Название: Malmedy - Das Recht des Siegers
Автор: Will Berthold
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711727348
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„Es war so einfach“, keuchte Söhnchen. „Sie haben mit mir ein Geschäft gemacht … Sie wollten Namen wissen. Ich gab ihnen keine. Auch von diesen Schweinen nicht … zuerst. Ein paar von ihnen kenne ich nämlich. Aber dann fingen sie an, an mir herumzumachen.“ Niessen zeigte seine Hand vor.
„… Sie rissen mir die Nägel aus … nur zwei … als sie den dritten ziehen wollten, gab ich ihnen Namen … alle Namen von den Säuen, die ich kenne. Ich habe ihnen damals bei Malmedy zugesehen. Ich hab’ mich gekotzt. Aber was sollte ich machen?“
Niessen stöhnte …
„Dann wurden sie scheißfreundlich … sagten, ich sei noch so jung und ich hätte sicher nichts getan. Und wenn, dann sei es vergeben und vergessen … aber!“
In diesem Augenblick dachte Werner an seine Mutter, die Engländerin. Er sah sie vor sich, wie sie jeden Abend, als er noch ein Kind war, sich auf sein Bett setzte, seine Hände faltete und mit ihm auf englisch betete … und Werner dachte:
„Father in heaven …“ … Vater unser …
Tränen liefen ihm über das Gesicht.
„Aber“, fuhr Niessen fort.
Kein „aber“, dachte Werner verzweifelt, „Father in heaven, Father in heaven, Father in heaven …“
„Aber, sie sagten, ich solle jetzt beweisen, daß ich ein anständiger Kerl sei und zugeben, daß Zenker Gefangene umgelegt habe … Ich habe nichts zugegeben. Da zogen sie mir den dritten Nagel … Ich hielt durch.“ Niessen schwieg plötzlich. Er schwieg lange. Er schwieg verzweifelt.
Wieder bewegte er zuerst die Lippen. Wieder formten sie Sätze, die man nicht hören konnte. Und dann hatte die Stimme Kraft, entsetzliche Kraft, und schrie …
„Beim vierten Nagel hielt ich es nicht mehr aus … Meine eigene Mutter hätte ich angezeigt … es war so furchtbar“, röchelte Söhnchen. „… da habe ich alles zugegeben, was sie wissen wollten, ich hab’ gelogen, bloß damit sie nicht weitermachten. Alle Einzelheiten habe ich erfunden und immer wieder von Zenker geredet, weil sie ausgerechnet ihn ’reinlegen wollten …“
Amen! dachte Werner.
Wieder blieb es still in der Zelle.
Eine Stunde später flüsterte Niessen:
„Sag doch was …“
Werner richtete sich hart auf.
„Schlaf jetzt“, erwiderte er. „Du mußt schlafen!“
Er lehnte sich wieder zurück und setzte leise hinzu: „Du bist ein feiner Kerl, Niessen …“
Früh am Morgen wurde Werner zum Verhör herausgerissen. Ein unglaublicher Tumult herrschte in der Zelle. Cornedbeef brüllte wie ein Wahnsinniger:
„So ein Saustall! So eine Schweinerei!“
Mit Tritten trieb man Werner hoch. Er starrte auf Niessens Strohsack. Er begriff seine Augen nicht. Er stand da, ungläubig, entsetzt … Er dachte fiebrig: gibt es gar nicht. Ein Traum … alles Quatsch … Schau weg! Ein neuerTrick, den sie sich ausgedacht haben …
Der Strohsack war über und über mit Blut getränkt. Er war schon schwarz. Niessen lag, den Kopf zur Seite gedreht, mit wächsernem Gesicht und starren, gelblichen Augen auf seiner Pritsche, in der verkrampften, rechten Hand den kleinen Aluminium-Büchsenöffner, der ihnen zum Öffnen der Wurst- und Puddingdöschen der K-Ration belassen worden war.
Er hatte sich mit ihm die Pulsader geöffnet.
Werner sah es und begriff es nicht. Und dann arbeitete sein Verstand weiter, und er dachte, daß Söhnchen ein tapferer Bursche war. Denn mit einem so stumpfen Ding mußte es unheimlich weh getan haben.
Und Werner hatte nichts gehört. Gar nichts …
An dieser Stelle der Vernehmung desertiert die Selbstbeherrschung des Oberst Evans. Sein Gesicht ist verzerrt, seine Fäuste sind geballt. Er schreit Werner Eckstadt an:
„Hören Sie auf! Hören Sie auf! Ich kann das nicht mehr mitanhören!“
Der Oberst geht im Zimmer auf und ab.
„Entschuldigen Sie, Sir“, erwidert Werner leise. „Sie wollten alles wissen … das ist noch immer nicht alles.“
Der Oberst fährt herum. Eine Sekunde sieht es aus, als ob er auf Werner losgehen wollte. Aber dann hat er sich wieder in der Hand, setzt sich auf einen Stuhl, lehnt sich zurück. Seine Hände entspannen sich.
„Tut mir leid“, sagt er. Er steht wieder auf, geht an die Türe, ruft den Posten herein.
„Ich möchte den Gefangenen Niessen sprechen“, sagt er.
„Yes, Sir“, entgegnet der Posten.
Nach zehn Minuten meldet sich der Kommandant des Untersuchungsgefängnisses Dachau.
„Wen wollen Sie sprechen, Colonel?“
„Einen Gefangenen namens Niessen.“
„Den gibt es bei uns nicht.“
„Aber es gab ihn?“
„Ja. Er ist gestorben“, antwortete der Kommandant.
„An was?“
„Selbstmord, Colonel.“
Der Oberst nickt. Er betrachtet Werner zerstreut, zuckt die Schultern. Der Gefängniskommandant zieht sich zurück. Das Schweigen ist lange und verzweifelt. Minuten vergehen langsam wie Stunden. Evans sitzt auf seinem Stuhl und rührt sich nicht.
Da beginnt Werner wieder ganz leise:
„Da unterschrieb ich ein Geständnis, als es mir an die Nägel ging. Ich unterschrieb es, bevor ich unter der Qual der Folter unschuldige Kameraden belasten konnte. Verstehen Sie? An den ganzen Scheußlichkeiten, zu denen ich mich durch meine Unterschrift bekannte, ist nicht ein wahres Wort … Ich wußte von den Erschießungen nichts. Ich habe erst hier davon erfahren.“
Der Colonel gibt sich einen Ruck. Seine Lippen sind schmal und weiß. Sein Gesicht ist noch immer gerötet.
„Gut, Eckstadt, ich übernehme Ihren Fall … ich übernehme ihn mit allen Konsequenzen.“
Werner starrt ihn ungläubig an. In seinem Gesicht zuckt es. Er will etwas sagen, aber die Erregung preßt seinen Mund zusammen. Er will auf den Oberst zugehen, ihm die Hand geben. Aber СКАЧАТЬ