Название: 50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2
Автор: Эдгар Аллан По
Издательство: Bookwire
Жанр: Учебная литература
isbn: 9782291092247
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»Was bleibt übrig? Ich glaube jetzt klar zu sehen. Sie war sehr schön und sehr verwöhnt, und als der Prinz, auf den mit Sicherheit gerechnet wurde, nicht kommen wollte, nahm sie den Obersten. Und ein Jahr später war sie nervös, und zwei Jahre später war sie melancholisch. Natürlich, ein alter Oberst ist immer zum Melancholischwerden. Aber das ist auch alles. Und schließlich haben wir nichts als eine Frau, die, wie tausend andre, nicht glücklich und auch nicht unglücklich ist.«
Unter solchem Selbstgespräche war er bis an die Bülowstraße gekommen und wollte sich eben, unter Benutzung derselben, in weitem Bogen wieder zurück nach dem Tiergarten schlängeln, als er, in einiger Entfernung, eines Begräbniszuges gewahr wurde, der nach dem Matthäikirchhofe hinaus wollte. Der gelbe, mit Kränzen überdeckte Sarg stand auf einem offnen Wagen, in dessen Front ein schmales, silbernes Kreuz beständig hin und her schwankte. Hinter dem Wagen kamen Kutschen und hinter den Kutschen ein ansehnliches Trauergefolge. Gordon wäre gern ausgewichen, aber der gehabten Anwandlung sich schämend, blieb er und ließ den Zug an sich vorbeipassieren. »Es ist nicht gut, die Augen gegen derlei Dinge zu schließen, am wenigsten, wenn man eben Luftschlösser baut. Der Mensch lebt, um seine Pflicht zu tun und zu sterben.
Und das zweite beständig gegenwärtig zu haben erleichtert einem das erste.«
Gordon wuchs sich rasch wieder in Berlin ein und war nur verwundert, nach wie vor keinen Brief aus Liegnitz eintreffen zu sehn, auch nicht, als er die saumselige Schwester gemahnt hatte. Seine Verwunderung war aber nicht gleichbedeutend mit Verstimmung, vielmehr gestand er sich, alles in allem nie glücklichere Tage verlebt zu haben. Auch nicht in Thale. Wenn es sein konnte, sprach er täglich bei seiner Freundin vor und erneuerte dabei die freundlichen, gleich bei seinem ersten Besuche gehabten Eindrücke. Was ihn einzig und allein störte, war das, daß er sie nie allein fand. Mitte September traf Céciles jüngere Schwester auf Besuch ein und wurde ihm als »meine Schwester Kathinka« vorgestellt. Bei diesem Vornamen blieb es. Sie war um mehrere Jahre jünger und ebenfalls sehr schön, aber ganz oberflächlich und augenscheinlich mehr nach Verhältnissen als nach Huldigungen ausblickend. Cécile wußte davon und schien erleichtert, als die Schwester wieder abreiste. Der Besuch hatte nur wenig über eine Woche gedauert und war niemandem zu rechter Befriedigung gewesen. Auch Gordon nicht. Desto größere Freude hatte dieser, als er eines Tages Rosa traf und von ihr erfuhr, daß sie verhältnismäßig häufig im St. Arnaudschen Hause vorspreche, weshalb es eigentlich verwunderlich sei, sich bis dahin noch nicht getroffen zu haben. Das müsse sich aber ändern, womit niemand einverstandener war als Gordon selbst. Und zu dieser Änderung kam es denn auch; man sah sich öfter, und erschien bei diesen Begegnungen auch noch der in der benachbarten Linkstraße wohnende Hofprediger, so steigerte sich der von Rosas Anwesenheit beinah unzertrennliche Frohsinn, und vom Harz und seinen Umgebungen schwärmend, erging man sich in Erinnerungen an Roßtrappe, »Hotel Zehnpfund« und Altenbrak. Der Oberst war selten da, so selten, daß Gordon sich entwöhnte, nach ihm zu fragen. »Er ist im Club«, hieß es ein Mal über das andre. Der Club aber, um den sich's handelte, war kein militärischer, sondern ein Haute-Finance-Club, in dem Billard, Skat und L'hombre mit beinah wissenschaftlichem Ernst gespielt wurde. Nur die Points hatten eine ganz unwissenschaftliche Höhe.
Neben Rosa war es der alte Hofprediger, der, wenn man gemeinschaftlich heimging, über diese kleineren oder größeren Inkorrektheiten Aufklärung gab, meistens vorsichtig und zurückhaltend, aber doch immer noch deutlich genug, um Gordon einsehen zu lassen, daß er es mit seinem in seinem langen Skriptum an die Schwester im halben Übermute gebrauchten »Jeu-Oberst« richtiger, als er damals annehmen konnte, getroffen habe. Teilnahme mit Cécile war, wenn er derlei Dinge hörte, jedesmal sein erstes und ganz aufrichtiges Gefühl, aber eine nur zu begreifliche Selbstsucht sorgte gleichzeitig dafür, daß dies Gefühl nicht andauerte. St. Arnaud war nicht da, das war doch schließlich die Hauptsache, das gab den Ausschlag, und weder seine Blicke noch seine spöttischen Bemerkungen konnten das Glück ihres Beisammenseins stören.
