Название: Quintus Fixlein
Автор: Jean Paul
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788726614688
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Es wird mir schwer, wieder einen hellen Klang zu geben nach diesem tiefen, und hinzuzufügen, daß Fixlein fast mit ihr auferzogen wurde und daß sie drüben beim Senior, da er ihn für die Städtebank der Tertianer stimmfähig machte, mit ihm die verba anomala erlernte.
Das Achillesschild des Kuchens, den ein erhobnes Bildwerk von braunen Schuppen auszackte, ging im Quintus als ein Schwungrad hungriger und dankbarer Ideen um: er hatte von jener Philosophie, die das Essen verachtet, und von jener großen Welt, die es verschleudert, nicht soviel bei sich, als zur Undankbarkeit der Weltweisen und Weltleute gehört, sondern er konnte sich für eine Schlachtschlüssel, für ein Linsengericht gar nicht satt bedanken.
Unschuldig und zufrieden beging jetzt die viersitzige Tischgenossenschaft — denn der Hund kann mit seinem Kuvert unter dem Ofen nicht ausgelassen werden — das Fest der süßen Brote, das Dankfest gegen Thiennette, das Laubhüttenfest im Garten. Die Mutter erzählte vieles. Thiennette zieht heute abend — hinterbringt sie — zum ersten Male ein Morgenpromenadenhabit von weißem Musselin an, desgleichen einen Atlasgürtel und Stahlschild; es wird ihr aber — sagt sie — nicht lassen, da die Rittmeisterin (denn diese hing an Thiennettens abgeworfenen Kleidern wie Katholiken an der Schutzheiligen abgelegten Krücken und Schäden) dicker sei. Gute Weiber gönnen einander alles, ausgenommen Kleider, Männer und Flachs. In der Phantasie des Quintus wuchsen Thiennetten jetzt durch die Kleidung Engelsschwingen aus den Schulterblättern: ihm war ein Kleid ein halber ausgebalgter Mensch, dem bloß die edleren Teile und die ersten Wege fehlten: er verehrte diese Tüten und Hülsen um unsern Kern nicht als Elegant oder als Schönheitszensor, sondern weil er unmöglich etwas verachten konnte, was andere verehrten. — Ferner las sie ihm gleichsam aus dem Grabstein seines Vaters vor, der im zweiunddreißigsten Jahre seines Alters dem Tode aus einer Ursache in die Arme gesunken war, die ich erst in einem späteren Zettelkasten bringe, weil ichʼs zu gut mit dem Leser meine. Man konnte dem Quintus nicht genug von seinem Vater erzählen.
Die schönste Nachricht war, daß ihr Fräulein Thiennette heute sagen lassen: „morgen könn er bei der gnädigen Frau vorkommen, denn sein gnädiger Herr Pate fahre in die Stadt.“ Das muß ich freilich erst klarmachen. Der alte Aufhammer hieß Egidius und war Fixleins Pate; aber er hatte ihm — obwohl die Rittmeisterin die Wiege des Kindes mit nächtlichen Brot- und Fleischspenden bedeckte — sparsam mit nichts anderem ein Patengeschenk gemacht als bloß mit seinem Namen, welches gerade das fatalste war. Unser Egidius Fixlein war nämlich mit seinem Pudel, der wegen der französischen Unruhen mit anderen Emigranten aus Nantes fortgelaufen war, nicht lange von Akademien zurück: als er und der Hund miteinander unglücklicherweise im Hukelumer Wäldchen spazierengingen. Denn da der Quintus immer zu seinem Begleiter sagte: „kusch, Schill“ (couche Gilles), so wirdʼs wahrscheinlich der Teufel gewesen sein, der den von Aufhammer wie Unkraut zwischen die Bäume eingesäet hatte, daß ihm die ganze Travestierung und Wipperei seines Namens — denn Gilles heißt Egidius — leichtlich in die Ohren fallen konnte. Fixlein konnte weder parlieren noch injuriieren, er wußte nicht ein Wort davon, was couche bedeute: aber von Aufhammer nahm drei Dinge nie zurück, seinen Irrtum, seinen Groll und sein Wort. Der Provokat setzte sich jetzt vor, den bürgerlichen Ehrendieb nicht mehr zu sehen und zu — beschenken.
Ich komme zurück. Nach dem Diner guckte er zum Fensterchen hinaus in den Garten und sah seinen Lebensweg sich in vier Steige spalten zu ebenso vielen Himmelfahrten: zur Himmelfahrt in den Pfarrhof und in das Schloß zu Thiennetten — auf heute — und zur dritten nach Schadeck auf morgen und in alle Hukelumische Häuser zur vierten. Als nun die Mutter lange genug fröhlich auf gespitzten Füßen herumgeschlichen war, um ihn nicht zu stören, so machtʼ er sich endlich auf seine eignen, und die demütige Freude der Mutter lief dem herzhaften Sohne lange hinterdrein, der sich getrauete, mit einem Senior ganz wohlgemut zu sprechen. Gleichwohl trat er mit Ehrfurcht in das Haus seines alten, mehr grau- und kahlköpfigen Lehrers, der nicht nur die Tugend selber war, sondern auch der Hunger: denn er aß mehr als der höchstselige König. Ein Schulmann, der ein Professor werden will, sieht einen Pastor kaum an; einer aber, der selber ein Pfarrhaus zu seinem Werkhaus verlangt, weiß den Inwohner zu schätzen. Die neue Pfarrwohnung war für den Quintus ein Sonnentempel und der Senior der Sonnenpriester. Pfarrer da zu werden, war ein mit Lindenhonig überstrichener Gedanke.
