Michael Unger . Ricarda Huch
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Читать онлайн книгу Michael Unger - Ricarda Huch страница 16

Название: Michael Unger

Автор: Ricarda Huch

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 4064066388799

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СКАЧАТЬ und stellte Michael einem jungen Mädchen vor, die er Arabell Conz nannte, und die Michael schon hie und da in Vorlesungen des Freiherrn gesehen hatte.

      Sie sah reizend und ungewöhnlich aus: auf kurzem gelockten, aschblonden Haar trug sie ein dunkles Pelzmützchen und ein dunkles, pelzbesetztes Kleid auf dem kindlichen Körper, der den Eindruck großer Beweglichkeit, zugleich aber auch Unbehilflichkeit machte. Auffallend war ihre Art, zu laufen: sie trieb wie eine Träumende dahin, die irgendeine keinem sichtbare Erscheinung verfolgt, für alles Wirkliche dagegen blind ist. Michael bemerkte in ihren offenen blauen Augen ein entzücktes Aufleuchten, als sie den Freiherrn sah, und wie sie an seiner Hand, die er ihr bot, mit erstaunlicher Leichtigkeit, wie von neuer Kraft und Begeisterung getragen, dahinflog. Er sagte sich, daß sie eine von den zahlreichen Verehrerinnen des Freiherrn sein müsse, dem man nachsagte, daß er trotz seiner Jahre den Frauen gefährlicher als irgendein junger Adonis wäre; wenn je, so war es hier begreiflich, wo die geschmeidige Kraft und Eleganz seines Körpers sich vorteilhaft zeigte und die Freude aus seinen energischen Augen blitzte. Wenn er bei freundlicher Unterhaltung mit Menschen, denen er gut war, lächelte, so war sein Mund der eines Jünglings, während für gewöhnlich seine Lippen etwas Strenges hatten und als zu schmal gelten konnten; diese unversehens sich enthüllende Jugendlieblichkeit empfand Michael jedesmal als unwiderstehlichen Zauber.

      Es ergab sich von selbst, daß der Freiherr der erste Gegenstand des Gespräches zwischen Michael und Arabell war. Sie sah ihn erfreut und herzlich an, als sie hörte, daß auch er ihn verehrte, und sagte mit Feuer: »Ja, er ist der Außerordentlichste unter allen Menschen. Er ist so unendlich hoch über mir, daß er meine Fragen kaum vernimmt, und doch empfange ich immer eine Antwort von ihm. Die meisten Menschen stellen nur Fragen, aber er antwortet; er ernährt aus seinem unerschöpflichen, ambrosischen Geiste.« Michael äußerte einiges über den Inhalt seiner mystischen Bücher und fand zu seiner Überraschung, daß das halb kindliche Mädchen sie gelesen hatte und liebte. »Ich verstehe das wenigste davon mit dem Verstande«, sagte sie, »aber ich ahne den Gott darin, den ich anbeten könnte. Wenn in der Kirche von Gott gesprochen wird, fühle ich Zweifel und Widerstreben, der Gott, den er lehrt dagegen, ist lebendig, und nicht einmal der Glaube wagt sich an ihn heran, geschweige der Zweifel. Erklären könnte ich Ihnen das nicht, denn ich habe weder Gelehrsamkeit noch gebildeten Verstand, und mein Platz unter den Geschöpfen ist sehr gering, da ich Gott nie und nirgends fassen kann, nur blind seine Kraft in mir fühle. Ich habe keinen Geist, ich bin nur eine Flamme der Anbetung, eine ewige Lampe, die keine Priesterin zu speisen und zu behüten braucht.«

      Michael verabscheute die überspannten Frauen, hier aber fühlte er sich durch etwas zwar Fremdartiges, aber Ungekünsteltes gerührt und angezogen; diese zitternde Lebensglut fachte ein Hauch an, den Menschen nicht regieren und den es ihnen ziemt zu verehren. Während sie nebeneinander liefen, erzählte sie mit einer süßen und zugleich starken Stimme: »Ich sah einmal eine Tänzerin von wunderbarer Zartheit und Kraft der Glieder, die im Tanzen mit langen, farbigen Schleiern spielte, sich umwindend, wieder enthüllend und verhüllend, während wechselnde Musik erschallte und verschiedenfarbiges Licht sie beleuchtete; zuletzt wurde das Licht blutrot, so daß sie in Flammen zu stehen schien, die die dünnen Schleier und sie selbst rasch verzehrten, die in Farbe, Musik und Bewegung aufgelöst war. So sieht meine Seele aus, eine Bacchantin im Feuer tanzend, rasend in der Anbetung ihres Gottes.«

      »Und Ihr Gott ist der Freiherr?« fragte Michael, worauf sie den kurzlockigen Kopf schüttelte und lachte, daß es bis in die Augen hinein glitzerte. Dann wurde sie wieder ernst und sagte: »Nein, er ist der Mittler zu meinem Gotte, mehr als irgendein Mensch es bisher gewesen ist. Den Gott selbst kenne ich nicht, und vielleicht ist deshalb die Flamme meiner Anbetung so freudig. Oft denke ich, wenn ich den unbekannten Gott schaute und erkennte, würde sie im selben Augenblick den Tempel ergreifen und in einem Feuersturm zerstören.«

