Название: Spitzenreiterinnen
Автор: Jovana Reisinger
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783957324863
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»Sie hat mich mit einer Auster getroffen, ich glaube ich blute!«
»Schauen Sie sich dieses Kasperltheater einmal an, also wir haben das doch jetzt lange genug mitgemacht.«
»Was soll denn das? Wirklich so gar keine Manieren.«
»Ist das Unterhaltungsprogramm im Preis mit inbegriffen?« Lisa genießt die Beschwerden. Sie schaut in jedes vorwurfsvoll dreinschauende Gesicht. Schaut sich jeden Gast sehr genau, sehr bewusst an und greift demonstrativ nach der Flasche, schenkt sich den letzten Rest ein. Der Abend ist gelaufen. Mehr kann ich mir nicht leisten. Das ganze Leben ist gelaufen. Wo soll ich denn jetzt hin? Trauer übermannt sie.
»Ach herrje, jetzt weint sie auch noch. Muss das denn sein?«
»Wieso weint sie denn?«
»Ach, das hat keinen besonderen Grund. Ihr seid halt so, ständig wird geheult und getobt.«
»Wie peinlich, wenn Frauen ihre Emotionen nicht im Griff haben.«
»Ich fühle mich persönlich angegriffen.«
»Jetzt entschuldigen Sie mal, ich zahle viel Geld für dieses Abendessen.«
»Bedienung!«
»Jetzt beruhigen Sie sich doch. Sie machen ein Spektakel aus sich selbst und das gehört sich nicht, ein bisschen Benehmen kann ja wohl verlangt werden.«
»Schämen Sie sich!«
»Hören Sie sofort auf, mit Austern nach mir zu werfen. Ich hau Ihnen gleich eine rein, Fräulein, das sage ich Ihnen.«
»Hören Sie sofort auf. Was ist denn in Sie gefahren, ich kenne Sie überhaupt nicht? So, jetzt reicht’s. Ich habe schon ganz andere zur Vernunft gebracht! Noch eine Auster und Sie werden sich noch wundern. Gut, Sie haben es nicht anders gewollt!« Eine Watsche. Lautes Klatschgeräusch. Luft wird angehalten.
Da steht der gut gebaute Mann an Lisas Tisch, hält ihre Handgelenke fest, zieht sie nach oben, und währenddessen fallen ihr die Essensreste aus den Händen. Ihr Frauenkörper stößt gegen den Tisch, das viele Zeug darauf klimpert, irgendwas fällt zu Boden, geht zu Bruch. Scherben. Keiner sagt etwas. Ihre Hände tun weh, der Mann hält sie viel zu fest, Lisa weiß, sie ist ihm ausgeliefert.
Selbst der Kellner steht nur nutzlos da. So etwas hat es noch nie gegeben. Was ist jetzt zu tun?
Das Spiel ist aus, jetzt ist es ernst. Der Mann funkelt sie an. In wenigen Sekunden wird er sie richtig schlagen, sie zum Schweigen bringen, sie bestrafen für ihr ungehöriges Verhalten. Der Mann, der mindestens einen Kopf größer ist, beugt sich über sie und schnauft schwer, als wäre er ein wildes Tier, unkontrolliert und unkontrollierbar. Die Frau hat wirklich jeden genervt, aber verdient sie so eine Behandlung? Sie trug ja auch zur allgemeinen Belustigung bei. Sie war eine gute Show. Der Kellner interveniert endlich. Geht dazwischen. Viel zu spät, doch besser spät als nie.
Lisa, die jetzt erst so richtig Gefallen an ihrer neuen Rolle findet, tut das einzig Mögliche, schaut dem tobenden Mann in die Augen und lacht. Wie oft hat sie sich das schon vorgestellt, dass sie einmal von einem Mann viel zu fest gehalten wird. Dass einmal einer daherkommt, ganz unerwartet und sie sich einfach schnappt, sie bedrängt, ihr weh tut. Wie lange war sie schon auf diesen Moment vorbereitet. Auf unzähligen Heimwegen, bei unzähligen Taxi-, Auto-, Bus-, Zugfahrten. In Seminaren, Jobs, auf der Straße, beim Einkaufen, beim Ausgehen, zu Hause, im Urlaub, am Tag, in der Nacht. Die meiste Zeit ihres Lebens hat sie damit gerechnet, dass einmal so ein Typ vor ihr steht, sie festhält, dass sie sich nicht befreien kann und es dann passiert. Sie kann kaum noch an sich halten, bricht in ein wildes Gelächter aus, ihr Körper schüttelt sich, es ist ein Anfall, sie lacht, prustet, das Glück durchströmt ihren Körper, sie möchte nach unten zusammensacken, die Beine kippen ihr weg, aber da der Mann sie noch immer festhält, hängt sie förmlich an ihm dran. Vereinzelt stimmen Gäste leise in das Gelächter ein, unsicher ob die Gefahr vorüber ist, ob wieder aufgeatmet werden kann. Der Mann ist angewidert, bloßgestellt, in seiner Männlichkeit und seinem Stolz angegriffen. Er will sie einschüchtern, Lisa gibt ihm jedoch keinen Raum. Das hat es in seinem Leben noch nie gegeben.
