Название: Der Zauberladen von Applecross (Bd. 1)
Автор: Pierdomenico Baccalario
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9783649640080
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Mein Vater versetzte mir von hinten einen kleinen Schubs, der mich fast aus dem Gleichgewicht brachte. »Denk dir was aus, Prospero«, sagte er einfach. »Ich muss zurück auf den Hof.«
Dann wechselten die beiden Männer einen Blick, der eine vorher getroffene Abmachung zu besiegeln schien. Ich stellte mir vor, wie die beiden am Telefon miteinander gesprochen hatten, während ich in meinem Zimmer eingesperrt war, so wie Männer das eben tun, mit nur ein paar knappen Sätzen.
»Komm mit«, befahl mir Reverend Prospero und ging voran.
Eins muss ich zu Reverend Prosperos Verteidigung sagen. Er hat an jenem ersten Tag zumindest versucht, Applecross zu retten. Aber anscheinend konnten weder er noch ich verhindern, was unausweichlich geschehen sollte.
Weil ich keine vierzehn war, konnte ich nicht richtig arbeiten. Das wäre illegal gewesen. Es gab nämlich ein Gesetz gegen die Ausbeutung der Arbeitskraft von Minderjährigen. Oder so ähnlich. Aber das hielt den Reverend eines kleinen frommen Ortes wie Applecross nicht davon ab, mich zu verpflichten, hier und da Leuten »zur Hand zu gehen«, und zwar vollkommen umsonst. Denn ich war ja ein guter Junge, der gern half.
Das war das schottische Hausmittel gegen Faulheit.
Am ersten Tag ging ich der landwirtschaftlichen Genossenschaft »zur Hand«. Sie schickten mich ins Lager, wo ich die Kisten von den Lieferwagen abladen und in die Regale einräumen sollte. Anfangs machte mir das sogar Spaß, aber später nicht mehr: Alles, was kam (und es war jede Menge Zeug, das zu den unterschiedlichsten Zeiten angeliefert wurde), musste in einer bestimmten Ordnung eingeräumt werden. Dahinter steckte eine Logik, die sich mir allerdings nicht erschloss. Ich hatte keine Ahnung gehabt, wie viele Produkte im Lager eines kleinen Supermarktes Platz finden konnten und wie viele Menschen dort jeden Tag hinkamen, um nach den ausgefallensten Dingen zu fragen.
Bereits nach der Hälfte des Vormittags spürte ich meine Schultern nicht mehr.
Mr Cullen, mit dem ich noch kein Wort gewechselt hatte, zeigte auf einen kleinen Hocker neben der Kasse. »Ich gehe mal kurz zur Bank. Wenn jemand kommt, dann sagst du, ich bin gleich zurück.«
Sobald er weg war, nahm ich mir ein Wassereis aus der Kühltruhe und lutschte es hastig, damit er es nicht mitbekam.
In dem Moment betrat ein Mann den Laden, den ich vorher noch nie gesehen hatte. Er sah aus wie ein Rockstar. Er war riesengroß, spindeldürr, hatte einen blonden Wuschelkopf und wirkte so verwirrt, als hätte er eben entdeckt, dass die Mondlandung nie stattgefunden hatte.
Der Mann sah sich um, wie um zu begreifen, wohin es ihn verschlagen hatte, und fragte mich: »Gibt es hier Pizza?«
Ich zeigte ihm das Kühlregal mit den Steinofenpizzas, auf denen der Mozzarella so schön Fäden zieht, und er musterte sie etwas misstrauisch. Schließlich nahm er zwei.
Dann kramte er in seinen Taschen und rief: »Verdammt! Entschuldige. Ich bin neu hier. Ich habe … ich habe mein Portemonnaie zu Hause vergessen. Kann ich später noch mal wiederkommen und sie bezahlen?«
Ich sah zur Bank hinüber, aber von Mr Cullen keine Spur. Ich musste also schnell eine Entscheidung treffen. »Okay«, sagte ich zu dem Unbekannten. »Aber Sie kommen ganz bestimmt wieder, oder?«
»Sicher komme ich wieder«, erwiderte er. »Und danke. Ich bin … wirklich …«
Was auch immer er noch sagte, ich konnte es nicht verstehen. Und als ich Mr Cullen erzählte, was vorgefallen war, zeigte er bloß auf ein Schild, auf dem stand: ANGESCHRIEBEN WIRD NICHT und schickte mich zu Reverend Prospero zurück.