Ja, diese Septembertage waren voll der heitersten Anregungen, und Briefchen in Vers und Prosa, die von seiten Gordons beinah jeden Morgen an Cécile gerichtet wurden, sei's, um sie zu begrüßen oder ihr etwas Schmeichelhaftes zu sagen, steigerten begreiflicherweise das Glück dieser Tage. St. Arnaud seinerseits gewöhnte sich daran, diese Billets doux auf dem Frühstückstische liegen zu sehn, und leistete sehr bald darauf Verzicht, von solcher »Mondscheinpoesie« weitere Notiz zu nehmen. Er lachte nur und bewunderte, »wozu der Mensch alles Zeit habe«. Cécile selbst, voll Mißtrauen in ihre Rechtschreibung, antwortete nur selten, wobei sie sich zurückhaltender und ängstlicher als nötig zeigte, da Gordon bereits weit genug gediehen war, um in einer mangelhaften Orthographie, wenn solche sich wirklich offenbart haben sollte, nur den Beweis immer neuer Tugenden und Vorzüge zu finden.
Kapitel Achtundsiebzig
So waren vier Wochen vergangen, als Gordon, an einem der letzten Septembertage, eine Karte folgenden Inhalts erhielt:
»Oberst von St. Arnaud und Frau geben sich die Ehre, Herrn v. Leslie-Gordon zum 4. Oktober zu einem Mittagessen einzuladen. 5 Uhr. Im Überrock. U.A.w.g.«
Gordon nahm an und war nicht ohne Neugier, bei dieser Gelegenheit den St. Arnaudschen Kreis näher kennenzulernen. Was er, außer dem Hofprediger, bis dahin gesehen hatte, war nichts Hervorragendes gewesen, ziemlich sonderbare Leute, die sich allenfalls durch Namen und gesellschaftlich sichere Haltung, aber wenig durch Klugheit und fast noch weniger durch Liebenswürdigkeit ausgezeichnet hatten. Beinah alle waren Frondeurs, Träger einer Opposition quand même, die sich gegen Armee und Ministerium und gelegentlich auch gegen das Hohenzollerntum selbst richtete. St. Arnaud duldete diesen Ton, ohne persönlich mit einzustimmen, aber daß er ihn überhaupt zuließ, war für Gordon ein Beweis mehr, daß es keine Durchschnitts-Duellaffaire gewesen sein konnte, was den Obersten veranlaßt oder vielleicht auch gezwungen hatte, den Dienst zu quittieren. Etwas Besonderes mußte hinzugekommen sein.
Und nun war der 4. Oktober da.
Gordon, so pünktlich er erschien, fand alle Geladenen, unter denen der Hofprediger leider fehlte, schon vor und wurde, nachdem er Cécile begrüßt und ein paar Worte an diese gerichtet hatte, dem ihm noch unbekannten größeren Bruchteile der Gesellschaft vorgestellt. Der Erste, dem Range nach, war General von Rossow, ein hochschultriger Herr mit dünnem Schnurr- und noch dünnerem Knebelbart, dazu braunem Teint und roten vorstehenden Backenknochen; nach Rossow folgte: von Kraczinski, Kriegsministerialoberst und polnisch-katholisch, Geheimrat Hedemeyer, hager, spitznasig und süffisant, Sanitätsrat Wandelstern, fanatischer Anti-Schweninger, und Frau Baronin von Snatterlöw. Gordon verneigte sich nach allen Seiten hin, bis er Rosas gewahr wurde, der er sich nunmehr rasch näherte. »Wir sind hoffentlich Nachbarn… « - »Geb es Gott.«
Und nun trat er wieder an Cécile heran, um sich, wegen einiger ihm vorgeworfenen Unklarheiten in seinem gestrigen Morgenbillet, so gut es ging, zu verantworten.
»Ich habe die schlechte Gewohnheit«, schloß er, »in Andeutungen zu sprechen und auf Dinge hinzuweisen, die von zehn kaum einer kennt, also auch nicht versteht.«
Sie lachte. »Wie gütig Sie sind, über den eigentlichen Grund so leicht hinwegzugehen und gegen sich selbst den Ankläger zu machen. Sie wissen am besten, daß ich nichts weiß. Und nun bin ich zu alt zum Lernen. Nicht wahr, viel zu alt?«
In diesem Augenblicke wurden die Flügeltüren geöffnet, und Gordon brach ab, weil er sah, daß General von Rossow auf Cécile zukam, um ihr den Arm zu bieten. Kraczinski, Hedemeyer, Wandelstern und einige andere folgten mit und ohne Dame.
Die Plätze waren so gelegt, daß Gordon seinen Platz zwischen СКАЧАТЬ