Ein jeder lebt's. Joachim Ringelnatz
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Название: Ein jeder lebt's

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027203673

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СКАЧАТЬ an. „Da, nimm! Und sei immer ein braver Mensch; denn das ist die Hauptsache im Leben; alles andere ist –„ sie bediente sich eines sehr kräftigen Vergleiches und drückte dabei dem verdutzten Kinde ihren Hausierkorb in die Hand.

      Merkwürdig, fuhr sie weitereilend im stillen für sich fort, unglaubhaft merkwürdig war das alles. Morgen will ich es Melitta erzählen. Doch nein, ich werde es ihr nicht erzählen; sie würde mich schelten oder auslachen, mindestens nicht verstehen und es womöglich gar nicht glauben. – Aber ich werde eine Novelle darüber schreiben. Ja, das will ich, und gelingt es so, wie es jetzt in mir lebt, o, so werden nach Jahren sich noch Tausende daran erbauen!

      Sie lenkte ihre Schritte durch ein Gartentor, einer kleinen, hölzernen Villa zu, und über deren Stiegen durch eine offenstehende Tür in den Vorraum, wo ein mißfarbenes Frauenzimmer Messinggegenstände putzte.

      Die Zigeunerin haßte diese Aufwärterin ob ihres unfreundlichen, starrköpfigen Wesens und sprach nie mehr als das unumgänglich Notwendige mit ihr. Heute begrüßte sie die Aufwärterin liebevoll heiter: „Guten Morgen, Tatjana!“

      Ein paar mürrische, unverständliche Worte kamen zurück. Dennoch bewahrte die Angekommene ein frohlauniges Lächeln, und so betrat sie, wie jemand, der im eignen Heim schaltet, ein Nebenzimmer. Dort schickte sie sich an, im Schubfach eines alten Empireschreibtisches zu kramen.

      „Tatjana!“

      Die Aufwärterin zeigte sich zur Hälfte in der Türspalte. „Tatjana, deine Schuhe sind greulich zerrissen. Hier schenke ich dir fünf Rubel; kaufe dir neue dafür, hörst du, und schneide nicht immer solch garstiges Gesicht. Du hast hier doch leichten Dienst und – Tatjana – die Welt birgt so viel Schönes und Gutes!“

      Unbeholfen, ohne Dank, ergriff die Aufwärterin das Geld und entfernte sich unsicher. Hinter der geschlossenen Tür steckte sie einmal die Zunge heraus, zog eine hämische Grimasse und knurrte tonlos, lettisch: „Das Luder ist besoffen. Eigentlich hätte ich mich zwar bedanken sollen.“

      Nachdem sie eine Zeitlang den Samowar mit Leder und Putzstein bearbeitet hatte, ward ihre Neugierde wach. Vorsichtig schlich sie zurück, öffnete die Tür und machte sich an dem Messingschloß derselben zu schaffen.

      Die Zigeunerin hatte sich, auf dem Bettrand sitzend, der Schuhe entledigt, schleuderte diese weithin über den Fußboden und – anscheinend glaubte sie sich unbeobachtet – deklamierte: „… Freunde, überm Sternenzelt –“

      Sie riß mit einem Ruck das schwarze Haar von ihrem Kopf, um es im energischen Bogen von sich zu werfen, so daß es an der gegenüberliegenden Wand auf einer Devrientbüste hängen blieb.

      „… muß ein lieber Vater wohnen!“

      Sie zerrte sich die Bluse auf und brachte ein Paar eingerollte Strümpfe zum Vorschein.

      Da konnte Tatjana nicht mehr an sich halten, sondern lachte grell auf; und wie um das Derbe dieses Lachens wieder abzuschwächen, fragte sie untertänig in ihrem gebrochenen Deutsch: „Junge Herr haben gewiß sehr lustig gewesen auf Maskenb–„

      Sie brach plötzlich blöde, erschrocken ab, denn sie sah zwei Tränen über die Wangen ihres Herrn fallen.

      Zwieback hat sich amüsiert

       Inhaltsverzeichnis

      So ein Kriegsschiff wie die „Nymphe“ sieht von außen schmuck und freundlich aus. Kommt man als Besuch an Bord, so bemerkt man viel Ruß und Öl und Enge und stößt sich mehrmals empfindlich an sehr interessanten Maschinen. Gehört man im Dienste fürs Vaterland selbst zum Schiff, so lernt man erstaunlich vielseitige Arbeit, viel drückendes, eisernes Müssen kennen, lernt sich unter freiem Himmel im Winter mit kaltem Wasser den Oberkörper waschen und andres.

