Название: Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer
Автор: Arthur Schopenhauer
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027208456
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Zur nähern und vollständigen Kenntniß Dessen, was wir, in der Abstraktion und Allgemeinheit unserer Darstellungsweise als Verneinung des Willens zum Leben ausdrücken, wird ferner sehr viel beitragen die Betrachtung der in diesem Sinn und von Menschen, die dieses Geistes voll waren, gegebenen ethischen Vorschriften, und diese werden zugleich zeigen, wie alt unsere Ansicht ist, so neu auch der rein philosophische Ausdruck derselben seyn mag. Das uns zunächst Liegende ist das Christenthum, dessen Ethik ganz in dem angegebenen Geiste ist und nicht nur zu den höchsten Graden der Menschenliebe, sondern auch zur Entsagung führt; welche letztere Seite zwar schon in den Schriften der Apostel als Keim sehr deutlich vorhanden ist, jedoch erst später sich völlig entwickelt und explicite ausgesprochen wird. Wir finden von den Aposteln vorgeschrieben: Liebe zum Nächsten, der Selbstliebe gleichwiegend, Wohlthätigkeit, Vergeltung des Hasses mit Liebe und Wohlthun, Geduld, Sanftmuth, Ertragung aller möglichen Beleidigungen ohne Widerstand, Enthaltsamkeit in der Nahrung zur Unterdrückung der Lust, Widerstand dem Geschlechtstriebe, wenn man es vermag, gänzlich. Wir sehn hier schon die ersten Stufen der Askesis, oder eigentlichen Verneinung des Willens, welcher letztere Ausdruck eben Das besagt, was in den Evangelien das Verleugnen seiner selbst und Aufsichnehmen des Kreuzes genannt wird. (Math. 16, 24. 25; Mark. 8, 34. 35; Luk. 9, 23. 24; 14, 26. 27. 33.) Diese Richtung entwickelte sich bald mehr und mehr und gab den Büßenden, den Anachoreten und dem Mönchthum den Ursprung, welcher an sich rein und heilig war, aber eben darum dem größten Theil der Menschen ganz unangemessen, daher das sich daraus Entwickelnde nur Heuchelei und Abscheulichkeit seyn konnte: denn abusus optimi pessimus. Bei weiter gebildetem Christenthum sehn wir nun jenen asketischen Keim sich zur vollen Blüthe entfalten, in den Schriften der Christlichen Heiligen und Mystiker. Diese predigen neben der reinsten Liebe auch völlige Resignation, freiwillige gänzliche Armuth, wahre Gelassenheit, vollkommene Gleichgültigkeit gegen alle weltliche Dinge, Absterben dem eigenen Willen und Wiedergeburt in Gott, gänzliches Vergessen der eigenen Person und Versenken in die Anschauung Gottes. Eine vollständige Darstellung davon findet man in des Fénélon »Explication des maximes des Saints sur la vie intérieure«.Aber wohl nirgends ist der Geist des Christenthums in dieser seiner Entwickelung so vollkommen und kräftig ausgesprochen, wie in den Schriften der Deutschen Mystiker, also des Meister Eckhard und in dem mit Recht berühmten Buche »Die deutsche Theologie«, von welchem Luther, in der dazu geschriebenen Vorrede, sagt, daß er aus keinem Buche, die Bibel und den Augustin ausgenommen, mehr gelernt, was Gott, Christus und der Mensch sei, als eben aus diesem, – dessen ächten und unverfälschten Text wir jedoch erst im Jahre 1851 in der Stuttgarter Ausgabe von Pfeiffer erhalten haben. Die darin gegebenen Vorschriften und Lehren sind die vollständigste, aus tief Innerster Ueberzeugung entsprungene Auseinandersetzung Dessen, was ich als die Verneinung des Willens zum Leben dargestellt habe. Dort also hat man es näher kennen zu lernen, ehe man mit jüdisch-protestantischer Zuversicht darüber abspricht. In dem selben vortrefflichen Geiste geschrieben, obwohl jenem Werke nicht ganz gleich zu schätzen, ist Taulers »Nachfolgung des armen Leben Christi«, nebst dessen »Medulla animae«. Meines Erachtens verhalten die Lehren dieser ächten Christlichen Mystiker sich zu denen des Neuen Testaments, wie zum Wein der Weingeist. Oder: was im Neuen Testament uns wie durch Schleier und Nebel sichtbar wird, tritt in den Werken der Mystiker ohne Hülle, in voller Klarheit und Deutlichkeit uns entgegen. Endlich auch könnte man das Neue Testament als die erste, die Mystiker als die zweite Weihe betrachten – dmikra kai megala mystêria.
