Название: Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen
Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075835802
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Diese Worte begeisterten Alexander. Er bestätigte mit seiner gutmütigen und strahlenden Miene, dies sei wahr, das Volk sei müde.
Wir wollen unser Teil, fügte Lacaille mit drohender Miene hinzu. Alle Revolutionen waren für die Spießbürger. Jetzt ist's genug; die nächste ist für uns.
Da war es aus mit dem guten Einvernehmen. Gavard war bereit zu teilen. Logre wies die Teilung zurück und schwor, er hänge nicht am Gelde. Allmählich beherrschte Charvet den Tumult und sprach allein:
Die Selbstsucht der Klassen ist eine der kräftigsten Stützen der Tyrannei. Es ist schlimm, daß das Volk selbstsüchtig ist. Wenn es mit uns gehen will, wird es seinen Teil haben ... Warum soll ich mich für den Arbeiter schlagen, wenn der Arbeiter sich weigert, sich für mich zu schlagen? Übrigens liegt das Wesen der Frage nicht darin. Zehn Jahre revolutionärer Diktatur sind notwendig, um ein Land wie Frankreich an die Ausübung der Freiheit zu gewöhnen.
Um so mehr, erklärte Clémence klar, als der Arbeiter nicht reif ist und geleitet werden muß.
Sie sprach nur selten. Dieses große, ernste Mädchen, das unter allen diesen Männern kaum bemerkt wurde, hatte eine professorenmäßige Art zuzuhören, wenn von Politik gesprochen wurde. Sie lehnte sich an die Wand des Kabinetts, trank ihren Grog in kleinen Schlücken und betrachtete die Sprechenden, wobei sie die Augenbrauen runzelte und die Nasenflügel blähte, und so in stummer Weise ihre Zustimmung oder ihren Widerspruch zum Ausdruck brachte, was bewies, daß sie begriff, und daß sie ihre bestimmten Ansichten über die verwickeltsten Fragen hatte. Von Zeit zu Zeit rollte sie sich eine Zigarette, blies aus dem Mundwinkel ein leichtes Rauchwölkchen empor und wurde aufmerksamer. Es hatte den Anschein, als werde der Streit vor ihr geführt und als habe sie schließlich Preise zu verteilen. Sicherlich glaubte sie ihre Stellung als Frau zu behaupten, wenn sie mit ihrer Ansicht zurückhielt und sich nicht ereiferte, wie die Männer. Nur wenn die Wogen der Erörterung hoch gingen, warf sie ein Wort ein und wußte auch Charvet treffende Antworten zu geben. Im Grunde hielt sie sich für viel gescheiter als alle die Herren, und sie hatte nur Achtung vor Robine, dessen Stillschweigen sie mit ihren großen, schwarzen Augen beobachtete.
Florent beachtete Clémence so wenig, wie die anderen Herren es taten. Für die Gesellschaft war sie ein Mann, und man schüttelte ihr so kräftig die Hand, daß ihr schier der Arm ausgerenkt ward. Eines Abends hatte Florent Gelegenheit, den famosen Rechnungen zwischen Clémence und Charvet beizuwohnen. Da die junge Frau eben ihr Geld erhalten hatte, wollte Charvet zehn Franken von ihr borgen. Allein sie verweigerte ihm diese Summe, indem sie erklärte, man müsse vorher wissen, wie die Rechnung stehe. Sie lebten auf dem Boden der freien Ehe und der freien Vermögensverfügung; jeder von ihnen bestritt genau seine Ausgaben; so schuldeten sie einander nichts, wie sie sagten, und waren keine Sklaven. Die Miete, die Nahrung, die Wäsche, die kleinen Vergnügungen: alles wurde aufgeschrieben und addiert. Nach genauer Prüfung zeigte Clémence an diesem Abend ihrem Freunde Charvet, daß er ihr bereits fünf Franken schulde. Sie gab ihm die zehn Franken mit den Worten:
Vermerke dir's, daß du mir nunmehr fünfzehn Franken schuldest; du wirst mir sie am 5. des Monats bezahlen aus deiner Entlohnung für die Lektionen bei dem kleinen Léhudier.
Als Rose gerufen ward, zog jeder seine paar Sous aus der Tasche, um seinen Trunk zu bezahlen. Charvet nannte Clémence lachend eine Aristokratin, weil sie Grog trank. Er sagte, sie wolle ihn demütigen, ihn fühlen lassen, daß er weniger erwerbe, was auch richtig war; und hinter seinem Lachen barg sich eine Verwahrung gegen diesen größeren Erwerb, der ihn demütigte, trotz seines Grundsatzes von der Gleichheit der Geschlechter.
Wenn die Besprechungen auch zu keinem Einverständnisse führten, so erhielten sie doch die Herren im Atem. Ein furchtbarer Lärm drang aus dem Kabinett hervor. Die Scheiben von mattem Glase klirrten wie Trommeln. Manchmal ward der Lärm so arg, daß Rose, die am Pulte irgendeinem Blusenmann einen Trunk einschenkte, beunruhigt den Kopf umwandte.