      Bei der Marine muß man sehr gesund sein, um sich wohlzufühlen, gesund an Leib und Seele. Zwieback war nicht gerade krank. Aber die Kameraden hielten ihn für schwächlich, und er litt darunter; denn als Matrose unter Matrosen für schwächlich zu gelten, ist etwas Qualvolles.

      Zwieback hieß gar nicht Zwieback. Irgendwie war er zu diesem Spitznamen gekommen.

      Niemals hatte er sich krank gemeldet. Er verrichtete den Dienst, den die anderen verrichteten, nur weniger gut als diese. Nie zeichnete er sich aus. In allem blieb er zurück, in allem, und das schmerzte ihn. Er begriff schwer, war ungeschickt und zerstreut beim Exerzieren. Seine Uniformstücke wiesen immer Flecke auf und karikierten die unschönen Formen seines Körpers.

      Er hatte ein merkwürdig langes Gesicht, das durchaus nicht zur Uniform paßte. Außerdem war er sehr klein, aber auch nicht der kleinste. Denn in nichts war er der Erste oder Letzte. Er wurde mit kränkender Selbstverständlichkeit übersehen von den anderen.

      Und immer wieder verglich er sich mit diesen anderen. Das waren starke, wohlgebaute, frische Kerle. Sie sahen wirklich aus, wie Matrosen aussehen. Er, Zwieback, sah doch nicht aus, wie Matrosen aussehen. Und sie lebten mit so viel Leichtigkeit und Sicherheit.

      Es gab da Leute, die stundenlang in der schmutzigen Takelage arbeiten konnten, ohne daß ihre weißen Anzüge fleckig wurden. Und war es nicht grausam beschämend, wenn jemand sagte: „Zwieback, Sie sehen wie ein Ferkel aus.“ Es gab Leute, die gefürchtet waren, weil sie sich die Gunst strenger Vorgesetzter erschmeichelten, und solche, die höchstes Ansehen genossen, weil sie auffallend kräftig und verwegen waren.

      Warum verstand nur er, Zwieback, nicht die Kunst, sich als gleichwertiges Teil im ganzen zu behaupten?

      Hatte er sich einen Knopf angenäht, dann fand er zuletzt, daß er den Faden über den Rand des Knopfes gezogen. Das kam bei den anderen nicht vor.

      Diese glücklichen anderen hatten Extrauniformen, und wie stürmisch sahen sie darin aus, wenn sie zur Urlaubsmusterung antraten. Und dann kamen sie zurück von Land mit leuchtenden Augen, heiß und rot, stolz und trunken, mit dem Gefühl himmelstürmender Kraft in den Adern.

       Manchmal wachte Zwieback auf von dem aufgeregten Lachen, den jugendwilden Tritten der Zurückkehrenden. „Na, gut amüsiert?“ fragte eine Stimme gähnend. „O, herrlich amüsiert!“ antwortete jemand. In seinem Ton lag etwas von einem Trompetenstoß oder vom Wiehern eines Füllens. Und Frage und Antwort wiederholten sich. Laute und Worte drangen an Zwiebacks Ohr, die sich vor Befriedigtsein blähten.

      Aus halboffenen Augen beobachtete er die, denen er unsäglich neidisch und sehnsüchtig zuhörte.

      Die hatten das Geld, um in Wirtshäusern lustig zu sein. Die hatten ihre Mädchen. Die verstanden zu tanzen, hatten Freunde in Schlägereien und wurden nicht wegen vornehmer Manieren verspottet.

      O, herrlich amüsiert. – Das Wort hatte sich in Zwiebacks Gehirn eingenistet und ließ ihn unruhig träumen. – – –

      Er bat nur selten um Urlaub und dann um einzukaufen oder einsam, grübelnd über abgelegene Felder zu wandern. Niemand hielt es für möglich, daß Zwieback sich betrinken oder in eine Frau verlieben könnte. – – –

      Die „Nymphe“ lag jetzt vor Warnemünde.

      Zwieback fuhr an Land. Er wollte heute außergewöhnlich leben, lustig, richtig vergnügt sein und auf bessere Art, als die anderen es waren. Er wollte nachts auch einmal antworten können: O, herrlich amüsiert! Er wollte einmal von den anderen beneidet СКАЧАТЬ