Название: Der Fall Deruga
Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066309268
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»Sehen Sie«, rief der Staatsanwalt triumphierend und mit dem langen Zeigefinger auf sie deutend, »dahin wollte ich Sie bringen! Also ein Nachthemd hatte er nicht mitgenommen?«
»Nun, und?« sagte Fräulein Klinkhart finster, »wenn er doch gar nicht verreiste!«
»Sehr wohl, mein liebes Fräulein«, sagte der Staatsanwalt mit entzücktem Lächeln, »wenn nun aber kein Nachtkleid in dem Paket war, was war Ihrer Meinung nach denn darin?«
Fräulein Klinkhart zuckte ärgerlich die Achseln und sagte: »Wahrscheinlich war ein Kostüm zum Verkleiden darin, das er jemandem leihen wollte.«
»Wollen Sie uns das Rätsel lösen?« wandte sich der Vorsitzende an Deruga.
»Es war ein Kimono darin«, sagte Deruga, »den mir einmal ein Patient aus China mitgebracht hatte und den ich der Dame, die ich besuchte, leihen wollte.«
»Sie sagten ja vorhin, es wäre Wäsche darin gewesen«, sagte Dr. Zeunemann, den Arm auf die Lehne seines Sessels stemmend und sich nach dem Angeklagten herumwendend.
»Ja, können Sie sich nicht denken, daß ich das Breittreten der albernen Kleinigkeiten satt habe?« erwiderte dieser mit einem so wütenden Ausdruck, daß der Fragende unwillkürlich zurückfuhr. »Ich habe gesagt, was mir gerade einfiel, und nächstens werde ich überhaupt nichts mehr sagen. Es war ein Kimono, ein Nachthemd, eine Zahnbürste, ein Revolver und eine Flasche Gift darin. Das ganze Paket wächst mir zum Halse heraus.«
Dr. Zeunemann wartete eine Weile und sagte dann ruhig: »Ich frage Sie nicht aus, weil es mir Vergnügen macht, sondern weil es meine Pflicht ist. Ich hoffe, Sie sehen das ein und entscheiden sich, was Sie endgültig als den Inhalt des Paketes angeben wollen.«
Derugas Züge glätteten sich. »Wahrhaftig«, sagte er mit einem liebenswürdigen Lächeln, »ich bin ein grober Kerl, entschuldigen Sie mich. Es war also ein Kimono in dem verwünschten Paket.«
»Den Sie der bewußten Dame leihen wollten«, fügte Dr. Zeunemann hinzu.
»Der Fasching beginnt meines Wissens erst im Januar«, bemerkte der Staatsanwalt.
Deruga lachte. »Die Dame machte entweder ihre Vorbereitungen sehr früh oder sie brauchte ihn für einen anderen Anlaß. Ich werde sie gelegentlich fragen und es Ihnen dann mitteilen.«
Der Staatsanwalt bebte vor Ärger, um so mehr, als er auf dem Gesicht des Justizrats und auf dem des Vorsitzenden ein belustigtes Lächeln sah, das der letztere aber schnell unterdrückte. »Gehen wir nun«, sagte er, »zu der Rückkehr des Angeklagten am 3. Oktober über. Was ging dabei vor? Besinnen Sie sich noch, Fräulein Klinkhart, was Dr. Deruga sagte?«
»O ja«, antwortete sie. »Ich sagte: ›Gut, daß Sie kommen, Doktor. Es warten einige Patienten über zwei Stunden auf Sie.‹ Der Doktor sagte: ›Desto schlimmer für sie, ich bin sehr müde und will mich sofort zu Bett legen.‹ Ich fragte, ob er nicht wenigstens einen Augenblick selbst mit ihnen sprechen und sie wieder bestellen wollte. Da machte er eine abwehrende Bewegung mit der Hand und sagte: ›Ich kann nicht‹, und da wußte ich, daß ich nicht weiter in ihn dringen dürfte.«
»Fiel Ihnen denn dieses Benehmen nicht auf?« fragte der Vorsitzende.
