Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte. Martin Luther
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      »Hast du es gehört?« fragte er.

      »Ja.«

      »Ein wahres Eldorado ist es.«

      »Falsch!«

      »Falsch? Wieso?«

      »Es muß heißen: ein wahres Dorado. El ist der Artikel.«

      »Was geht mich der Artikel an, wenn nur die Sache richtig ist! Du weißt doch, was Eldorado bedeutet?«

      »Ja.«

      »Ein Land voll lauter Gold und Edelsteinen. Da kannst du dir denken, daß mein Verwandter Millionär ist!«

      Millionär – – zweiter Blitz!

      Da ich nicht antwortete, fragte er nach einer Weile:

      »Schläfst du schon?«

      »Nein, aber ich möchte schlafen!«

      »So warte nur noch einen Augenblick! Ich muß dir nämlich sagen, daß mein Verwandter keine Verwandten hat.«

      »Nicht? Wenn er dein Verwandter ist, hat er doch welche!«

      »Wen denn?«

      »Dich und deine Familie.«

      »Ach so – – richtig! Wir sind aber auch seine einzigen Verwandten. Weißt du, was daraus folgt?«

      »Nun, was?«

      »Daß wir uns als seine Universalerben zu betrachten haben. Hast du das verstanden?«

      Universalerben – – dritter Blitz. Jetzt waren alle drei heraus, und nun ließ er mich wahrscheinlich schlafen.

      »Das habe ich verstanden,« antwortete ich. »Aber etwas anderes kann ich nicht verstehen.«

      »Was?«

      »Daß du mich als deinen einzigen wahren Freund betrachtest und doch gegen mich dasselbe Schweigen bewahrst wie gegen alle andern männlichen Personen deines Alters.«

      »Das thue ich nur dir zuliebe.«

      »Wieso?«

      »Du bist ein braver, ehrlicher Kerl, und grad darum möchte ich dich vor Versuchungen bewahren.«

      »Unsinn!«

      »Höre, das ist kein Unsinn! Wenn in einem Eldorado ein Millionär wohnt, dessen Universalerbe man werden kann, so ist das eine so ungeheure Versuchung, daß selbst der treueste Busenfreund in Gefahr steht, ihr zu erliegen. Du bist mir lieber als alle andern Menschen, die ich kenne; aber grad diese Liebe ist der Grund, daß ich dich auch vor der kleinsten Versuchung bewahren will!«

      »So bewahre mich also, und sei still. Gutenacht!«

      »Schlaf wohl!«

      Es verging wieder eine Weile; da fragte er:

      »Bist du noch wach?«

      »Nein; ich schlafe!«

      »So muß ich dir doch noch eins sagen, nur noch eins. Es ist mir nämlich eben jetzt eingefallen daß – –«

      »Du hast dir jetzt gar nichts mehr einfallen zu lassen!« unterbrach ich ihn. »Ich will schlafen!«

      »Aber es ist ganz kurz!«

      »Kurz oder nicht; das ist ganz egal! Wenn du mich nicht in Ruhe lässest, so lange ich mir einen Schinken von da oben herunter und werfe ihn dir an den Kopf!«

      »Thue das, lieber Sappho! Ich hänge ihn gewiß nicht unangeschnitten wieder hinauf, denn ich habe Hunger, riesigen Hunger. Er ist gekommen wie ein gewappneter Mann und geht wie ein brüllender Löwe in meinem Bette um!«

      »Ach, wenn du brüllende Löwen im Bette hast, so bin ich ja gerettet!«

      »Gerettet? Wie meinst du das?«

      »Da hast du so mit diesen Bestien zu thun, daß du dich nun wohl nicht mehr mit mir beschäftigen wirst.«

      »Na, wenn dich ihr Gebrüll nicht aufweckt, so magst du ruhig schlafen. Ich werde dich nicht mehr molestieren!«

      Er hielt Wort; ich schlief ein, wurde aber nach ungefähr einer halben Stunde wieder aufgeweckt, denn ich hörte ihn ängstlich rufen:

      »Sappho, Sappho, wach auf! Wach auf, und nimm mich herunter! Schnell, schnell!«

      Die Stimme kam nicht von seinem Bette, sondern aus einer andern Gegend her; es klang wie von oben herab.

      »Wo bist du denn?« fragte ich.

      »Ich hänge hier oben!«

      »Wo denn?«

      »An der Wurst. Mach nur Licht! So lange kann ich mich schon noch halten. Der Stuhl ist umgestürzt.«

      Er hing an einer Wurst! Ich sagte lachend:

      »Aber, Mensch, wenn man das Leben auch noch so überdrüssig hat, braucht man sich doch nicht grad an eine Wurst zu hängen!«

      »Mach keine dummen Witze, sondern beeile dich, sonst reißt die Schnur; obgleich sie vierfach ist!«

      »Was?« fragte ich. »Die Wurst hängt gar an einer vierfachen Schnur?«

      »Die Wurst nicht, sondern ich!«

      »Ist sie noch oben?«

      »Ja, beide sind wir noch da! Hilf mir herunter!«

      Jetzt brannte das Licht, und ich konnte die Situation überblicken. Er hing wirklich an einer Wurst, oder vielmehr nicht an, sondern neben derselben. Unter ihm lag das ausgebreitete Deckbette und auf diesem der umgefallene Stuhl.

      Es muß bemerkt werden, daß das Zimmer höher als gewöhnliche Bauernstuben war und daß die meisten der eingeschraubten Haken die Stärke von Lampenhaken hatten. An einem dieser starken Haken hing die dicke Magenwurst, auf welche Carpio es abgesehen gehabt hatte; er trug zu gleicher Zeit die vierfach zusammengelegte Schnur, welche Carpio in beiden Händen hielt, während er das andere Ende sich unter der Achselhöhle durchgezogen hatte. Er hing an ihr höher, als der umgefallene Stuhl gewesen war, was ich zunächst nicht begreifen konnte. Er war übrigens kein schlechter Turner, sonst hätte er es nicht so lange, bis ich ihm zu Hilfe kam, aushalten können.

      Ich nahm Kniebeuge und ließ ihn auf meiner Schulter Halt fassen, von wo er dann auf das Bett heruntersprang. Die mit herabgezogene Schnur in den Händen, warf er einen bedauernden Blick nach oben und sagte in wehmütigem Tone:

      »Sie war die größte und verlockendste von allen; nun stehe ich wieder hier unten, und sie, sie hängt noch oben!«

      »Dieb! Wurstspitzbube! Schinkenräuber! Ich habe dich gewarnt. Du konntest Hals und Beine brechen!« fuhr ich ihn sehr ernst an, obgleich ich, wie ich zu meiner Schande gestehe, innerlich lachen mußte.

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