Radetzkymarsch. Йозеф Рот
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Название: Radetzkymarsch

Автор: Йозеф Рот

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788726539332

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СКАЧАТЬ im Nacken, eine mächtige krumme Spange quer über der Brust, wie eine Art Tatarensäbel. Gewappnet und gepanzert sah sie aus. Carl Joseph hauchte einen Kuß auf ihre lange harte Hand. Jacques rückte die Sessel. Der Bezirkshauptmann gab das Zeichen zum Niedersitzen. Jacques verschwand und trat nach einer Weile wieder mit weißen Handschuhen ein, die ihn völlig zu verändern schienen. Sie strömten einen schneeigen Glanz über sein ohnehin schon weißes Gesicht, seinen ohnehin schon weißen Backenbart, seine ohnehin weißen Haare. Aber sie übertrafen ja auch an Helligkeit wohl alles, was in dieser Welt hell genannt werden konnte. Mit diesen Handschuhen hielt er ein dunkles Tablett. Darauf stand die dampfende Suppenterrine. Bald hatte er sie in der Mitte des Tisches hingesetzt, sorgfältig, lautlos und sehr schnell. Nach alter Gewohnheit verteilte Fräulein Hirschwitz die Suppe. Man kam den Tellern, die sie hinhielt, mit gastfreundlich ausgestreckten Armen entgegen und mit einem dankbaren Lächeln in den Augen. Sie lächelte wieder. Ein warmer goldener Schimmer wallte in den Tellern; es war die Suppe: Nudelsuppe. Durchsichtig, mit goldgelben, kleinen, verschlungenen, zarten Nudeln. Herr von Trotta und Sipolje aß sehr schnell,, manchmal grimmig. Es war, als vernichtete er mit geräuschloser, adeliger und flinker Gehässigkeit einen Gang um den andern, er machte ihnen den Garaus. Fräulein Hirschwitz nahm bei Tisch winzige Portionen und aß nach vollendeter Mahlzeit in ihrem Zimmer die ganze Reihenfolge der Speisen aufs neue. Carl Joseph schluckte furchtsam und hastig heiße Löffelladungen und mächtige Bissen. So wurden sie alle zugleich fertig. Man sprach kein Wort, wenn Herr von Trotta und Sipolje schwieg.

      Nach der Suppe trug man den garnierten «Tafelpitz» auf, das Sonntagsgericht des Alten seit unzähligen Jahren. Die wohlgefällige Betrachtung, die er dieser Speise widmete, nahm längere Zeit in Anspruch als die halbe Mahlzeit. Das Auge des Bezirkshauptmanns liebkoste zuerst den zarten Speckrand, der das kolossale Stück Fleisch umsäumte, dann die einzelnen Tellerchen, auf denen die Gemüse gebettet waren, die violett schimmernden Rüben, den sattgrünen ernsten Spinat, den fröhlichen hellen Salat, das herbe Weiß des Meerrettichs, das tadellose Oval der jungen Kartoffeln, die in schmelzender Butter schwammen und an zierliche Spielzeuge erinnerten. Er unterhielt merkwürdige Beziehungen zum Essen. Es war, als äße er die wichtigsten Stücke mit den Augen, sein Schönheitssinn verzehrte vor allem den Gehalt der Speisen, gewissermaßen ihr Seelisches; der schale Rest, der dann in Mund und Gaumen gelangte, war langweilig und mußte unverzüglich verschlungen werden. Die schöne Ansicht der Speisen bereitete dem Alten ebensoviel Vergnügen wie ihre einfache Beschaffenheit. Denn er hielt auf ein sogenanntes «bürgerliches» Essen: ein Tribut, den er seinem Geschmack ebenso wie seiner Gesinnung zollte; diese nämlich nannte er eine spartanische. Mit einem glücklichen Geschick vereinigte er also die Sättigung seiner Lust mit den Forderungen der Pflicht. Er war ein Spartaner. Aber er war ein Österreicher.

      Er machte sich nun, wie jeden Sonntag, daran, den «Spitz» zu zerschneiden. Er stieß die Manschetten in die Ärmel, hob beide Hände, und indem er Messer und Gabel an das Fleisch ansetzte, begann er, zu Fräulein Hirschwitz gewendet: «Sehn Sie, meine Gnädige, es genügt nicht, beim Fleischer ein zartes Stück zu verlangen. Man muß darauf achten, in welcher Art es geschnitten ist. Ich meine, Querschnitt oder Längsschnitt. Die Fleischer verstehen heutzutage ihr Handwerk nicht mehr. Das feinste Fleisch ist verdorben, nur durch einen falschen Schnitt. Sehen Sie her, Gnädigste! Ich kann es kaum noch retten. Es zerfällt in Fasern, es zerflattert geradezu. Als Ganzes kann man’s wohl ‹mürbe› nennen. Aber die einzelnen Stückchen werden zäh sein, wie Sie bald selbst sehen werden. Was aber die Beilagen, wie es die Reichsdeutschen nennen, betrifft, so wünsche ich ein anderes Mal den Kren, genannt Meerrettich, etwas trockener. Er darf die Würze nicht in der Milch verlieren. Auch muß er knapp, bevor er zum Tisch kommt, angerichtet werden. Zu lange naß gewesen. Ein Fehler!»

      Fräulein Hirschwitz, die viele Jahre in Deutschland gelebt hatte, immer hochdeutsch sprach und auf deren Vorliebe für die literaturfähige Ausdrucksweise sich Herrn von Trottas «Beilagen» und «Meerrettich» bezogen hatten, nickte schwer und langsam. Es kostete sie offensichtlich Mühe, das bedeutende Gewicht des Haarknotens vom Nacken zu lösen und ihr Haupt zu einer zustimmenden Neigung zu veranlassen. So bekam ihre beflissene Freundlichkeit etwas Gemessenes, ja, sie schien sogar eine Abwehr zu enthalten. Und der Bezirkshauptmann sah sich veranlaßt, zu sagen: «Ich habe sicherlich nicht unrecht, meine Gnädigste!»

