Toxische Männlichkeit. Sebastian Tippe
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Название: Toxische Männlichkeit

Автор: Sebastian Tippe

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная психология

Серия:

isbn: 9783949104046

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СКАЧАТЬ GESCHLECHT

      Es gibt klare gesellschaftliche Erwartungen daran, wie „typische“ Männer und Frauen auszusehen haben, wie sie sich zu verhalten haben, was sie dürfen oder eben nicht dürfen und wozu sie fähig oder nicht fähig sind. Dieser Annahme liegt zu Grunde, dass bestimmte Attribute und Fähigkeiten naturgegeben an ein bestimmtes Geschlecht – entweder Mann oder Frau – gekoppelt und damit unveränderlich seien. Diese biologistische Argumentation ist mittlerweile wissenschaftlich hinreichend widerlegt. Aus der Soziologie und Geschlechterforschung ist bekannt, dass alle Menschen prinzipiell die gleichen Fähigkeiten besitzen oder erlernen können und vermeintliche biologische Unterschiede – von der Fortpflanzung abgesehen – kaum eine Rolle spielen. Carol Hagemann-White (1988, S. 224) verweist auf den „[…] erfolgreichen Nachweis, in der empirischen Forschung wie in der beruflichen und politischen Praxis, dass Mädchen und Frauen in der Tat über alle Fähigkeiten und Verhaltensweisen verfügen, die es bei Männern gibt“.

       Geschlecht ist eine soziale Kategorie

      Geschlecht wird daher im Folgenden nach Helga Bilden (vgl. 1991, S. 279 – 301) oder Raewyn W. Connell (vgl. 2000, S. 54 ff.) als soziale Konstruktion verstanden. Hagemann-White (1988, S. 229) konstatiert zudem: „Die Zweigeschlechtlichkeit ist zuallererst eine soziale Realität.“ Das bedeutet, dass alle Fähigkeiten, Kompetenzen, Denkmuster und Verhaltensweisen ausschließlich sozialisationsbedingt sind. Nicht die Biologie erschafft Männer und Frauen, sondern unsere Vorstellung davon erschafft sie. Das bedeutet aber auch, dass diese sozialen Kategorien veränderbar sind. Daraus folgt, dass auch toxische Männlichkeit sozial konstruiert und dementsprechend verändert werden kann und ablegbar ist. Bereits 1949 konstatierte Simone de Beauvoir (vgl. 2000 [1949]), dass Frauen nicht als Frauen geboren, sondern zu ihnen gemacht werden. Durch die Erkenntnis, dass nicht der menschliche Körper, also biologische Aspekte, sondern das soziale Miteinander unsere Geschlechteridentität produziert und reproduziert, entwickelten Candace West und Don H. Zimmermann 1987 das Konzept des Doing Gender (vgl. 1987, S. 125 – 151). Auch die Autorin Verena Brunschweiger (2013, S. 28 f.) schreibt dazu: „[…] hier ist alles fragil, veränderbar, man spricht auch vom „Doing Gender“, was den Konstruktionscharakter der Geschlechteridentität herausstellt: jede Handlung hat Einfluss darauf, nichts ist starr und unveränderlich, Männer und Frauen machen sich beständig durch ihre Alltagspraktiken zu als männlich oder weiblich erkennbaren Personen (oder werden dazu gemacht).“ Es wird dabei auch von Geschlechterrollen gesprochen. Der Berliner Autor Jochen König (2015, S. 41) führt dies wie folgt aus: „Dabei besagt der Begriff zunächst einmal nur, dass das, was eine Person in ihrer Unterhose mitbringt, noch nicht abschließend festlegt, wofür sich diese Person interessiert, was sie gut oder weniger gut kann und welche Rolle sie innerhalb einer Partnerschaft, innerhalb einer Familie und innerhalb der Gesellschaft zu erfüllen hat. […] Vieles ist ausgehandelt und wird tagtäglich neu verhandelt. Es lohnt sich also allemal, von Gender zu sprechen, von sozialen und nicht biologischen, eindeutig determinierten Geschlechterrollen.“

      Die Vorstellung des Rollenspielens hilft dabei, die Konstruktion von Geschlechterstereotypen zu verstehen, wobei diese viel weitreichender ist: Rollen können leicht wieder abgelegt werden, doch Sozialisation ist in unsere Persönlichkeit, in unser Denken und Handeln eingeschrieben, und es bedarf weitaus umfassender Veränderungsprozesse, um sich davon zu lösen.

