Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
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Название: Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen

Автор: Emile Zola

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075835802

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СКАЧАТЬ Das ist die Klara-Wiese, durch lebende Hecken von der Heerstraße getrennt.

      Ach was! wir gehen bis zur Brücke, sagte Silvère, als er die ersten Grasstreifen sah.

       Miette lachte hell auf, nahm den jungen Mann beim Kopf und küßte ihn herzhaft.

      An dem Platze, wo die Hecke beginnt, hat die Allee ein Ende; sie wird durch zwei alte, riesige Ulmen geschlossen. Die Felder dehnen sich knapp an der Heerstraße dahin, kahl, gleich einem breiten Bande grüner Leinwand, bis zu den Weiden und Birken am Flüßchen. Die Entfernung von den letzten Ulmen bis zur Brücke betrug übrigens kaum mehr als 300 Meter. Die Liebenden brauchten eine gute Viertelstunde, um diesen Raum zurückzulegen. Trotz aller absichtlichen Langsamkeit erreichten sie schließlich doch die Brücke. Hier blieben sie stehen.

      Vor ihnen stieg die Straße gegen Nizza die jenseitige Anhöhe hinan; sie konnten nur ein kurzes Stück sehen; die Straße macht einen halben Kilometer von der Brücke eine plötzliche Biegung und verliert sich dann zwischen den waldbestandenen Hängen. Als sie sich umwandten, sahen sie den anderen Abschnitt der Straße, den sie soeben zurückgelegt hatten und der in gerader Linie von Plassans zur Viorne führt. In dem schönen, hellen Lichte des winterlichen Mondes glich die Straße einem langen Silberbande, an welchem die Ulmen einen dunklen Saum bildeten. Rechts und links bildeten die bebauten Äcker unbestimmte, grüne, weite Flächen, durchschnitten durch dieses Band, durch diese reifweiße Straße, die einen metallischen Schimmer hatte. Ganz hinten, wo die Straße mit dem Gesichtskreise zusammenfließt, glänzten noch, gleich hellen Funken, einige beleuchtete Fenster der Vorstadt. Schritt für Schritt hatten Silvère und Miette fast eine Meile zurückgelegt. Sie warfen einen Blick auf den durchmessenen Weg, in stiller Bewunderung gebannt angesichts dieses unermeßlichen Amphitheaters, das bis zum Himmelsrande hinaufstieg und auf das Streifen bläulichen Lichtes herabflossen, wie auf die Stufen eines riesigen Wasserfalles. Dieses eigenartige Theater lag da in der Stille und Unbeweglichkeit des Todes. Nichts konnte sich an überwältigender Größe damit vergleichen.

      Die jungen Leute hatten sich an das Brückengeländer gelehnt und schauten hinab. Unter ihnen floß die Viorne, durch die letzten Regengüsse angeschwollen, mit dumpfem, ununterbrochenem Geräusch dahin. Flußauf und flußab unterschieden sie in dem Dunkel der Höhlungen die dunklen Linien der Bäume an den beiden Flußufern; da und dort flimmerte ein Mondstrahl; es war wie ein Strich geschmolzenen Zinns, das leuchtete und sich bewegte wie ein Widerschein des Tageslichtes auf den Schuppen eines lebenden Fisches. Diese Lichter glitten mit einem geheimnisvollen Reiz den grau schimmernden Lauf des Flusses entlang, zwischen den unbestimmten Schatten des Laubwerks hindurch. Es war wie ein verzaubertes Tal, ein wunderbarer Zufluchtsort, wo ein ganzes Volk von Schatten und Lichtern ein seltsames Leben führte.

      Die Verliebten kannten dieses Plätzchen am Flusse sehr genau; in den heißen Julinächten waren sie oft hierher gekommen, um Kühlung zu suchen. Stunden und Stunden hatten sie hier zugebracht, unter dem Weidendickicht verborgen, am rechten Ufer der Viorne, an dem Platze, wo die Klara-Wiese ihren Rasenteppich bis knapp ans Ufer ausdehnt. Sie erinnerten sich der kleinsten Erdfalten des Ufers, der Steine, auf welche man hüpfen mußte, um über die Viorne zu setzen, die damals ganz schmal war; sie erinnerten sich gewisser rasenbelegter Vertiefungen, in denen sie ihren Liebestraum geträumt. Darum blickte Miette von der Brücke aus mit einem gewissen Neide nach dem rechten Ufer hinüber.

      Wenn es wärmer wäre, seufzte sie, könnten wir hinabsteigen und ein wenig ausruhen, ehe wir zurückkehren.

       Die Augen noch immer auf die Ufer der Viorne geheftet, fuhr sie nach einer Weile fort:

      Schau, Silvère, jene schwarze Masse dort unten vor der Schleuse ... Erinnerst du dich? Dort ist das Buschwerk, wo wir uns am letzten Fronleichnamstage niederließen ...

      Ja, das ist das Gesträuch, erwiderte Silvère leise.

