Schwelle; nein, nicht Fräulein Bergmann, ihren Vater will sie rufen ... In ihren Ohren siedet's und braust's. Der tolle Sturm im Kampf am Fenster hat ihr fast den Atem genommen und den Druck am Herzen entsetzlich verschlimmert. Sie verfehlt die Richtung in dem so plötzlich veränderten Vorzimmer, das nur zuweilen die grellen Blitze erleuchten, sie hat die Hand an jenes Rosengeranke gelegt, ob ihre zitternden Finger einen Riegel berührt haben oder nicht, sie weiß es nicht. Endlich hat sie den Ausgang gefunden. Kaum ist sie im Gange, so kracht ein brüllender Donnerschlag hernieder, der selbst in dem steinernen Riesenleib des Schlosses ein Zittern und Beben verursacht. Das Klirren und Poltern und den gellenden Schrei hinter ihr verschlingt das furchtbare Getöse. In der Sommerstube ist noch Licht, vielleicht ist ihr Vater schon dort. Aus seinem Schlafzimmer muß er durch die Sommerstube kommen. Mit ihrer letzten Kraft kann sie eben noch die Türe öffnen, und als sie keinen Menschen, auch nicht den Leibjäger ihres Vaters dort findet, auf die Alarmglocke drücken, dann sinkt sie ohnmächtig neben dem Lederdiwan zu Boden. Schon stundenlang hat sie mit eisernem Willen dagegen angekämpft, nun entschwindet ihr alles. – – –

      Sie erwachte erst, als ein graues Morgenlicht ins Zimmer fiel. Sie erhob sich mühsam mit großen Schmerzen in ihren Gliedern und wankte in ihrer Mutter Zimmer. Im Vorzimmer saß eine Diakonisse, die stand auf und schob sie sanft hinaus.

      »Gehen Sie hinüber, Prinzessin, ich bringe Nachricht –«

      Sie ging in ihr eigenes Zimmer. Halb betäubt setzte sie sich auf ihr Bett. Da hörte sie draußen Stimmen.

      »Ja, es war ein Knabe, und jetzt ist wohl keine Aussicht mehr. Die Fürstin ... sie kommt über den Berg, ja, eine kräftige Natur ... in einer Beziehung gewiß.«

      Rosmarie ließ sich mit einem tiefen Seufzer auf ihr Bett gleiten und streckte sich aus.

      »O Vater, du solltest nicht trauern. Wird dich ein Kind glücklich machen, das dir der Haß gebracht hat!« –

      Als die Sonne schon hoch an einem verweinten Himmel stand, ging Rosmarie in die Sommerstube zu ihrem Vater, mit ihren leisen schwebenden Schritten. Der hatte sie hereinkommen hören, wandte ihr aber den Rücken zu und drehte sich auch nicht um. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Sei nicht mehr traurig, lieber Vater.«

      Der Fürst fuhr herum. – O Gott, wie sah er aus. Als ob er geweint hätte, übernächtig, verstört, ein finsterer Zorn lag auf seiner Stirn. Wie nur sein finsterster Ahn je geblickt haben mochte, wenn er seinen Todfeind vor sich sah.

      »Ich begreife nicht, wie du es wagen kannst, mir unter die Augen zu kommen! Laß deine Kammerjungfer packen, ich habe an Tante Helen depeschiert, daß du kommst. Hier in Brauneck kannst du nicht sein um deiner armen ... der Fürstin willen, und ich will dich auch nicht sehen.«

      »O Vater, was soll ich – warum – ich war ohnmächtig lange, ich – ich habe hier gelegen.«

      »Was redest du? Hast du dich hier versteckt, nachdem dir dein Streich gelungen?«

      Rosmarie richtete sich auf: »Nun will ich hören, was ich getan haben soll!«

      »Das weißt du selbst, und es ist so schändlich, daß ich es nicht wiederholen werde... Gehe jetzt und mache dich fertig. Mama wird erst ruhig sein, wenn du aus dem Hause bist. An Tante Helen habe ich geschrieben, ihr magst du sagen, was du zu deiner Entschuldigung vorbringen kannst. Ich weiß, daß Mama dich gereizt hat, sie hat es selbst zugegeben, aber diese Tat, diese schändliche Tat! Und du kommst herein, und ich sehe die Freude darüber in deinem Gesicht. Du kannst es nicht ableugnen, was ich selbst gesehen habe. Geh jetzt, oder du zwingst mich, mein eigenes Zimmer zu verlassen.«

      Rosmarie erhob ihr totenblasses Haupt und ging zur Türe hinaus, ohne sich umzusehen; auch in ihr flammte der alte Braunecker Zorn. Eine Stunde später rollte der Wagen hinaus, und Rosmarie befand sich auf der Reise. – – –