      Darüber hinaus sind vermeintlich biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen zum einen nicht so groß, wie die meisten Menschen glauben, zum anderen sind diese auch gar nicht so eindeutig. Zudem sind innerhalb einer Geschlechtergruppe die Unterschiede viel größer als zwischen ihnen. Ein Beispiel dafür ist die Körpergröße von Menschen: Der durchschnittliche Unterschied zwischen Männern und Frauen beträgt 14 cm – Frauen sind in Deutschland durchschnittlich 1,66 m groß gegenüber 1,80 m bei Männern (vgl. Laenderdaten.info). Die Spannbreite zwischen großen und kleinen Frauen und zwischen großen und kleinen Männern hingegen ist um ein Vielfaches größer. Auch der Autor Jens van Tricht (vgl. 2019, S 71 – 75) verweist in seinem Buch „Warum Feminismus gut für Männer ist“ darauf, dass die Schnittmenge der Gemeinsamkeiten viel größer ist als die Unterschiede, die Unterschiede innerhalb jeder Geschlechtergruppe aber größer sind.

      Geschlecht wird im englischsprachigen Raum anders als im deutschen – wenngleich eine solche Differenzierung auch in Deutschland zunimmt – unterteilt in Sex und Gender. Sex bezeichnet hierbei das biologische Geschlecht, während Gender die Geschlechtsidentität, also das soziale Geschlecht beschreibt sowie die damit verbundenen vermeintlichen Fähigkeiten, Kompetenzen, Präsentations- und Verhaltensweisen.

      Anzumerken ist, dass das biologische Geschlecht unterschiedliche Ausprägungen aufweist: Brodda und Wellner (vgl. 1979, S. 93 – 126) weisen darauf hin, dass es neben den äußeren Geschlechtsmerkmalen weitere Aspekte zur Geschlechtsbestimmung, wie den Hormonspiegel, die Chromosomen, die inneren wie auch die äußeren Geschlechtsorgane gibt – die für den Großteil der Gesellschaft eine Zugehörigkeit ermöglichen, jedoch nicht für alle. Es ist sinnvoll, von einem bimodalen Clustermodell auszugehen, auf das beispielsweise die Philosophin Kathleen Stock (vgl. 2019) verweist: Eine Vielzahl unterschiedlicher physiologischer Merkmale bringen insgesamt betrachtet zwei Verteilungen hervor, woraus sich die Zeugungs- und Fortpflanzungsmöglichkeit ergibt. Dabei existieren unterschiedliche Ausprägungen, wobei es auch Menschen gibt, die nicht dem bimodalen Cluster entsprechen (intersexuelle Menschen).

      Stock schreibt (2018): „Sex is not a spectrum. It’s a bimodal distribution of clustering properties with predictable, causally explicable outliers.“ Weiter führt Stock (2019) wie folgt aus: „That is, it’s determined by possession of most or all of a cluster of particular designated properties – chromosomal, gametic, hormonal and morphological – produced via endogenous biological processes. The vast majority of us have all of the designated properties for a given sex; a smaller number have most; a tiny number – much smaller than typically reported – have some of both. “

      Intersexuelle Menschen sind biologisch nicht eindeutig dem einen oder dem anderen Geschlecht zuzuordnen.

      Der Bundesverband Intersexuelle Menschen e. V. definiert Intersexualität wie folgt: „Der Begriff Intersexualität bezeichnet biologische Besonderheiten bei der Geschlechtsdifferenzierung. Intersexuelle Körper weisen deshalb Merkmale vom weiblichen und vom männlichen Geschlecht auf. Es handelt sich also um Menschen, deren geschlechtliches Erscheinungsbild von Geburt an, hinsichtlich der Chromosomen, der Keimdrüsen, der Hormonproduktion und der Körperform nicht nur männlich oder nur weiblich ausgeprägt ist, sondern scheinbar eine Mischung darstellt.“ (Bundesverband Intersexuelle Menschen e. V.)

      Hagemann-White (vgl. 1988, S. 229) weist darauf hin, dass es nicht darum geht, Körperlichkeit zu unterschätzen, aber eine Bewusstseinsschärfung im Hinblick auf die sozial konstruierte Dichotomie wichtig ist. Auch weist sie darauf hin, dass nicht alle Frauen ihre Regel bekommen oder Kinder gebären können.

      Eine gesellschaftliche Veränderung muss dahingehend weiter vorangetrieben werden, dass biologische Geschlechter nicht an Verhaltens-, Denk- und Präsentationsmuster geknüpft sind. Geschlechterrollen müssen dekonstruiert werden mit dem Ziel, dass sich Menschen unabhängig von ihrer Biologie und den damit einhergehenden Zuschreibungen frei entwickeln können. Dabei müssen Erwartungen an das vermutete Geschlecht aufgelöst werden.

      Aktuelle neurowissenschaftliche Untersuchungen der Professorin Gina Rippon (vgl. Rippon 2019) zeigen zudem, dass die Gehirne von Männern und Frauen kaum Unterschiede aufweisen. Männliche Gehirne sind größer, da Männer ohnehin durchschnittlich größer als Frauen sind. Jedoch kann an einem Gehirn nicht erkannt werden, ob es zu einem Menschen mit Penis oder einem Menschen mit Vulva gehört. In einem Interview konstatiert Rippon (Spencer 2019): „There’s nothing which I have found that would allow you to compare two brain images and say, СКАЧАТЬ