      Hier war's, wo sie zum erstenmal gewagt hatten, sich auf die Wangen zu küssen. Diese Erinnerung, welche das Kind wachgerufen hatte, verursachte beiden ein köstliches Gefühl, eine Erregung, in welcher die Freuden von gestern und die Hoffnungen von morgen zusammenflossen. Wie im Flackerschein eines Blitzes tauchten die schönen Abende vor ihnen auf, die sie zusammen verlebt hatten, besonders jenen am Fronleichnamstage, dessen geringster Einzelheiten sie gedachten, des unermeßlichen lauen Himmels, der von den Weiden am Ufer ausgehenden Kühle, der lieben Worte, die sie sich gesagt. Und während diese Dinge der Vergangenheit mit süßer Lieblichkeit in ihren Herzen wiedererwachten, glaubten sie zugleich in das Unbekannte der Zukunft einzudringen, sich Arm in Arm und ihren Traum verwirklicht zu sehen, Seite an Seite durch das Leben dahinzuschreiten wie vorhin auf der großen Heerstraße, warm eingehüllt in ihren Mantel. Und Aug' im Aug', sich selig zulächelnd, wie verloren in der Stille der klaren Winternacht, versanken sie von neuem in wonnevolles Entzücken.

      Plötzlich erhob Silvère das Haupt. Er machte sich aus den Falten des Mantels los und horchte. Miette war überrascht und tat dasselbe, ohne zu begreifen, weshalb er mit einer so hastigen Bewegung sich von ihr getrennt hatte.

      Hinter den Hügeln, zwischen denen die Straße nach Nizza sich verliert, war seit einigen Minuten ein verworrenes Geräusch zu vernehmen. Es war wie das ferne Gepolter eines Karrenzuges. Die Viorne übertönte mit ihrem dumpfen Gemurmel das noch unbestimmte Geräusch. Doch allmählich ward der Lärm deutlicher; er glich jetzt dem Getrappel einer marschierenden Truppe. Dann konnte man aus dem fortgesetzten, immer mehr anwachsenden Rollen das Getöse einer Menge heraushören, die rhythmischen und taktmäßigen Windstöße eines Orkans; es war wie die Donnerschläge eines rasch heraufziehenden Gewitters, das die schlummernde Luft durch sein Herannahen aufscheucht. Silvère horchte; er vermochte diese Wetterstimmen nicht zu fassen, welche die Hügel nicht deutlich bis zu ihm gelangen ließen. Plötzlich aber bei einer Krümmung der Straße brach eine dunkle Masse hervor und die Marseillaise, mit der Wut der Rache gesungen, rauschte mit furchtbarer Gewalt in die Lüfte.

      Das sind sie! rief Silvère in einem Ausbruch freudiger Begeisterung. Er begann zu laufen, klomm den Abhang hinan und zog Miette mit sich.

      Links von der Straße befand sich eine mit Eichen bestandene Böschung; hierher flüchtete er mit dem Mädchen, um von der heulenden Menge nicht fortgerissen zu werden.

      Als sie die Böschung erreicht hatten und im Schatten des Gesträuches geborgen waren, betrachtete das Kind, das bleich geworden war, traurig diese Männer, deren ferner Gesang genügt hatte, um Silvère aus ihren Armen zu reißen. Ihr war, als habe diese ganze Rotte sich zwischen ihn und sie gedrängt. Noch wenige Minuten vorher waren sie so glücklich, so eng vereint, so allein, so verloren in dem stillen, heimlichen Mondlichte des Abends. Und jetzt hatte Silvère den Kopf abgewendet und schien nicht zu wissen, daß sie da sei; er hatte nur Blicke für diese Unbekannten, die er seine Brüder nannte.

      Mit unwiderstehlicher Gewalt stieg die Rotte den Abhang herab. Man konnte sich nichts Furchtbareres und zugleich Großartigeres denken als den Einbruch dieser etlichen tausend Männer in den stillen, eisigen Frieden der Nacht. Die Straße war zum reißenden Strom geworden und wälzte die lebenden Wogen vor sich her, die sich gar nicht erschöpfen zu wollen schienen; an der Straßenbiegung brachen immer neue dunkle Massen hervor, deren Gesang den Donner dieses menschlichen Unwetters immer stärker und stärker werden ließ. Als die letzten Scharen auftauchten, steigerte sich das Getöse zu betäubender Gewalt. Die Marseillaise erfüllte den Himmel, wie von Riesenmäulern durch ungeheure Trompeten geblasen, die sie mit der herben Schärfe von Blechinstrumenten in alle Ecken und Enden dieses Tales hinausstießen. Und die stille, friedliche Landschaft fuhr urplötzlich aus ihrem Schlafe auf und erbebte wie eine Trommel unter dem Streich der Schlägel; sie widerhallte bis in ihre innersten Tiefen und wiederholte mit dem von allen Seiten kommenden Echo die flammenden Klänge des Nationalgesanges. Und da sang nicht mehr die Rotte allein; von den Enden des Gesichtskreises her, von den fernen Felsen, von den aufgepflügten Äckern, von den Wiesen, Baumgruppen, ja von den geringsten Sträuchern СКАЧАТЬ