      Er sprach das nasale österreichische Deutsch der höheren Beamten und des kleinen Adels. Es erinnerte ein wenig an ferne Gitarren in der Nacht, auch an die letzten zarten Schwingungen verhallender Glocken, es war eine sanfte, aber auch präzise Sprache, zärtlich und boshaft zugleich. Sie paßte zu dem mageren, knochigen Angesicht des Sprechers, zu seiner schmalen gebogenen Nase, in der die klingenden, etwas wehmütigen Konsonanten zu liegen schienen. Nase und Mund waren, wenn der Bezirkshauptmann sprach, eine Art von Blasinstrumenten eher als Gesichtspartien. Außer den Lippen bewegte sich nichts in diesem Gesicht. Der dunkle Backenbart, den Herr von Trotta als ein Uniformstück trug, als ein Abzeichen, das seine Zugehörigkeit zu der Dienerschaft Franz Josephs des Ersten beweisen sollte, als einen Beweis seiner dynastischen Gesinnung; auch dieser Backenbart blieb reglos, wenn Herr von Trotta und Sipolje sprach. Aufrecht saß er am Tisch, als hielte er Zügel in den harten Händen. Wenn er saß, sah er aus, als stünde er, und wenn er sich erhob, überraschte immer wieder seine kerzengrade Größe. Er trug immer Dunkelblau, Sommer und Winter, an Sonn- und Wochentagen; einen dunkelblauen Rock und graue gestreifte Hosen, die eng um seine langen Beine lagen und von Stegen um die glatten Zugstiefel straff gespannt wurden. Zwischen dem zweiten und dritten Gang pflegte er aufzustehen, um sich «Bewegung zu machen». Aber es war eher, als wollte er seinen Hausgenossen vorführen, wie man sich erhebt, steht und wandelt, ohne die Reglosigkeit aufzugeben. Jacques räumte das Fleisch ab und fing einen hurtigen Blick von Fräulein Hirschwitz auf, der ihn ermahnte, den Rest für sie aufwärmen zu lassen. Herr von Trotta ging mit gemessenen Schritten zum Fenster, lüftete ein wenig die Gardine und kehrte an den Tisch zurück. In diesem Augenblick erschienen die Kirschknödel auf einem geräumigen Teller. Der Bezirkshauptmann nahm nur einen, zerschnitt ihn mit dem Löffel und sagte zu Fräulein Hirschwitz: «Das, meine Gnädigste, ist ein Muster von einem Kirschknödel. Er besitzt die nötige Konsistenz, wenn er aufgeschnitten wird, und gibt auf der Zunge dennoch sofort nach.» Und zu Carl Joseph gewendet: «Ich rate dir, heute zwei zu nehmen!» Carl Joseph nahm zwei. Er verschlang sie im Nu, war eine Sekunde früher fertig als sein Vater und trank ein Glas Wasser nach — denn Wein gab es nur am Abend — um sie aus der Speiseröhre, in der sie noch stecken mochten, in den Magen hinunterzuspülen. Er faltete, im gleichen Rhythmus wie der Alte, seine Serviette.

      Man erhob sich. Die Musik spielte draußen die Tannhäuser-Ouvertüre. Unter ihren sonoren Klängen schritt man ins Herrenzimmer. Fräulein Hirschwitz voran. Dorthin brachte Jacques den Kaffee. Man erwartete den Herrn Kapellmeister Nechwal. Er kam, während sich seine Musikanten unten zum Abmarsch formierten, im dunkelblauen Paraderock, mit glänzendem Degen und zwei funkelnden goldenen kleinen Harfen am Kragen. «Ich bin entzückt von Ihrem Konzert», sagte Herr von Trotta, heute, wie jeden Sonntag. «Es war heute ganz außerordentlich.» Herr Nechwal verbeugte sich. Er hatte schon vor einer Stunde in der Offiziers-Messe gegessen, den schwarzen Kaffee nicht abwarten können, er hatte noch den Geschmack der, Speisen im Mund, er dürstete nach einer «Virginia». Jacques brachte ihm ein Paket Zigarren. Der Kapellmeister sog lange am Feuer, das Carl Joseph standhaft vor die Mündung der langen Zigarre hielt, auf die Gefahr hin, daß seine Finger verbrannten. Man saß in breiten Lederstühlen. Herr Nechwal erzählte von der letzten Lehár-Operette in Wien. Er war ein Weltmann, der Kapellmeister. Er kam zweimal im Monat nach Wien, und Carl Joseph ahnte, daß der Musiker auf dem Grunde seiner Seele viele Geheimnisse aus der großen nächtlichen Halbwelt barg. Er hatte drei Kinder und eine Frau «aus einfachen Verhältnissen», aber er selbst stand im vollsten Glanz der Welt, losgelöst von den Seinen. Er genoß und erzählte jüdische Witze mit pfiffigem Behagen. Der Bezirkshauptmann verstand sie nicht, lachte auch nicht, sagte aber: «Sehr gut, sehr gut!» «Wie geht es Ihrer Frau Gemahlin?» fragte Herr von Trotta regelmäßig. Seit Jahren stellte er diese Frage. Er hatte Frau Nechwal nie gesehen, er wünschte auch nicht, der «Frau aus einfachen Verhältnissen» jemals zu begegnen. Beim Abschied sagte er immer zu Herrn Nechwal: «Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin, unbekannterweise!» Und Herr Nechwal versprach, die Grüße СКАЧАТЬ