Wahrheit und Verschwörung. Wie wir erkennen, was echt und wirklich ist. Jan Skudlarek
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СКАЧАТЬ The Truman Show.

      Das wussten auch alle.

      Nur einer nicht.

      Truman.

      Diese bitterböse schwarze Komödie zeigt echte existenzielle Dramatik. Wie wäre es für Sie, wenn Sie herausfinden würden, dass Sie nicht nur einmal belogen wurden, sondern immer und von allen? Dass niemand der ist, der er zu sein scheint? Und alle nur so tun, als ob.

      Machen wir ein philosophisches Gedankenexperiment. Denken wir uns zwei Trumans. Der erste ist der Truman-Show-Truman. Er wächst tatsächlich in einer inszenierten Wirklichkeit auf. Nichts Wesentliches ist im engeren Sinne echt. Nichts Wesentliches. Das bedeutet: Wir können davon ausgehen, dass Truman vermutlich »echte Spaghetti« gegessen und »echte Jeans« getragen hat. Die wesentlichen Dinge, das Existenzielle – Freundschaften, Liebe: alles nicht echt. Nach und nach kommt er dahinter und wird vollkommen zu Recht von existenziellem Horror ergriffen. Er erfährt eine Wahrheit, die seine Welt erschüttert. Nennen wir diesen Truman den echten Truman.

      Stellen wir uns nun einen zweiten Truman vor. Dieser Truman wächst in der ganz normalen Wirklichkeit auf. Hat normale Freunde, eine normale Vergangenheit, alles ist stinknormal und so echt, wie unser aller Leben echt ist. Keine Kameras. Allerdings ergreift ihn eines Tages eine Angst. Er fühlt sich beobachtet. Er zweifelt an seinen Mitmenschen. Was, wenn die alle nur schauspielern? Nicht echt sind? Wo, um Gottes willen, sind die Kameras?

      Den zweiten Truman nennen wir den paranoiden Truman.

      Beide Trumans teilen die Überzeugung, dass die Welt sich gegen sie verschworen hat.

      Aber nur einer hat recht.

      Es reicht nämlich nicht aus, dass wir bloß der Überzeugung sind, recht zu haben. Der paranoide Truman denkt auch, dass er recht hat. Das ist ja die Quelle seiner Angst. Recht hat allerdings nur der echte Truman. Warum? Weil seine Vorstellungen der Wirklichkeit entsprechen. Er wird wirklich beobachtet. Seine Freunde sind wirklich ausschließlich Schauspieler. Es ist wirklich alles inszeniert, und jeder hat sich gegen ihn verschworen.

      Deswegen ist der echte Truman zu Recht ergriffen von einer existenziellen Angst. Der paranoide Truman ist zwar auch ergriffen von Panik, aber zu Unrecht. Es gibt keine Kameras, keine Schauspieler, keine Inszenierung.

      Das ist das Problem mit gefühlten Wahrheiten.

      Echtheit und Unechtheit muss man nicht nur erkennen, um sie zu unterscheiden – man muss sie richtig erkennen.

      Schlimmstenfalls geht das schief.

      Was für Gemälde, Champagner und Polizisten gilt, gilt auch ganz allgemein: Was echt ist und was nicht, ist keine reine Kopfsache. Echtheit zu erkennen heißt vor allem: die äußere Welt richtig zu erkennen.

      Das Kriterium, ob unser Glaube an eine Verschwörung richtigliegt oder nicht, kann nicht allein im Kopf sein. Immerhin denken beide Trumans ja exakt dasselbe: »Alles um mich herum ist nicht echt.«

      Ob du dich irrst, ist Frage der Wirklichkeit!

      Klar, die Überzeugung ist in deinem Kopf. Das Kriterium der Richtigkeit für deine Überzeugung liegt allerdings in der Außenwelt. Soll heißen: Es liegt nur dann eine Verschwörung gegen dich vor, wenn tatsächlich eine Verschwörung gegen dich angezettelt wurde.

      Es geht also auch und immer darum, Vorstellung und Wirklichkeit bestmöglich miteinander in Einklang zu bringen. Die Welt sinnvoll und nachvollziehbar zu beschreiben.

      Weil das leichter gesagt als getan ist, scheitern viele Menschen hieran. Nicht nur Verschwörungstheoretiker. Aber die besonders. Verschwörungstheorien haben nämlich eine gewisse intellektuelle Sexyness. Weil sie an diese grundlegende menschliche Sehnsucht nach Wahrheit und Echtheit anknüpfen. Sie machen attraktive Vorschläge zur Erklärung der Wirklichkeit. Vorschläge, die oft nicht viel mit der Realität zu tun haben, die sich aber ziemlich wahr anfühlen.

