Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte. Martin Luther
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СКАЧАТЬ »Und Sie sind zufrieden?«

      »So sehr als möglich; freilich, es wird Ihnen vorkommen, als ob keine Besserung eingetreten sei. Es war ein furchtbarer Eingriff, und niemals hätte ich es gewagt, wenn ich gewußt hätte, was ich nun weiß. Niemals. Es war auf einer Nadelspitze. Nach diesem ist ja alles verhältnismäßig befriedigend. Eine längere Schonzeit wird Ihre Durchlaucht freilich haben müssen. Aber ich hoffe, wenn alles so bleibt bis zum Herbst, daß Ihre Durchlaucht doch wieder die frühere Frische erreicht haben wird. Ich darf allerdings nicht verschweigen, daß auch Komplikationen eintreten können.«

      »Gewiß, gewiß,« murmelt Harro, und versucht das stürmische Glücksgefühl zu dämpfen, das seine Brust bedrängt.

      Dann geht er zu Rosmarie. Aber sie schläft, und man dürfe sie nicht wecken. So würde er jetzt wohl öfters vor geschlossenen Türen stehen und sich daran gewöhnen müssen.

      Da fuhr eben sein Schwiegervater in den Hof. Er ging ihm entgegen. »Harro!« Er mußte über sein Aussehen erschrocken sein. »Es steht gut, Vater,« sagte er so hoffnungsvoll als möglich, »nur ich bin etwas herunter.« Der Fürst sprang ab von dem hohen Kutschbock und zog aus dem Wagen einen großen in Seidenpapier gewickelten Strauß.

      »Es sind japanische Lilien. Ich habe sie Rosmarie mitgebracht. Ich wußte sonst nichts, was sie freuen würde.« Harro nahm die Blumen.

      »Oh, sie wird sich sehr freuen,« sagte er mechanisch. Sie gingen hinein.

      »Ich komme spät, Harro, aber Charlotte hat mir Sorge gemacht. Sie war von Anfang an schon sehr von unserem Unglück angegriffen, obgleich sie es nicht Wort haben wollte, und ist heute in einem Zustand, der mich erschreckt. Diese taktlosen Menschen, der Amtsrichter und die Kommission, haben sich mit ihren einfältigen Fragen sogar an den alten Christian gemacht. Den alten Christian, der lieber selber vor jeden Flintenlauf hinstände, als daß er meiner Tochter etwas geschehen ließe! Die Sache hat ihn dann selbst so erregt, daß er Weinkrämpfe bekam. Die treue Seele! Ich bin bei ihm gewesen, habe ihn aber auch nicht trösten können. Er schluchzt immer wieder: ›Die Prinzessin‹. Und die Unnot dabei! Und sie haben ja jetzt den Menschen. Und die Waffe. Harro, du siehst erschreckend aus. Du darfst dich jetzt nicht unterkriegen lassen! Denke, wie Rosmarie sich ängstigen würde.«

      »Der Mensch,« sagte Harro, »der Mensch!« und seine Arme bebten. Sein Schwiegervater mußte ihn auf das Sofa führen. Dort legte er ihn hin, schob ihm Rosmaries Seidenkissen unter den Kopf und deckte ihn liebevoll mit Rosmaries Decke zu. Dann setzte er sich neben ihn hin. Gebückt und grau. Von hinten sah er wie ein alter Mann aus.

      »Der Mensch?« fragte Harro durch die Zähne.

      »Ein entsprungener Zuchthäusler –«

      Harro sah in die Höhe: »Wollte er denn morden? ...«

      »Nein, nein, sie nehmen es nicht an. Ein Dieb und Wilderer. Er hatte es auf das Reh abgesehen. Der Mann leugnet übrigens. Natürlich. Er hat siebzehn Einbrüche begangen. Es ist eine allgemeine Erleichterung, daß es ein Fremder ist. Die Bauern wollten ihn totschlagen.«

      Harro verbarg sein Gesicht in dem Kissen. Und dann schwiegen beide. »Bitter, o bitter.«

      Endlich fragte der Fürst: »Hast du Rosmarie gesehen?«

      »Nein.«

      Der Fürst schüttelt den grauen Kopf. »Was kommt nicht alles über mich ... Rosmaries Mutter. Meine Söhne. Und jetzt erschießt mir ein Lump mein einziges Kind.«

      Harro sah auf. Wie egoistisch hatte ihn sein Schmerz gemacht. Der Mann neben ihm hatte noch mehr hergeben müssen als er. Es war ihm, als habe er ihn noch nie so gut begriffen, sei ihm noch nie so nah gewesen.

