Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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СКАЧАТЬ demütige Gesicht meiner Mutter und die düstere Verlorenheit im Auge meines Vaters bemerkte, dann faltete es mir die Hand zur Faust, und ich war versucht, sie dröhnend mitten auf den Tisch zu setzen. Darum schützte ich dringende Arbeit vor, wünschte beiden gute Nacht und stieg hinauf hinter meine Tür.

      Mein Zimmerchen war finster wie ein zugenagelter Kasten. Das Bombenöfchen in der Ecke schluckte an seinem kleinen Feuer und blinzelte dann und wann mit dem roten Türloch auf, wie mit einem einzigen Auge, schläfrig und mißvergnügt, und sein roter Blick glitt träge an der gegenüberliegenden Wand entlang. Ich mochte die Lampe nicht anzünden und mich in den engen Kreis des Lichtes gefangen setzen, sondern stand in der Finsternis wie in schwarzer, grenzenloser Weite, erlöst und verlassen zugleich. Kam dann der rote Streifen neben mir auf und sank vorüber, so war es mir, als gehe unsichtbar ein wegkundiger Wanderer vorbei, und der Lichtstreifen aus seiner Laterne zittere über einen stillen Flußspiegel zwischen mir und ihm. Davon kam ein dumpfes Stocken in mein Hirn, so, als würde ich von einer letzten, rätselhaften Sicherheit abgedrängt. Bald puffte das Feuer im Ofen nur noch in langen Zwischenräumen schwach auf und blies ein Schwelen ins Dunkel, das so matt war, daß es wie machtloser, roter Atem zerrann, ehe es die Wand ertastet hatte. In Angst murmelte ich: Man müßte zum Direktor gehen und bitten, die Strafe zurückzunehmen, oder zum Pater! Wir brauchen doch das Geld! Denn meine Eltern hungern ja. Kaum hatte ich diese Worte gesprochen, als ein Picken, Knistern und Rasseln durch den kleinen Ofen lief, in dem Rohre hinaufhuschte und scheinbar durch die Mauer verschwand. Ich war von jeher ein beherzter Mensch. Aber nun dies hören und denken, die Großmutter spuke um mich, war eins. Ohne zu überlegen, griff ich über die Bettdecke nach meiner Mütze und schlüpfte auf den Zehen in den Flur. Die Treppe knarrte nicht unter meinen Füßen. Drunten hörte ich den schweren, brodelnden Atem meines Vaters aus der Schlafstube, stellte die Klingel ab, schloß die Haustür auf und stand draußen unter dem Nachthimmel; der hing in der Höhe wie ein schwarzblaues Stahlschild mit unzähligen, blitzenden Silberbuckeln. Ich werde mich nicht bücken, dachte ich bei mir, als ich das sah, und begann die Füße zu setzen, einen vor den andern, über den Berg hinauf, in die Torwölbung hinein, über die enge Stiege, immer schneller, als könne es gar nicht anders sein und hielt bald den rostigen Griff von Willmanns Türpforte in der Hand. Ich wartete und schlang ein wenig an meinem fliegenden Atem. Erst jetzt fiel mir's ein, ob der Greis noch wach sei. Ich hob den Kopf und sah durch das Weingerank den Schein des stillen Lichtes aus seinem Fenster in die Nacht hinaushängen. Im nächsten Augenblick wirbelte ich auch schon mit ungestümer Hand die drei verabredeten Schläge gegen die Tür. Drinnen kam des Greises Schritt vorsichtig bis hart ans Pförtchen. Hier hielt er, und ich hörte den Alten schwer überlegend atmen, dann sprach er unwirsch und knurrend meinen Namen als Frage. Ich sagte: »Ja« und schämte mich, daß in einem Frost, der mich plötzlich befiel, mir die Zähne aufeinanderschlugen und eine Erregung über mich kam, die als Zittern durch meinen Körper lief. Am liebsten wäre ich wieder nach Hause gerannt, doch das Pförtchen ging auf, und der Schein der Lampe, die Willmann in der Hand trug, sank heraus. Kein Gruß, kein Laut kam von den Lippen des Alten, und als ich ihm drin gegenüberstand, musterte er mich mit finster-ernstem Blick. Da rührte sich mein verletzter Stolz. »Wenn ich störe, Herr Willmann, so will ich nur gleich wieder gehen«, sagte ich möglichst fest. Er griff, ohne etwas zu erwidern, mit seiner freien Hand nach meiner herunterhängenden Rechten, und als er das Beben in ihr wahrnahm, sprach er kühl: »Schließ' ab und komm'!« Bei meinem Eintritt ins Zimmer stand die Lampe schon auf dem Tisch, und Willmann zog vor einer Nische in der Mauer den grünen Vorhang fester zusammen. Der Raum war eng und niedrig, aber ihm fehlte das Heimelige nicht, das alten Wachtstuben eigen ist. Seine Einrichtung, aus einfachen, dunkelgebeizten Eichenmöbeln, entsprach eigentlich ganz der früheren Bestimmung und bestand aus einem rammigen Tisch, zwei Stühlen und einer Bank, die um zwei Wände und in die tiefe Fensternische hineinlief. In der Ecke knotzte ein winziger, grüner Kachelofen, und an den Wänden hingen einige vergilbte Kupferstiche. Willmann hatte sich in der dämmerigen Fensternische niedergelassen, und obwohl sein Haupt in den breiten, weißen Bart gesunken war, bemerkte ich doch, wie er mich aufmerksam beobachtete. Ich stand noch immer in der Nähe der Tür und konnte meiner Bestürzung über das veränderte Betragen des Verehrten nicht Herr werden. Doch die Überzeugung, es sei besser, die Sache im Guten oder im Schlimmen ans Ende zu bringen, als fortzulaufen, bestimmte mich, ohne Aufforderung auf der Bank Platz zu nehmen. Kaum war das geschehen, so hob Willmann den Kopf, strich sich den Bart zurecht und erzählte ohne Umschweife etwa folgendes:

      »Als ich noch in Prag lernte, war ich einst allein in der Werkstatt und machte mich in Neugier an eine Maschine heran, die der Meister niemand anvertraute. Hinter meinen unkundigen Griffen löste sich irgendwo die Sicherung, und das äußerst zierliche, komplizierte Werk begann nun so rasend zu arbeiten, daß ich fürchten mußte, es könne jeden Augenblick in Stücke fliegen. In Angst riß ich die Tür auf und rief nach dem Meister. Er kam, sah, worum es sich handle, stellte mit einem Fingerdruck die Maschine ah, verabreichte mir eine Ohrfeige und sprach: ›Man soll nicht nach Hilfe schreien, ehe man nicht selbst alles versucht hat.‹« Nach diesen Worten ließ der Greis eine Pause eintreten, richtete seine Augen fest auf mich und fragte: »Hast du mich verstanden?« »Ja.« antwortete ich, »alles. Sogar das von der Ohrfeige.«

      »Und willst du mir jetzt noch etwas anvertrauen?« fragte er weiter.

      Ich zögerte. Willmann blickte indessen zum Fenster hinaus, dann drehte er sich um und sah, wie ich dasaß, mit finsterem Blick die Tischplatte anstierend.

      »Hast du deinen Eltern schon davon gesprochen?« fragte er abermals, aber ein wenig weicher.

      »Nein.« sagte ich dumpf, »sie würden zu sehr darunter leiden.«

      »So?« sprach er. »nun, dann erzähle also!«

      Ich begann stockend und unsicher, aber je weiter ich kam, desto mehr verwandelte sich die Angelegenheit und wurde aus dem vereinzelten, bitteren Mißgeschick zu, einem festverbundenen Glied in der Kette der Lieblosigkeiten und Bedrückungen, die ich in meinem Leben erfahren hatte. Doch von dieser Erkenntnis schwieg ich. um nicht das Unglück meiner Eltern antasten zu müssen und beschränkte mich darauf, dem Greis eine Vorstellung von dem Kummer zu geben, den die Verweigerung des Stipendiums mir verursachte. Allein, ich habe wohl nicht verhindern können, daß die geheime, tiefe Finsternis meiner Seele meine Worte verzweifelter und gramvoller gestaltet hat, als es die Bedeutung des Vorganges an sich erforderte, denn schon ehe ich geendet hatte, sah ich Willmanns weißes Haupt wie von unterdrücktem Lachen rucken, und als ich dann verdutzt schwieg, sprang er auf und brach in schrankenlose Lustigkeit aus. »Huhu! Schrecklich, furchtbar!« sprach er erstickt und wurde von einem neuen Lachkrampf geschüttelt. Da kam ich auch steil auf die Füße, wie von oben her ein Balken auf die Stirnseite fällt. »Herr Willmann, für mich ist es aber schlimmer Ernst, sehr schlimmer«, sagte ich bebend und trat hinter dem Tisch hervor.

      »Ach nee«, entgegnete er und näherte sich mir in ungebrochener Laune, um seine erhobene Rechte auf meine Achsel zu legen.

      Ich wich vor ihm zurück, unfähig zu atmen und fast betäubt vor Bitterkeit.

      Da zog er den Schritt wieder an sich. Die Lustigkeit fiel wie eine Vermummung von ihm, und sein Auge forschte über meine Züge. Dann sagte er trocken: »Schön. Gehe nach Hause und lege dich schlafen. Morgen früh trittst du vor den Pater Neumann und bittest ihn um Verzeihung.«

      Da war es mir, als erhielte ich einen Stoß vor die Brust. Was Zimmerchen verfinsterte sich von meinen aufsteigenden Tränen, und indem ich ganz leise mein »Gute Nacht« stotterte, drehte ich mich dem Ausgange zu, griff nach meiner Mütze und suchte den Drücker an der Tür. Die Wand floß wie ein graues Wasser vor mir, und der Griff war nicht zu finden.

      Plötzlich fühlte ich mich an der Achsel gefaßt und wurde herumgezogen. Willmann stand dicht vor mir. Sein Gesicht strahlte in der tiefen Güte, die ich an ihm gewohnt war. »Nein, nein,« sagte er herzlich, »so war es nicht gemeint. Komm' und setz' dich, mein lieber Junge!« Er zog mir die Mütze aus der Hand, drückte mich auf die Bank und neigte sich СКАЧАТЬ