Der Wirt und der Gast formierten ein vortreffliches bureau dʼesprit. Freundlich und höflich horchte Zebedäus, der nicht einmal in seine Schreibtafel den Namen eines vornehmen Herrn ohne ein „H.“ eintrug, den akademischen Flegeljahren des alten Mannes zu. Dieses gab dem Quintus Mut, seine lustigen Reisesprünge zu referieren, die er in Leipzig unter dem Alpdrücken der Dürftigkeit machte. Man höre: sein Hauswirt, der zugleich Professor und Geizhalz war, beköstigte in dem ummauerten Hofe eine ganze Fasanerie von Hühnern. Fixlein samt einer Mitbelehnschaft von drei Stubengenossen bestritten den Mietzins einer Stube leicht: sie hatten überhaupt wichtige Dinge wie Phönixe nur einmal, ein Bett, worin allemal das eine Paar vor Mitternacht, das andere nach Mitternacht gleich Nachtwächtern schlief — einen Rock, in dem einer um den andern ausging und der wie ein Wachtrock die Nationalkleidung der Kompagnie war, und mehrere Einheiten des Interesses und des Orts. Nirgends sammelt man die Not- und Belagerungsmünzen der Armut lustiger und philosophischer als auf der Universität: der akademische Bürger tut dar, wieviel Humoristen und Diogenesse Deutschland habe. Unsere Unitarier hatten nur eine Sache viermal, den Hunger. Der Quintus erzählte es vielleicht mit einem zu freudigen Genuß der Erinnerung, daß einer aus diesem darbenden coro ein Mittel ersann, die Hühner des ordentlichen Professors wie Abgaben oder Steuern zu erheben. Er sagte (er war ein Jurist), sie sollten einmal die juristische Fiktion aus dem Lehnrechte entlehnen, daß sie den Professor für den Erbzinsbauern, dem ganz die Nutznießung des Hühnerhofes und Hauses zustehe, sich aber für die Zinsherren ansehen, denen er seine Zinshühner ordentlich entrichten müßte. Damit nun die Fiktion der Natur folgte, fuhr er fort, so müßten sie solche Fastnachtshühner ihm wirklich abfangen. Aber in den Hof war nicht zu kommen. Der Feudalist machte sich daher eine Angel, klebte eine Brotpille an den Angelhaken und hielt fischend seine Angelrute in den Hof hinab. In wenig Tertien griff der Haken in einen Hühnerschlund und die angeöhrte Henne, die nun mit dem zinsherrlichen Feudalisten kommunizierte, konnte still in die Höhe gezogen werden zur hungrigen Luftfischerei-Sozietät, wo ihrer nach Maßgabe der Umstände der rechte Feudal-Name und Besitz-Titel wartete: denn die Hühner mußten bald Raubhühner, bald Wald-, Forst-, Vogtei-, Pfingst-, Sommerhennen benannt werden. Der Professor bemerkte wie ein Fürst traurig die verminderte Volksmenge der Hühner. Endlich hattʼ er das Glück, als er sein Kollegium las, durch das Fenster des Auditoriums eine mitten in die Luft fixierte Zinshenne wahrzunehmen; — er ging der unbegreiflichen geraden Aszension des aeronautischen Tiers nach und sah endlich oben den Hebungsbedienten mit seinem tierischen Magnetismus stehen, der aus dem Hühnerhofe die Lose zum Essen zog . . . Er machte aber der Hühnerbeize wider alles Erwarten noch früher ein Ende als dem Regal-Kollegio.
Fixlein schritt nach Hause und nahm unterwegs höflich vor den leeren Fenstern des Schlosses den Hut ab: vornehme Häuser waren ihm so viel wie vornehme Leute. Der Mutter brachte er erlogene Grüße mit, die ihm authentische zurückgab, weil sie nachmittags bei der weißmusselinen Thiennette gewesen war. Die Mutter wies ihr jeden Notpfennig, den der Sohn in ihre große leere Geldtasche fallen ließ, und setzte ihn in Gunst beim Fräulein: denn Weiber neigen einem Sohn, der seiner Mutter zärtlich einige ihrer Wohltaten zurückzahlt, mehr und wärmer ihre Seele zu als wie einer den Vater versorgenden Tochter, vielleicht aus hundert Gründen und auch aus dem, weil sie von Söhnen und Männern mehr gewohnt sind, daß diese bloß fünf Fuß lange — Donnerwetter, behoste Wasserhosen oder doch ausruhende Orkane sind.
Seliger Quintus! an dessen Leben noch der Vorzug wie ein Adlerorden schimmert, daß du es deiner Mutter erzählen kannst, wie z. B. den heutigen Nachmittag im Seniorat. Deine Freude fließet in ein fremdes Herz und strömet daraus verdoppelt in deines zurück.
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