      Die Lichter der Villa Helena leuchteten durch das kleine Vorgärtchen, das sie von der Lichtentaler Allee trennte. Das Coupé hielt, und Rosmarie und Miß Granger stiegen aus, ein fetter Diener führte sie hinauf in ein freundliches Sälchen, wo Tante Helen lachend und rundlich stand und ihre blasse Nichte in Empfang nahm. »So, Rosmarie, da haben wir dich ja recht plötzlich. Und das ist Miß Granger. How do you do? All right, come along. Miß Granger, Sie haben einen Brief meines Bruders, der mich mächtig interessiert. Du, blasse Jungfrau im Mondenschein, machst einstweilen Toilette, nicht gar so prächtig, wir machen es uns hier Gott sei Dank recht bequem, und kommst dann herunter. Da ist ja deine Lisa, sie kann dir helfen ...«

      Rosmarie ging hinauf in ein hübsches Gastzimmer, und Lisa bürstete ihr Haar und half ihr in das weiße Abendkleid. Wohl mochte die Tante sagen, blasse Jungfrau. – Dann erscholl die Glocke zum Zeichen, daß angerichtet sei und sie erwartet werde. Tante Helen empfing sie mit einem merkwürdig gespannten Gesichtsausdruck und aß für ihre Verhältnisse auffallend wenig.

      »Etwas Ähnliches wäre sehr günstig für meinen Appetit, gegen den ich immer erfolglos ankämpfe ... oder nein, doch lieber nicht.«

      Rosmarie berührte kaum die Speisen und brachte nur mühsam die nötigsten Angaben über ihre Reise heraus. Da erhob sich die Tante.

      »Ich glaube, wir verzichten auf weiteres ... Rosmarie, komm mit in meinen Schmollwinkel.«

      Das war ein reizendes kleines Gemach mit Flügeltüren auf einen Balkon, der gerade über Rosenbeeten schwebte. Die Türen standen offen, und allerhand freundliche Geräusche, ferne Musik, Wagenrollen, Stimmen der Menschen, das Rauschen seidener Kleider, Zigarettenduft drangen herauf.

      »Ja, so läßt es sich leben, ein wenig über dem lieben Nächsten und doch nicht durch dicke Mauern und tiefe Gräben von ihm getrennt ... Wie bist du nur auf einen solchen hirnverrückten Gedanken gekommen, du Unglückskind! Verstand habe ich dir nie viel zugetraut, aber so viel Bosheit auch nicht. Was hast du eigentlich gewollt mit dieser Farce mitten in der Nacht?«

      »Tante Helen, du mußt mir sagen, was ich getan haben soll. Den ganzen Tag warte ich darauf.«

      »Da lies den Brief deines Vaters, wenn es dich nach seinem Urteil gelüstet.«

      Und Rosmarie liest. »Ich bin aufs tiefste erschüttert und empört, ja ein Entsetzen hat sich meiner bemächtigt. Rosmarie hätte heute nacht beinah den Tod zweier Menschen verschuldet. Meinen Sohn habe ich verloren; was darin für mich liegt, kannst du mir ja nachempfinden. Charlotte ist, wie der Arzt jetzt hofft, gerettet. – Rosmarie ist von ihrer Mutter gereizt worden, das gibt Charlotte selbst zu, um einer alten Sache willen ... Ein schweres Gewitter kam hinzu; Charlottes Nerven sind ja leider durch das lange Liegen recht herunter. Am Tage war durch das Hin- und Herrücken des alten Rosenschranks, du kennst ihn ja, eine Tür in einen Gang frei geworden. Aus irgend welchen Gründen fürchtete sich Charlotte vor diesem Gang und sprach darüber mit Rosmarie. Als das schwere Gewitter immer mehr Charlottes Nerven angriff, muß Rosmarie es darauf angelegt haben, ihre Mutter zu erschrecken und zu ängsten. Da nun Charlotte sie flehend bat, immer wieder, ihr Fräulein Bergmann zu holen, sei Rosmarie an jene Gangtür, die frei geworden, getreten, und habe den Riegel vorgezogen. Dann erst sei sie gegangen, aber nicht zu Fräulein Bergmann oder zu mir, so daß Charlotte bei ihrer Aufregung und Furcht in dem entsetzlichen Wetter ganz verlassen war. Es krachte die alte Tür auf. Der Sturm fuhr hinein und drückte ein morsches Fenster mit bleigefaßten Scheiben ein, das sich hoch oben in dem Gang befand. Das stürzte klirrend und polternd herunter, und dazu fuhr eine Staubwolke heraus. Charlotte hielt in ihrer erregten Phantasie, – Rosmarie hatte ihr irgend welche Schauergeschichten vorgelesen – den Lärm für den Einsturz von Särgen. Genug davon, Du wirst Dich nicht wundern, daß Fräulein Bergmann, die endlich doch von selbst kam, Charlotte in СКАЧАТЬ