Die Stadt ohne Juden. Hugo Bettauer
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Название: Die Stadt ohne Juden

Автор: Hugo Bettauer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788711487525

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СКАЧАТЬ Vermögen, so wird dieses natürlich konfisziert. Hat jemand den Reinertrag seines Geschäftes mit einer halben Million beziffert, so darf er zehn Millionen mitnehmen, auch wenn sich herausstellen sollte, daß sein wirkliches Einkommen zehnmal so groß war. Auf diese Art wird sich manche Sünde bitter rächen —,“ bemerkte der Redner unter schallender Heiterkeit der Anwesenden. Er fuhr dann fort:

      „Festbesoldete und geistige Arbeiter, die tatsächlich vermögenslos sind, wie zum Beispiel Arzte, erhalten vom Staat den Betrag zur Fortreise, den sie als Jahreseinkommen versteuert hatten. Gab also ein Arzt sein Einkommen mit dreihunderttausend an, so erhält er diese Summe. Um jede anderweitige Steuerflucht zu verhüten, enthält das Gesetz die drakonische Bestimmung, daß der Versuch, größere als erlaubte Summen fortzuschleppen, mit dem Tode zu bestrafen sei. Ebenso ist die Todesstrafe über die Juden oder Judenstämmlinge verhängt, die den Versuch machen, sich auch weiterhin heimlich in Österreich aufzuhalten.

      Das Gesetz soll in folgender Weise durchgeführt werden:

      Nichtprotokollierte Kaufleute, Händler und sogenannte Agenten müssen innerhalb dreier Monate nach Annahme des Gesetzes die Grenzen verlassen, protokollierte Firmeninhaber, Angestellte, Beamte und manuelle Arbeiter innerhalb von vier Monaten, Künstler, Gelehrte, Ärzte, Rechtsanwälte und so weiter innerhalb von fünf Monaten. Direktoren von Aktienunternehmungen, Banken und Industrien, die im letzten Jahre ein Einkommen von mehr als zweihundert Millionen versteuert haben, ist eine Frist von einem halben Jahr gegeben.

      Und nun komme ich zu einem wichtigen Punkt, dem ich die volle Aufmerksamkeit zu schenken bitte. Wie Sie wissen, bezieht sich das Ausweisungsgesetz nicht nur auf Juden und getaufte Juden, sondern auch auf Judenstämmlinge. Als Judenstämmling gelten die Kinder aus Mischehen. Hat also zum Beispiel eine Christin rein deutscharischer Abstammung einen Juden geheiratet, so trifft die Ausweisung ihn und die Kinder aus dieser Ehe, während es der Frau unbenommen bleibt, in Österreich zu verweilen. Nach reiflicher Überlegung hat die Regierung beschlossen, die Kindeskinder aus Mischehen nicht mehr als Judenstämmlinge, sondern als Arier zu betrachten. Hat also ein Christ eine Jüdin geheiratet, so werden wohl die Kinder ausgewiesen, die Kindeskinder aber, vorausgesetzt, daß die Eltern sich nicht wieder mit Juden gemischt haben, können im Lande bleiben. Dies ist aber auch die absolut einzige Konzession, die das Gesetz macht. Andere Ausnahmen sind nicht zulässig. Von vielen Seiten wurde uns nahegelegt, gewisse Ausnahmen gelten zu lassen. So sollte das Gesetz Leute über ein gewisses Alter hinaus, Kranke, Schwächliche und solche Juden, die besondere Verdienste um den Staat haben, nicht treffen.

      Meine Damen und Herren! Hätte ich diesen Ratgebern nachgegeben, so würde das ganze Gesetz zur Posse geworden sein. Das jüdische Geld, jüdischer Einfluß hätten Tag und Nacht gearbeitet, Zehntausende von Ausnahmsfällen würden konstruiert werden und in fünzig Jahren wären wir genau so weit wie heute. Nein, es gibt keine Ausnahme, es gibt keine Protektion, es gibt kein Mitleid und kein Augenzudrücken! Für Hinfällige und Kranke wird die Regierung prachtvolle Spitalzüge zur Verfügung stellen, und nur solche Juden, die nach gerichtsärztlichem Gutachten absolut nicht transportfähig sind, werden hier ihre Genesung oder ihren Tod abwarten dürfen.“

      Dr. Schwertfeger verbeugte sich leicht und ließ sich schwerfällig auf seinem Sitz nieder. Die Wirkung seiner letzten Eröffnung war aber ganz eigenartig gewesen. Nur vereinzelte Bravo-Rufe waren laut geworden, eine gewisse Beklommenheit machte sich fast körperlich fühlbar, auf vielen Gesichtern malte sich deutlich Schrecken und Angst, auf der Galerie entstand Unruhe, eine Frau fiel mit dem Ruf: „Meine Kinder!“ ohnmächtig zusammen, und als der Kanzler geendet, erdröhnte zwar starker Beifall, aber die kleine Gruppe der Sozialdemokraten schrie unisono „Unerhört! Pfui! Skandal!“

      Und nun erteilte der Präsident mit dem roten Bart dem Finanzminister Professor Trumm das Wort. Trumm war klein, verhuzelt wie eine halbgedörrte Pflaume, er sprach im Diskant und mußte sich jedesmal unterbrechen, wenn seine Zunge zwischen dem Gaumen und dem oberen Rand des falschen Gebisses stecken blieb. Unter großer Spannung erörterte er die finanzielle Seite des Ausweisungsgesetzes. Natürlich würde die Ablösung der jüdischen Geschäfte und Immobilien nicht nur das christliche Privatkapital, sondern auch die Mittel des Staates stark in Anspruch nehmen. Tausende von Milliarden Kronen würden kaum ausreichen, und man dürfe sich nicht verhehlen, daß die Ausweisung der Juden zunächst allerlei finanzielle Schwierigkeiten im Gefolge haben werde.