Sie prügeln sich da drin, sagte der Blusenmann, und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab.
Es hat keine Gefahr, entgegnete Herr Lebigre; es sind Herren, die ein Gespräch führen.
Herr Lebigre, gegen seine anderen Gäste sehr hart, ließ sie nach Belieben schreien, ohne ihnen jemals die geringste Bemerkung zu machen. Er saß stundenlang auf dem Bänkchen vor dem Pulte, bekleidet mit einer Ärmelweste, den dicken, schläfrigen Kopf an den Spiegel gelehnt, mit dem Blicke Rose folgend, die Flaschen entkorkte oder mit dem Wischlappen hantierte. Wenn er gut gelaunt war und sie vor ihm stand, mit nackten Armen Gläser spülend, kneipte er sie wohl unbemerkt in den Schenkel, was sie mit einem behaglichen Lächeln hinnahm. Sie verriet diese Vertraulichkeit nicht mit dem leisesten Zucken; wenn er sie bis aufs Blut zwickte, sagte sie, sie sei nicht kitzlig. Indes, wenngleich er in dem Weindunste und in dem heißen Lichte einschlummerte, spitzte Herr Lebigre doch die Ohren auf das Geräusch, das aus dem Kabinett kam. Wenn der Lärm lauter wurde, erhob er sich und lehnte sich an die Glaswand; oder er trat auch ein, setzte sich eine Weile und schlug Gavard kräftig auf die Schenkel. Und er nickte zu allem beistimmend mit dem Kopfe. Der Geflügelhändler pflegte zu sagen, Herr Lebigre sei zwar kein Redner, doch könne man auf ihn zählen an dem Tage, da es »losgehe«.
Eines Tages mußte Florent in den Hallen Frieden stiften in einem häßlichen Gezänke, das zwischen einer Fischhändlerin und Rose ausgebrochen war, weil diese, ohne es zu wollen, einen Korb Heringe umgeworfen hatte. Bei dieser Gelegenheit hörte Florent, daß Rose ein »Polizeispitzel« geschimpft wurde. Als der Friede hergestellt war, erzählte man ihm vieles von Herrn Lebigre; er gehöre zur Polizei, das sei im ganzen Stadtviertel bekannt. Fräulein Saget habe, bevor sie ihren Vorrat an Getränken bei ihm holte, erzählt, daß sie ihn einmal getroffen habe, wie er zum Rapport ging. Auch sei er ein Geldmensch, ein Wucherer, der den Grünkramhändlern zu unchristlichen Zinsen Geld leihe und Karren vermiete. Florent war davon sehr betroffen, und des Abends glaubte er den Herren alle diese Dinge mit gedämpfter Stimme wieder erzählen zu sollen. Doch sie zuckten nur mit den Achseln und lachten über seine Bedenken.
Der arme Florent! sagte Charvet boshaft; weil er in Cayenne gewesen, glaubt er, die ganze Polizei sei hinter ihm her.
Gavard gab sein Ehrenwort, daß Lebigre ein »Guter«, ein »Reiner« sei. Doch Logre erzürnte sich am meisten. Sein Sessel krachte in allen Fugen; er erklärte heftig, es könne so nicht weiter gehen; wenn man schon jeden beschuldige, von der Polizei zu sein, so wolle er lieber zu Hause bleiben und sich nicht mehr mit Politik beschäftigen. Hat man es doch gewagt, auch ihn, Logre, zu beschuldigen, daß er in den Diensten der Polizei stehe! Ihn, der im Jahre 1848 und im Jahre 1851 sich für die Freiheit geschlagen und zweimal nahe daran gewesen, verschickt zu werden! Indem er so schrie, betrachtete er die anderen mit vorgestrecktem Kinn, als wolle er ihnen unnachsichtig die Überzeugung annageln, daß er nicht zur Polizei gehöre. Bei seinen wütenden Blicken verwahrten sich alle dagegen, daß sie ihn verdächtigten. Lacaille allein ließ stumm den Kopf sinken, als Lebigre ein Wucherer genannt wurde.
Der Zwischenfall ging in den Besprechungen unter. Seitdem Logre den Gedanken einer Verschwörung angeregt, teilte Herr Lebigre kräftige Händedrücke an die Stammgäste des Kabinetts aus. In Wahrheit mochte ihre Kundschaft ihm wenig Nutzen bringen; sie ließen sich niemals einen zweiten Trunk bringen. War die Stunde des Aufbruchs gekommen, dann tranken sie den letzten Tropfen aus ihrem Glase, den sie während ihrer heftigen Debatten über politische und soziale Gedanken vorsichtigerweise hatten stehen lassen. Beim Aufbruch in der feuchten Nachtkälte fröstelte man. Sie standen eine Weile auf dem Fußweg mit glühenden Augen, summenden Ohren, gleichsam СКАЧАТЬ