Er blickt um sich, seine Frau hält die Hände erschrocken vor ihr Gesicht, Kameralinsen von Telefonen sind auf ihn gerichtet. Wie konnte er sich nur zu so einer Demonstration seiner Manneskraft hinreißen lassen? Er lässt Lisa los, die plumpst förmlich zu Boden, er geht einen Schritt zurück, streift seine Hände an sich ab, als würde er sich von etwas Ekligem befreien müssen, und betrachtet die Frau, die alle Fehler des weiblichen Geschlechts verkörpert und lachend auf dem dreckigen Boden sitzt, als würde all dies nichts bedeuten.
Sie schreit und weint vor Lachen, die Tränen schießen ihr nur so aus den Augen, ihr Gesichtsausdruck ist unlesbar, endlich steht sie auf, schnäuzt in die Stoffserviette, zieht sich ihren Mantel an, betrachtet den Kellner mit großen, glücklichen Augen: »Danke für alles. Der Mann bezahlt meine Rechnung. Bis zum nächsten Mal.«
Zwei Frauen klatschen Beifall, sie greift bei einem fremden Tisch nach der Schampusflasche und verlässt mit ihr das Lokal. Es sei ihr gegönnt, die Flasche ist schon fast leer. Der Mann selbst schleicht zu seinem Platz, seine Gattin ist wie versteinert, und der Kellner entschuldigt sich bei allen Gästen und räumt umgehend die Sauerei auf. Ein freier Tisch will neu besetzt werden, die neuen Gäste warten freilich schon. So schlimm war’s jetzt auch wieder nicht. Die Frau, die so elendig gestört hat, die sich so fürchterlich aufgeführt hat, die überhaupt keine richtige Frau war, ist fort. Zum Glück. Mit so einer will sich wirklich niemand befassen. Nicht in seiner Freizeit. Nicht an so einem Ehrentag. Darum soll sich ein Psychiater kümmern, der wird schließlich für so etwas bezahlt. Die Gäste atmen auf.
Der Kellner kriecht unter den Tisch, kehrt die letzten Scherben auf ein Schäufelchen. Er entschuldigt sich danach erneut an jedem einzelnen Tisch. Und es wird sich unterhalten, gegessen und getrunken – wie schnell alles wieder in seinen gewohnten Bahnen geht, bereits zehn Minuten später genießen alle wieder ihre feinen Speisen und wenden sich ganz sich selbst zu, als wäre Lisa nie in ihr Leben gekommen, als hätte sich nichts verändert. Was von ihr bleibt, ist eine unterhaltsame Anekdote. Sie kennen nicht einmal ihren Namen, nein, noch schlimmer: Keiner der Anwesenden kennt die Geschichte dieser wütenden Frau und am allerschlimmsten: Sie interessieren sich nicht dafür.
Solidarität
Solidarität unter Frauen gibt es nicht nur unter Freundinnen, sondern auch unter Fremden. Manchmal halten einander fremde Frauen die Haare oder die Hand oder gehen dazwischen, wenn es zu einer unangenehmen Situation kommt. Frauen, die Frauen stärken, machen Frauen stark. Dabei darf nicht gedacht werden, dass Frauen vorher schwach waren. Sie können sich gegenseitig dabei helfen, sich zu befreien. Wenn Frauen etwas erreichen, ist das Frauenpower. Empowerment bedeutet Ermächtigung, Stärkung, Förderung und Unterstützung. Das bedeutet auch, dass Frauen es einander erlauben, das Gleiche zu tun wie beispielsweise Männer, und sich nicht dafür bestrafen. Darunterfallen alle möglichen Beschämungen. Aber auch kleinhaltende Bezeichnungen wie »Mädels«. Am schönsten ist es, wenn die Solidarität intersektional ist und sich der Begriff Frau nicht auf Menschen mit angeborenen Merkmalen wie Busen und Vulva beschränkt.
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