      „Aber, gottlob,“ – der Finanzminister bekreuzigte sich – „wir werden in den kommenden schweren Tagen nicht allein stehen! Ich kann dem Hohen Hause die erfreuliche Mitteilung machen, daß sich das echte wahre Christentum der ganzen Welt gesammelt hat, um uns zu helfen. Nicht nur, daß die österreichische Regierung seit Monaten internationale Verhandlungen führt, auch der Piusverein hat in aller Stille eine mächtige Agitation entfaltet, die glänzende Früchte trägt. Der Verband des erwachten Christentums der skandinavischen Länder, dem viele große Bankiers und Kaufleute angehören, stellt uns einen gewaltigen Kredit in dänischer, schwedischer und norwegischer Valuta zur Verfügung, der amerikanische Industriekönig Jonathan Huxtable, einer der reichsten Männer der Welt und ein begeisterter Streiter in Christo, hat sich bereit erklärt, zwanzig Millionen Dollar in Österreich anzulegen, der französische Christenbund macht hundert Millionen Franks mobil – kurzum, es werden Milliarden Kronen ins Ausland wandern müssen und dafür Milliarden in Gold einströmen!“

      Riesige Begeisterung im ganzen Hause. Einige Dutzend Abgeordnete verließen fluchtartig den Sitzungssaal und stürmten die Telephone, um ihren Banken Verkaufsorders für fremde Valuten zu geben. Die Hauszentrale konnte das stürmische Begehren nach Verbindungen mit „Karpeles & Co.“, „Veilchenfeld & Sohn“, „Rosenstrauch & Butterfaß“, „Kohn, Cohn & Kohen“ und wie alle die großen Bankhäuser hießen, kaum bewältigen. Während aber der Finanzminister, der eine volle Minute gebraucht hatte, um seine eingeklemmte Zunge zu befreien, fortfuhr, erzählte der Engländer Holborn in der Journalistenloge grinsend:

      „Jonathan Huxtable ist ein frommer Kerl! Er spuckt Gift und Galle gegen die Juden, seitdem ihm seine Frau mit einem jüdischen Preisboxer durchgegangen ist. Er ist ein strenger Temperenzler, aber er besauft sich jeden Tag mit Magentropfen, die er aus der Apotheke bezieht. Einmal hat man gesehen, wie er eine ganze Flasche Eau de Cologne auf einen Zug austrank. Und wenn er hier zwanzig Millionen investieren wird, will er sicher fünfzig daran verdienen.“

      Dr. Wiesel schnitt ein abweisendes Gesicht, während die jüdischen Journalisten sich rasch Notizen machten, um letzte Bosheiten zu publizieren.

      Die Pro- und Kontra-Redner meldeten sich zum Wort. Die Sozialdemokraten sprachen gegen das Gesetz. Als aber ihr Führer Weitherz in ruhigen und sachlichen Worten seiner Entrüstung Ausdruck gab und den Gesetzentwurf als ein Dokument menschlicher Schmach bezeichnete, entstand ein furchtbarer Tumult, die Galerie warf mit Schlüsseln und Papierknäueln nach den Sozialdemokraten, es kam zu einer Prügelei und die kleine Opposition verließ unter Protest den Saal. Der christlichsoziale Abgeordnete Pfarrer Zweibacher pries Dr. Schwertfeger als modernen Apostel, der würdig sei, dereinst heilig gesprochen zu werden, die großdeutschen Abgeordneten Wondratschek und Jiratschek aber beleuchteten das Gesetz lediglich vom Rassenstandpunkt, und Jiratschek, der stark mit böhmischen Akzent sprach, schluchzte vor Ergriffenheit und schloß mit den Worten:

      „Wotan weilt unter uns!“

      Als letzter Redner ergriff unter Hepp!– Hepp!-Rufen und höhnischem Aih-Wai!-Geschrei der einzige zionistische Abgeordnete, Ingenieur Minkus Wassertrilling, das Wort. Der schlanke, große und hübsche junge Mann wartete mit verschränkten Armen ab, bis Ruhe eintrat, dann sagte er:

      „Verehrte Jünger jenes Juden, der sich, um die Menschheit zu erlösen, törichterweise ans Kreuz hatte schlagen lassen!“

      Stürmische Unterbrechung: „Hinaus mit den Juden.“

      „Jawohl, meine Herren, ich stimme mit Ihnen in den Ruf: „Hinaus mit den Juden!“ ein und werde mit freudigem СКАЧАТЬ