Am nächsten Tag fing ich auf dem Postamt an und ging dem Briefträger »zur Hand«.
Dort blieb ich dann eine ganze Woche. Ich sortierte Berge von Post, und wieder war ich überrascht, wie viele Briefe, Päckchen und Pakete die Leute verschickten und erhielten. Waren denn nicht Computer und E-Mails erfunden worden, um Briefpapier und Umschläge zu ersetzen? Anscheinend galt das nicht für Applecross.
Meine erste Arbeitswoche war alles in allem sehr vergnüglich und endete sogar noch mit einer guten Nachricht. Jules, der Briefträger des Dorfes, hatte sich einen Knöchel verstaucht, als er oben bei der Villa des Grauens versucht hatte, seine Hacken vor dem Schäferhund der McBlacks zu retten. Das Ganze schilderte er uns sehr theatralisch, gestenreich und mit dramatischer Stimme und meine Kollegen wirkten ehrlich beeindruckt: Keiner, so beteuerten sie, sollte gezwungen werden, dieser Familie die Post zu bringen.
Nun ja: Es gibt viele Gerüchte über die Brutalität der McBlacks und darüber, weshalb ihr Haus den Namen Villa des Grauens verpasst bekommen hatte, obwohl eigentlich nichts daran wirklich angsteinflößend war, mal abgesehen von den Statuen. Die Meinung des Briefträgers, dass ihr Schäferhund besonders gefährlich war, fand ich maßlos übertrieben. Aber Jules hatte sich wirklich den Knöchel verstaucht, er hatte das Bein hochgelegt und kühlte ihn mit einem Eisbeutel.
»Schlimme Geschichte, Jules …«, sagte eine der Schalterdamen.
Und die andere fragte: »Wenn du so zugerichtet bist, wer soll denn jetzt mit dem Fahrrad die Post austragen?«
Es dauerte keine Sekunde und alle starrten mich an. Und noch schneller hatte ich zugestimmt, die Aufgabe zu übernehmen.
Applecross, ich saß wieder im Sattel! Und ich war wieder im Freien, wo ich mich nun mal am liebsten aufhielt.
VIERTES KAPITEL
DAS FAHRRAD
DIE UMHÄNGETASCHE
DER UMSCHLAG MIT DEN
GOLDENEN BUCHSTABEN
Am zweiten Samstag im Juni, als die Schulen offiziell ihre Tore schlossen und die Listen ausgehängt wurden mit den Namen und Noten der Schüler, die versetzt worden waren, und auch der Schüler, die das Jahr noch einmal wiederholen mussten (nur ich), strampelte ich auf dem Fahrrad des Dorfbriefträgers durch Applecross.
Dusty rannte keuchend hinter mir her, fest entschlossen, mir nicht einen Meter Vorsprung zu gönnen, und wenn die Straße anstieg, stellte ich mich auf die Pedale. Ich hatte das Gefühl, Jules’ Fahrrad könnte jeden Moment unter mir zusammenbrechen, und das wäre gar nicht gut gewesen. Schließlich war das heute mein erster Tag als Briefträger.
Ich hatte mir die Umhängetasche quer über die Brust geworfen, und anders als Jules, der die Umschläge stets vorher ordnete und seine Route plante, ehe er sich in den Sattel schwang, holte ich immer einen Brief nach dem anderen hervor, las die Adresse und machte mich dann auf den Weg. Wie bei einer Schnitzeljagd. Der Job gefiel mir.
Außerdem bedankten sich alle, vor allem auf den Bauernhöfen, überschwänglich dafür, dass ich ihnen die Post brachte. Sie luden mich auf eine Limonade ein, und während der ganzen Zeit hielten sie ihre Hunde am Halsband fest, damit sie weder mich ins Bein bissen noch auf Dusty losgingen. Ich hatte meinen Hund noch nie so glücklich gesehen: Bei jedem Halt markierte СКАЧАТЬ