      Der paranoide Truman lehrt uns: Gefühlte Wahrheiten sind keine. Wirklichkeit (und Wahrheit) liegt nicht im Kopf, sondern in der Außenwelt, in der sich der Kopf befindet. Genauer gesagt: Wahrheit ist eine Beziehung zwischen deinem Kopf und der Welt. Dabei ist es egal, ob es um Gold geht oder einen Menschen in Polizeiuniform. Was richtig und was falsch ist, was echt und was unecht ist – davon haben wir Überzeugungen. Überzeugungen, deren Richtigkeit sich an der Wirklichkeit messen lassen müssen. Schlimmstenfalls ist dein Diamantring aus Glas und dein Psychiater ein Hochstapler.

      Krisenschauspieler und mediale Echtheit

      »Das ist doch alles gar nicht echt!«, ist eine Reaktion, die heutzutage häufig anzutreffen ist. Vor allem im Internet. Oder bei Terroranschlägen und Amokläufen.

      Klingt unglaublich, ist aber so.

      Fast immer, sobald eine Nachricht schockierender, brutaler Ereignisse um die Welt geht, sind sie zur Stelle. Diejenigen, die »Fake!!« brüllen.

      In den letzten Jahren häufen sich Kommentare, die schreckliche Ereignisse wie den Anschlag auf die Sandy Hook Elementary School oder auch das Attentat auf den Berliner Breitscheidplatz als gefälscht bezeichnen. Verschwörungstheoretiker sagen, in echt sei nichts davon passiert. Mehr noch: Die Menschen, die einem in den Medien präsentiert werden, seien gar keine echten Opfer, gar keine echten Verletzten, gar keine echten Zeugen. Das seien alles Schauspieler. Krisenschauspieler. Indem man aber diejenigen, die unter einem schrecklichen Ereignis zu leiden hatten (und vielleicht sogar gestorben sind), einer Täterschaft beschuldigt, vollzieht man eine Täter-Opfer-Umkehr oder ein blaming the victim, ein böswilliges Beschuldigen und Verhöhnen des Opfers.

      Alles eine große Täuschung.

      Was so absurd klingt wie die Paranoia des paranoiden Truman aus unserem Gedankenexperiment oben, ist heute weit verbreitete, bittere Realität. Im Internet wimmelt es von Menschen, die anderen Menschen vorwerfen, nur Krisenschauspieler zu sein. Menschen, die wütend werden, weil man ihnen ihrer Meinung nach etwas vorgaukelt. Menschen, die zu Mobbing und Gewalt greifen, weil sie es satthaben, andauernd von »den Mainstream-Medien« über »den echten Lauf der Dinge« getäuscht zu werden.

      Aber der Reihe nach.

      Was ist hier los?

      Für uns, die wir – zumindest aus Perspektive vieler Verschwörungstheoretiker gesehen – noch naiv genug sind, den »Mainstream-Medien« Glauben zu schenken, steht fest: In der Welt geschehen auch schreckliche, gewalttätige Dinge wie Amokläufe und Terroranschläge. Rolle der Medien ist es, die Öffentlichkeit so verantwortungsvoll und präzise wie möglich über alle wichtigen Geschehnisse zu unterrichten. Was ist durch wen geschehen, wo, wie und bestenfalls auch: warum. Diese Berichterstattung – ob nun z. B. über das Anis-Amri-Attentat auf den Breitscheidplatz, den Massenmord durch Stephen Paddock in Las Vegas 2017 oder den 11. September 2001 – ist vielleicht nicht immer sofort zu hundert Prozent fehlerfrei (und ist auch oft im Interesse der Täter, die ohne Berichterstattung nicht bekannt werden würden). Eventuelle Fehler in der Berichterstattung ändern jedoch nichts an der Tatsache, dass die grundlegenden Informationen stimmen. Für die genannten Beispiele heißt das: Es gab einen LKW-Anschlag durch einen islamistischen Extremisten auf Weihnachtsmarktbesucher am Berliner Breitscheidplatz. Es gab einen Angriff in Las Vegas, bei dem ein Schütze mit automatischen Schnellfeuerwaffen aus einem Hotelfenster ins Publikum eines Country-Konzertes schoss. Es gab von Osama bin Laden geplante Flugzeugentführungen, die den Einsturz beider Türme des World Trade Centers СКАЧАТЬ