Название: Walden oder Leben in den Wäldern
Автор: Henry David Thoreau
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9788726511284
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Thoreau war eine Individualität. Er hatte keinen Vorgänger, er kann auch keinen Nachfolger haben. Manch günstiges und manch ungünstiges Arteil ist über ihn gefällt worden, sagt Torrey, eines aber lässt sich nicht leugnen: Als Ganzes genommen hatte er nicht seinesgleichen. Wohl haben auch andere Menschen Einfachheit gepredigt, in freiwilliger Armut gelebt, die Natur von Herzen geliebt und sich an ihre Brust geflüchtet, wohl haben auch andere vor und nach Thoreau die Zivilisation gering geschätzt und die Kultur zurückersehnt und ihren Landsleuten den Spiegel der Wahrheit vorgehalten, wohl haben auch andere an, „eine absolute Güte“, an eine Weisheit hocherhaben über menschliches Wissen geglaubt — doch Thoreau als Ganzes: als Dichter und Idealist, als Stoiker, Zyniker, Naturforscher und Mystiker, als der Freundschaft-Ersehnende, Reinheit-Suchende, Vollendungs-Durstige, Armut-Stolze — wo hat er seinesgleichen? Er war kein Rousseau, denn Eitelkeit war ihm fremd und Geständnisse hatte er nicht zu machen. Er war kein Tolstoj, denn schon in früher Jugend fuhr er mit vollen Segeln ins weite Meer hinaus, das Wunderland seiner Sehnsucht zu suchen. Nie änderte er den Kurs. Immer blieb er sich selber treu. Er war kein Montaigne, kein Charron. Eher dann noch ein Jefferies, der wie Thoreau die Tradition verachtete, leidenschaftlich die Wälder, Felder und Ströme liebte und über die gleiche Kraft der Sprache verfügte, um Geschautes zu verkünden. Nein, als Ganzes genommen hatte er nicht seinesgleichen. Er war, wie Emerson sagt, ein Protestant à l’outrance. Er hatte keinen ausgesprochenen Beruf, heiratete nicht, wählte nicht, ging nie zur Kirche und hielt keinen Sabbat, weigerte sich Steuern zu bezahlen, ass kein Fleisch, trank keinen Kaffee oder Wein und gebrauchte keinen Tabak. Er wollte dadurch reich sein, dass er seine Bedürfnisse herabsetzte, und das, was er gebrauchte, mit eigenen Händen sich schuf. Sein Mantel war nachts seine Decke, seine Bücher band er selbst ein, seine Möbel waren seiner Hände Werk. Was er für recht hielt, verteidigte er rückhaltlos. Er kannte keine Zugeständnisse. Wie Nietzsche handelte er nach dem Grundsatz: „Ein Weg — ein Ziel — eine gerade Linie.“ Wahrheit kündeten all sein Worte, all seine Taten. Er liebte sein Vaterland von Herzen und seine Abneigung gegen englische und europäische Sitten grenzte oft an Verachtung. Er wollte nicht auf „Ruinen“ wohnen. Concord selbst war ihm das Zentrum der Welt. Die Natur seiner engeren Heimat lehrte ihn die Natur des Kosmos begreifen. Freunde luden ihn ein nach dem Yellowstone, nach Südamerika mit ihnen zu reisen. Er lehnte ab. Er fand, dass die Flora von Massachusetts fast alle wichtigen Pflanzen Nordamerikas aufwies, und einem Freunde, der ihm ein Buch über eine arktische Expedition geliehen hatte, gab er es mit der Bemerkung zurück, dass die meisten in dem Buche geschilderten Phänomene auch in Concord zu beobachten seien. So innig wie sein ganzes Wesen sich zum Waldenteich und zu den Waldenwäldern hingezogen fühlte, ist jetzt seine Name mit diesem Stückchen Erde verknüpft.
Thoreaus kurze Gestalt zeigte hängende Schultern und eine auffallend flache Brust. Seine Gesichtsfarbe war hell, die Stirn nicht besonders hoch oder breit, aber voll Energie. Die Augen waren tiefblau, seine Lippen etwas vorstehend. In späteren Jahren trug er einen Vollbart. Seine Sinne waren wunderbar ausgebildet. Sie waren ihm die Eingangspforten zur Seele. Er hielt sie offen und unbefleckt. Er sah eine Wasserlilie oder ein Wasserläuferinsekt in Entfernungen, wo kein anderer sie zu erblicken vermochte. Er roch den Dampf einer Tabakspfeife oft eine Viertelmeile weit. Er konnte in der tiefsten Dunkelheit den Weg durch die Wälder finden. Es war ihm ein leichtes, die Höhe eines Baumes mit den Augen genau zu messen. Das Gewicht eines Schweines oder einer Kuh konnte er angeben wie ein Viehhändler. Die Entfernung wusste er zu schätzen wie ein Indianer. Der schlechte Geruch, den nachts die Wohnhäuser ausströmen, war ihm zuwider. Täglich lehrte ihn die Natur Neues. Burroughs sagt mit Recht: ,,Thoreau erforschte nicht so sehr die Natur wie das Übernatürliche; er schaute nicht die Natur an, sondern durch sie hindurch, darum machte er im naturwissenschaftlichen Sinne auch keine grossen Entdeckungen.“ Allerdings: er beobachtete jede Blume, jeden Vogel, die Ameise so gut wie die Bisamratte oder das Murmeltier. Er fühlt mit erstarrendem Finger durch den Schnee nach Pflanzen und untersucht sie unter dem Wasserspiegel. Er scheut keine Mühe, die wiederkehrenden Wasservögel zu belauschen und kriecht deswegen über Hügel und Sümpfe. Aber hinter all diesen Beobachtungen und Tatsachen sieht er die kosmischen Gesetze. Er ist betrübt, wenn er erkennt, dass kein Mensch flink genug ist, um bei der „ersten Frühlingsstunde zugegen zu sein“. Etwas wie ,,Grösse“ kennt er nicht. Der Waldenteich ist ihm ein kleiner Ozean und der atlantische Ozean ein grosser Waldenteich. Alle seine Beobachtungen trägt er in sein Tagebuch ein. Er hat ein Verzeichnis der Pflanzen, die an einem bestimmten Tage blühen werden. Wasserlilien, Gentian und Immergrün erfreuen sich seiner besonderen Vorliebe. Er entzückt sich am Echo, „an des Waldes Stimme“. Mit Betrübnis sieht er, wie man überall die Bäume fällt. Gottlob! Die Wolken am Himmel konnte man ihm nicht abhacken!