»Durchaus nicht«, sagte Fräulein Klinkhart. »Er leidet an Migräne, und wenn ein Anfall kommt, hat er solche Kopfschmerzen, daß ihm alles einerlei ist. Er legt sich dann hin, und ich muß ihn in Ruhe lassen. Gewöhnlich ist es am anderen Morgen vorbei. Er sah auch so fahl aus, wie er immer tut, wenn er die Migräne hat.«
»Er ging also in sein Schlafzimmer, und Sie haben ihn bis zum folgenden Morgen nicht gesehen? Hatte er das Paket bei sich, das er mitgenommen hatte?«
»Darauf habe ich nicht geachtet.«
»Ich erinnere Sie, Fräulein Klinkhart«, sagte Dr. Zeunemann streng, »daß Sie unter Eid aussagen. Es ist glaublich, daß Sie im ersten Augenblick nicht an das Paket dachten; aber da Sie am anderen Tage das Zimmer aufräumten, wird es Ihnen doch eingefallen sein?«
»Das denken Sie, Herr Präsident«, sagte Fräulein Klinkhart mit einem lebhaften Feuer ihrer stillen, braunen Augen, »weil Sie einen Argwohn haben und sich womöglich einbilden, es wäre irgendein Mordinstrument in dem Paket gewesen. Ich war aber unbefangen, und deshalb fand ich das Paket gar nicht wichtig, was es auch gewiß nicht war. Aber wenn ein Kostüm darin gewesen war, das er jemandem geliehen hatte, so konnte er es ja auch gar nicht wieder mitbringen.«
»Ja, wenn«, sagte Dr. Zeunemann, »das stimmt. Besaß denn der Angeklagte einen chinesischen Kimono?«
»Chinesisches Zeug habe ich einmal gesehen«, sagte Fräulein Klinkhart. »Nebenbei kenne ich aber nicht alles, was der Doktor besitzt. Ich bin kein Spion.«
Dr. Zeunemann blätterte eine Weile in den Akten und fragte dann: »Hat der Angeklagte Ihnen sofort Mitteilung davon gemacht, als er die Nachricht von der Erbschaft bekam, die ihm zugefallen war?«
»Ja, er rief mich herein«, erzählte Fräulein Klinkhart, »denn ich war gerade in der Küche, und er war sehr erregt und machte allerlei Zukunftspläne und fragte mich, was ich mir wünschte, aber etwas Schönes und Kostbares sollte es sein. Ich sagte, ich hätte nur einen einzigen Wunsch, nämlich ein paar Brillantohrringe. Die versprach er mir, aber er neckte mich damit, wie es so seine Art war. Wir haben sehr gelacht.«
»Er freute sich also sehr?«
»Gewiß«, sagte Fräulein Klinkhart ruhig, »er war geradezu toll vor Freude. Er litt immer unter der Beschränktheit seiner Mittel und liebte es, sich auszumalen, daß er reich wäre. Er war wie ein Kind, wenn er in solchen Vorstellungen schwelgte. Aber oft sagte er schon eine Stunde nachher, daß er den ganzen Bettel verachte.«
Zum Beschluß wurden noch ein Schneider und ein Friseur vernommen, welchen Deruga größere Beträge schuldig war. Die Eleganz des Schneiders war nicht einschmeichelnd wie die des Hofrats von Mäulchen, sondern vernichtend, und zwar zermalmte sie weniger die ganz armen Teufel, für welche sie überhaupt nicht in Betracht kam, als diejenigen, die zwar Geld hatten, aber nicht genug, oder nicht Geschmack und Erziehung genug, um sich ihm oder einem ihm ebenbürtigen Kleiderkünstler anzuvertrauen. Er sagte aus, er habe sehr bald Mißtrauen geschöpft, weil er Dr. Deruga nicht für einen wahrhaft feinen Gentleman hätte halten können. Er, der Schneider, habe nur hochfeine Kundschaft und sei deshalb in diesem Punkte nicht leicht zu täuschen. Deruga sei viel zu kordial im Verkehr mit seinen Angestellten gewesen und habe zuweilen mit ihm, dem Schneider, Späße gemacht, die er in Gegenwart seiner Angestellten, des Respekts wegen, nicht gerne angehört hätte. Seine diesbezüglichen Andeutungen habe Deruga nicht verstanden. Er habe Deruga daher auch halbjährliche Rechnungen geschickt, während er den feinen Kunden nur jährliche schickte. Deruga sei ihm seit zweieinhalb Jahren eintausend Mark schuldig, das sei nicht viel, und er würde einem feinen Kunden gegenüber kein Aufheben davon machen; es könne ihm aber natürlich nicht gleichgültig sein, wenn es sich um einen Mann mit zweifelhaftem Charakter handle.
Auf die Frage, ob Deruga ihm gegenüber von einer zu erwartenden Erbschaft oder sonst von Geldquellen gesprochen hätte, die ihm zur Verfügung ständen, sagte der Schneider mit vornehmer Zurückhaltung, Deruga habe sehr viel geschwatzt, es könnten auch derartige Worte gefallen sein; er befolge aber seit Jahren den Grundsatz, die privaten Mitteilungen, die seine Kunden ihm machten, weder zu wiederholen noch zu behalten, СКАЧАТЬ