      Er erhob sich mühsam. Er hatte des kleinen Heinz Stimme gehört. Dann kam er wieder mit dem Kleinen, stellte ihn an der Tür auf den Boden und sagte: »Nun, Heinz!«

      »Opa« rief er freundlich und lief auf den Fürsten zu, dessen Gesicht sich verklärte.

      »Ja, Heinz-Friedrich, du gehst. Ganz allein!« Und nahm ihn auf den Schoß und küßte seine Haartolle. Er zeigte ihm seine Uhr und ließ sie repetieren. Harro sah ihnen zu, und es tat ihm wohl, zu sehen, welch süßer Trost von dem Kinde ausging.

      Und nun klopfte es. Harro ging hinaus. Der Herr Professor stand da und sagte: »Meine Anwesenheit in Würzburg ist heute abend nicht nötig. Ich würde mir sehr gerne einen Ruhetag gestatten. Es ist ja gar nicht ausgeschlossen, daß mich die Frau Gräfin noch einmal braucht. Können Sie mich hier behalten oder ...« »Meinem Schwiegervater, der eben gekommen ist, wird es eine große Erleichterung sein, daß wir Sie noch nicht hergeben müssen.«

      »Also gut. Ich werde mir jetzt den Genuß eines Spaziergangs bereiten. Ich tue das sonst nur im August und September, habe seit vielen Jahren keine blühenden Heckenrosenwege mehr gesehen. Gibt es hier solche?«

      »Gewiß, Herr Professor. Die Füchse stehen Ihnen auch zur Verfügung, meine Frau hat einen sehr hübschen Viktoriawagen. Und Sie können des Fürsten Leibkutscher haben, der Sie fahren wird.«

      »Nun. wenn ich es so bequem haben kann! Aussteigen kann ich ja immer, wo es am schönsten ist. Ich werde dem Kutscher den Weg angeben.«

      Bald fuhr der Wagen vor und der Herr Professor davon. Aber durchaus nicht nach Heckenrosen. Er fragte den Kutscher:

      »Wissen Sie die Stelle, wo das Unglück geschehen ist? So fahren Sie mich dorthin!«

      Und der Herr Professor fuhr nach der Römerwiese.

      »Und die Stelle?«

      Der Mann konnte seine Pferde nicht verlassen, und so beschrieb er dem fremden Herrn genau den Schleichweg, der am Waldesrand von Büschen verdeckt die ganze Wiese umzieht. Und den Schießstand, von dem aus möglicherweise der Schuß gefallen war.

      Der Herr Professor schritt auf den schmalen, tadellos gereinigten Wegchen dahin zwischen Haselnuß- und Ligusterbüschen und Wildrosengeschlinge, den Hochwald über sich. Die Stelle war bald gefunden. Sie war von vielen Füßen zertreten, die ganze Wiese war zertreten, die Blumen lagen geknickt und traurig, und dazu war alles vom Regen verschlammt. Die Wiese sah aus, als traure sie mit.

      Der Herr Professor sah sich mit seinen Falkenaugen so genau um, als ob die Tat ihn selbst angehe. Dort stak eine kleine weiße Stange im Boden. Da war wohl die junge Frau zusammengesunken. Von da ab war die Wiese unberührt. Langsam ging er wieder dem Walde zu und suchte nun die Stelle, wo er den Wagen verlassen hatte. Er ging auf den Schleichweg zu, aber irgendwie mußte er die Richtung verloren haben. Die Wege kreuzten sich, das schmale grüne Sträßchen, das auf den Ort zuführte, wo der Wagen stand, fand er nicht. Immer neue Wege kreuzten sich, und immer wieder glaubte er, da zu sein, und immer wieder fand sich's, daß er einen andern Zipfel dieser verhexten Wiese vor sich hatte.

      Da hörte er Schritte. Auf einem kleinen Wege, der dem seinigen parallel lief, sah er einen Augenblick eine Dame im grünen Kleide auftauchen, einen Jagdgehilfen mit einer Flinte hinter ihr. Nun endlich, die würden ihm sagen können, wohin sein Weg gekommen sei. Er übersprang ein Bächlein und fand sich plötzlich an einem sumpfigen Orte, wo ihm Erlenbüsche ins Gesicht schlugen und er große Mühe hatte, wieder herauszukommen. Nun war die Dame wohl schon weit. Nein, da stand sie. Der junge Mensch reichte ihr die Büchse, einen Augenblick hielt sie die im Anschlag, dann knallte der Schuß. Sie mußte gefehlt haben, denn sie zuckte die Achseln, gab dem Menschen die Büchse wieder zurück und schritt weiter. Der Professor übersprang noch einmal ein Grübchen. Da glänzte СКАЧАТЬ