      »Wenn ich mir eine Bemerkung über Ihren unbekannten Gott erlauben darf«, sagte Michael, »so scheint er mir dionysischer Natur zu sein, da Sie den Tanz und den Rausch lieben, und Tanzen und Lachen Sie gewiß besser kleidet und Ihnen leichter fällt als Kreuztragen.«

      »Ja, ich lache gern«, sagte sie, mit dem feinen Munde lächelnd, »aber ich weiß, daß ich die Wonne des Leidens auch empfinden könnte. Meine Seele würde in Schuhen aus glühendem Golde tanzen und sich mit brennenden Schleiern umwinden und nicht aufhören zu tanzen, bis sie sterbend und selig zu Füßen ihres Gottes hinstürzte. Nur das kleinliche Werktagselend, das graue, häßliche, freudlose Dulden, das kann und will ich niemals ertragen.«

      Es hatte sich ihnen inzwischen ein junger Mann von fremdländischem Aussehen genähert, der mit Arabell gut bekannt zu sein schien; sie stellte ihn als einen Russen namens Boris vor, der in der hiesigen Stadt seit mehreren Jahren Medizin studierte. Das blasse, etwas verbissene Gesicht des Russen und sein befangenes Wesen verrieten so deutlich hochgradige Neigung zu Arabell, daß Michael es schicklich fand, die beiden allein zu lassen, und sich beeilt hätte, es zu tun, wenn es ihm nicht vorgekommen wäre, als ob das junge Mädchen ein solches Alleinsein eher fürchtete als wünschte. Sie wendete sich gerade jetzt mit besonderer Lebhaftigkeit zu ihm und fragte, wovon vorher durchaus nicht die Rede gewesen war, nach seinen politischen Ansichten.

      Michael war in der Überzeugung aufgewachsen, daß Frauen in der Politik eine Ansicht weder hätten noch haben dürften, und sagte kurz: »Darauf wüßte ich kaum etwas zu antworten, außer, daß ich zu keiner äußersten Partei gehöre.«

      »Die Mittelstraße ist der Weg zur Hölle«, sagte Arabell rasch und entfernte sich, augenscheinlich unangenehm berührt, die beiden Männer allein miteinander zurücklassend. Michael reimte sich nun zusammen, daß Boris zu den russischen Sozialdemokraten, Anarchisten und Nihilisten gehöre, die entweder als Flüchtlinge, oder um mehr Freiheit zu genießen, oder um westeuropäische Zustände kennenzulernen, sich im Auslande aufhielten, und daß Arabell diesem Kreise nahestand, wie ja Frauen überhaupt an diesem Wesen einen bedeutenden Anteil haben sollten. Es tat ihm im ersten Augenblick leid, daß das Mädchen sich mit Dingen befaßte, die ihm so zuwider waren oder für die er wenigstens so wenig Sinn hatte; doch hatte sie ihm zu gut gefallen, als daß er sie deshalb ohne weiteres hätte verwerfen können, vielmehr beschloß er, sich gelegentlich einen besseren Einblick in diese Verhältnisse zu verschaffen, über die er sich kaum ein festes Urteil zutrauen durfte. Gern hätte er einige Fragen an Boris gestellt, doch fürchtete er ihn zu verletzen oder mißtrauisch zu machen. Das Gesicht des jungen Mannes war nicht gerade einnehmend; die dunklen Augen waren stark beschattet und gedrückt und alle Züge ohne Verfeinerung; dafür prägten sich freilich Kraft und Gewandtheit eines Raubtieres in seinem Knochenbau wie in seinen Bewegungen bewundernswürdig und reizvoll aus. Sie wechselten einige Worte über ihr Studium und ihre Lehrer, denn es wollte kein Gespräch in Gang kommen; der Russe blickte zerstreut dahin, wo Arabell sich allein langsam auf und ab bewegte.

      Inzwischen war die Sonne untergegangen, und es dunkelte schnell; der Schnee schien weißlich durch die tiefe Dämmerung. Die meisten Menschen waren fortgegangen, so daß die freie Fläche des ganz unbeleuchteten Sees jetzt groß und öde erschien. Von den dunklen Tannenwäldern her wehte ein kühler Wind über das verschneite Tal und den einsamen See; es war, als suchte er etwas, und eilte seufzend weiter, wenn er es nicht gefunden, um rastlos wiederzukehren. Wie die Umrisse der Hügel, die nach der Stadt zu lagen, sich in der schneegrauen Luft auflösten, schien das Tal endlos zu werden, und man mochte wähnen, man würde nie den Ausweg daraus finden, um heimzugelangen. Michael näherte sich Arabell und machte sie auf die wunderliche Stimmung aufmerksam; sie sagte: »Ich empfinde die Natur nicht wie Sie; sie bleibt ein Bild vor meinen Augen und kommt nicht in mein Inneres, wo ich sie fühlen könnte.«

      Unfern von der Stelle, wo sie standen, war ein Stück des Sees durch Pfähle als gefährlich bezeichnet und stets gemieden, nur waghalsige Buben pflegten sich aus Übermut dort aufzuhalten, und es verging selten ein Winter, ohne daß infolgedessen ein Unglücksfall vorkam. Als Michael sah, daß der Russe sich auf diese gefährliche Stelle begab, rief er ihm warnend zu, daß das Eis dort dünn sei: allein jener schüttelte den Kopf und gab durch eine abwehrende Gebärde СКАЧАТЬ