Nun aber noch weiter entfaltet, vielseitiger ausgesprochen und lebhafter dargestellt, als in der Christlichen Kirche und occidentalischen Welt geschehn konnte, finden wir Dasjenige, was wir Verneinung des Willens zum Leben genannt haben, in den uralten Werken der Sanskritsprache. Daß jene wichtige ethische Ansicht des Lebens hier eine noch weitergehende Entwickelung und entschiedenem Ausdruck erlangen konnte, ist vielleicht hauptsächlich Dem zuzuschreiben, daß sie hier nicht von einem ihr ganz fremden Element beschränkt wurde, wie im Christenthum die Jüdische Glaubenslehre ist, zu welcher der erhabene Urheber jenes sich nothwendig, theils bewußt und theils vielleicht selbst unbewußt, bequemen und ihr anfügen mußte, und wodurch das Christenthum aus zwei sehr heterogenen Bestandtheilen zusammengesetzt ist, von denen ich den rein ethischen vorzugsweise, ja ausschließlich den Christlichen nennen und ihn von dem vorgefundenen Jüdischen Dogmatismus unterscheiden möchte. Wenn, wie schon öfter und besonders in jetziger Zeit befürchtet worden ist, jene vortreffliche und heilbringende Religion ein Mal gänzlich in Verfall gerathen könnte; so würde ich den Grund desselben allein darin suchen, daß sie nicht aus einem einfachen, sondern aus zwei ursprünglich heterogenen und nur mittelst des Weltlaufs zur Verbindung gekommenen Elementen besteht, durch deren aus ihrer ungleichen Verwandtschaft und Reaktion zum herangerückten Zeitgeist, entspringende Zersetzung, in solchem Fall die Auflösung hätte erfolgen müssen, nach welcher selbst jedoch der rein ethische Theil noch immer unversehrt bleiben müßte, weil er unzerstörbar ist. – In der Ethik der Hindus nun, wie wir sie schon jetzt, so unvollkommen unsere Kenntniß ihrer Litteratur auch noch ist, auf das mannigfaltigste und kräftigste ausgesprochen finden in den Veden, Puranas, Dichterwerken, Mythen, Legenden ihrer Heiligen, Denksprüchen und Lebensregeln97, sehn wir vorgeschrieben: Liebe des Nächsten mit völliger Verleugnung aller Selbstliebe; die Liebe überhaupt nicht auf das Menschengeschlecht beschränkt, sondern alles Lebende umfassend; Wohlthätigkeit bis zum Weggeben des täglich sauer Erworbenen; gränzenlose Geduld gegen alle Beleidiger; Vergeltung alles Bösen, so arg es auch seyn mag, mit Gutem und Liebe; freiwillige und freudige Erduldung jeder Schmach; Enthaltung aller thierischen Nahrung; völlige Keuschheit und Entsagung aller Wollust für Den, welcher eigentliche Heiligkeit anstrebt; Wegwerfung alles Eigenthums, Verlassung jedes Wohnorts, aller Angehörigen, tiefe gänzliche Einsamkeit, zugebracht in stillschweigender Betrachtung, mit freiwilliger Buße und schrecklicher, langsamer Selbstpeinigung, zur gänzlichen Mortifikation des Willens, welche zuletzt bis zum freiwilligen Tode geht durch Hunger, auch durch Entgegengehnden Krokodilen, durch Herabstürzen vom geheiligten Felsengipfel im Himalaja, durch lebendig Begrabenwerden, auch durch Hinwerfung unter die Räder des unter Gesang, Jubel und Tanz der Bajaderen die Götterbilder umherfahrenden ungeheuren Wagens. Und diesen Vorschriften, deren Ursprung über vier Jahrtausende weit hinausreicht, wird auch noch jetzt, so entartet in vielen Stücken jenes Volk ist, noch immer nachgelebt, von Einzelnen selbst bis zu den äußersten Extremen.98 Was sich so lange, unter einem so viele Millionen umfassenden Volke in Ausübung erhalten hat, während es die schwersten Opfer auflegt, kann nicht willkürlich ersonnene Grille seyn, sondern muß im Wesen der Menschheit seinen Grund haben. Aber hiezu kommt, daß man sich nicht genugsam verwundern kann über die Einhelligkeit, welche man findet, wenn man das Leben eines Christlichen Büßenden oder Heiligen und das eines Indischen liest. Bei so grundverschiedenen Dogmen, Sitten und Umgebungen ist das Streben und das innere Leben Beider ganz das selbe. So auch in den Vorschriften für Beide: so z.B. redet Tauler von der gänzlichen Armuth, welche man suchen soll und welche darin besteht, daß man sich alles Dessen völlig begiebt und entäußert, daraus man irgend einen Trost oder weltliches Genügen schöpfen könnte: offenbar, weil dieses Alles dem Willen immer neue Nahrung giebt, auf dessen gänzliches Absterben es abge-sehn ist: und als Indisches Gegenstück sehn wir, in den Vorschriften des Fo, dem Saniassi, der ohne Wohnung und ganz ohne Eigenthum seyn soll, noch zuletzt anbefohlen, daß er auch nicht öfter sich unter den selben Baum lege, damit er auch nicht zu diesem Baum irgend eine Vorliebe oder Neigung fasse. Die Christlichen Mystiker und die Lehrer der Vedanta-Philosophie treffen auch darin zusammen, daß sie für СКАЧАТЬ