Mit den Tieren stand er auf fast ebenso vertrautem Fusse. Hören wir, was Emerson darüber sagt: ,,Thoreau konnte unbeweglich stundenlang auf einem Felsen sitzen bleiben, bis die Tiere, die vor ihm geflohen waren, Vogel, Reptil oder Fisch, zurückkehrten und ihre Gewohnheiten wieder aufnahmen, ja, von Neugier getrieben, näher kamen, um ihn zu beobachten.“ Wir würden es kaum glauben, wenn nicht Emerson es wäre, der weiterhin sagt: „Schlangen wanden sich um seine Beine, die Fische schwammen auf ihn zu, und liessen sich von ihm aus dem Wasser nehmen, die Vögel setzten sich auf seine Schultern (oder auf das Holz, das er in seinen Armen zur Hütte trug) und Eichhörnchen liefen ihm über die Füsse, wenn das gerade der nächste Weg war.“ Die Erde war für ihn kein Gegenstand kalter Beobachtungen, sondern ein grosses, lebendes Wesen, und alles, was sie gebar, liebte er. „Gott, ich danke Dir,“ schreibt er in sein Tagebuch, „ich bin Deiner Gnade unwürdig. Und doch ist die Welt für mich vergoldet, hohe Feiertage sind mir bereitet und mit Blumen ist mein Pfad bestreut! O, halte meine Sinne rein!“ . . . Die einfachsten Töne waren ihm die schönste Musik. Das Bellen eines Hundes in der Nacht, ja selbst das Summen eines Telegraphendrahtes konnte ihn poetisch inspirieren. Wenn der Sturmwind um seine Hütte brauste, erklangen ihm Symphonien, und wenn vom Dorf her leise die Klänge einer Harmonika zu ihm herüberschallten, war er diesem Spielmann dankbar, weil er fühlte, dass durch dessen Musik seine Existenz vertieft wurde. Man denkt unwillkürlich an Nietzsches Wort: „Wie wenig gehört zum Glücke: Der Ton eines Dudelsacks“. . .
Und doch: zum dauernden Glück bedurfte Thoreau mehr. Vor allen Dingen — Freundschaft. Nach ihr sehnte er sich sein Leben lang. Zahlreiche Stellen in seinem Tagebuch weisen darauf hin. Er will nichts weiter von seinen Freunden „als Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, ein Gran wirklicher Hochachtung, eine Gelegenheit, einmal im Jahre die Wahrheit zu sprechen.“ Und doch — wo waren die Freunde:
„ Der Freunde harr’ ich, Tag und Nacht bereit.
„ Wo bleibt Ihr Freunde? Kommt! ’st Zeit! ’s ist Zeit!“
Sie laden ihn zu Gast, doch „sie zeigen sich nicht“. Er „grämt sich, verhungert in ihrer Nähe“. Sie behandeln ihn derart, dass er sich „tausend Meilen weit fort“ fühlt. „Ich verlasse meine Freunde beizeiten. Ich gehe fort von ihnen, und liebkose mein Freundschaftsideal.“ ,,Wie kommt’s,“ ruft er aus, „dass ich immer wieder solch hohe Anforderungen an die Menschheit stelle und so regelmässig enttäuscht werde? Wissen meine Freunde, wie sehr enttäuscht ich bin? Ist alles mein Fehler? Bin ich zur Grossmut, zur Selbstlosigkeit unfähig? Jede andere Anklage könnte ich eher gegen mich erheben!“ ,,So ungefähr,“ schreibt Thoreau, „würde ich als Freund zum Freunde sprechen: Nie erbat ich Deine Erlaubnis, Dich lieben zu dürfen. Ich besitze das Recht dazu. Ich liebe Dich nicht als etwas Individuelles, das Dir selbst gehört, sondern als etwas Universelles, Liebenswertes, das ich entdeckt habe. O, was für Gedanken ich über Dich hege! Du bist wahrhaft lauter, Du bist unendlich gut. Dir kann ich vertrauen in alle Ewigkeit. Ich wusste nicht, dass des Menschen Seele so reich sei.“ . . . Ja, sein Freundschaftsideal fand er wohl selten verwirklicht. Vielleicht nicht einmal ganz in Emerson. 1853 schreibt er in sein Tagebuch: „Unterhielt mich oder vielmehr versuchte mich mit R. W. E. zu unterhalten. Verlor Zeit, ja fast meine Identität. Er opponierte dort, wo es gar keine Meinungsverschiedenheiten gab, sprach in den Wind und ich verlor meine Zeit, indem ich versuchte mir einzubilden, nicht ich, sondern irgend ein anderer opponiere СКАЧАТЬ