Radetzkymarsch. Йозеф Рот
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Название: Radetzkymarsch

Автор: Йозеф Рот

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788726539332

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СКАЧАТЬ seines langen Krankheitsurlaubs, beinahe vergessen; ihn und sein unmilitärisches Wesen. Man betrachtete ihn jetzt, nicht ohne Überraschung. Der Oberst beeilte sich, dem vorschriftsmäßigen Ritus der Begrüßung ein Ende zu machen. Er schrie, daß die Gläser zitterten: «Gut schaut er aus, der Doktor!» als wollte er es der ganzen Armee mitteilen. Er schlug die Hand auf die Schulter Demants, wie um sie wieder in ihre natürliche Lage zu bringen. Sein Herz war allerdings dem Regimentsarzt zugetan. Aber der Kerl war unmilitärisch, Sapperlot, Donnerwetter! Wenn er nur ein bißchen militärischer wäre, brauchte man sich nicht immer so anzustrengen, um ihm gut zu sein. Man hätte auch, zum Teufel, einen anderen Doktor schicken können, grad in sein Regiment! Und diese ewigen Schlachten, die das Gemüt des Obersten seinem soldatischen Geschmack zu liefern hatte, wegen dieses verfluchten netten Kerls, konnten schon einen alten Soldaten aufreiben. «An diesem Doktor gehe ich noch zugrunde!» dachte der Oberst, wenn er den Regimentsarzt zu Pferde sah. Und eines Tages hatte er ihn gebeten, lieber nicht durch die Stadt zu reiten.

      Man muß ihm etwas Nettes sagen, dachte er aufgeregt. «Das Schnitzel war heute ausgezeichnet!» fiel ihm in der Eile ein. Und er sagte es. Der Doktor lächelte. «Er lächelt ganz zivilistisch, der Kerl!» dachte der Oberst. Und plötzlich entsann er sich, daß da noch einer war, der den Doktor nicht kannte. Der Trotta natürlich! Er war eingerückt, als der Doktor in Urlaub gegangen war. Der Oberst lärmte: «Unser Jüngster, der Trotta! Ihr kennt euch noch nicht!» Und Carl Joseph trat vor den Regimentsarzt.

      «Enkel des Helden von Solferino?» fragte Doktor Demant.

      Man hätte ihm diese genaue Kenntnis der militärischen Geschichte nicht zugetraut.

      «Alles weiß er, unser Doktor!» rief der Oberst. «Er ist ein Bücherwurm!»

      Und zum erstenmal in seinem Leben gefiel ihm das verdächtige Wort Bücherwurm so gut, daß er noch einmal wiederholte: «Ein Bücherwurm!» in dem liebkosenden Ton, in dem er sonst nur zu sagen pflegte: «ein Ulane!»

      Man setzte sich wieder, und der Abend nahm den üblichen Verlauf. «Ihr Großvater», sagte der Regimentsarzt, «war einer der merkwürdigsten Menschen der Armee. Haben Sie ihn noch gekannt?» «Ich habe ihn nicht mehr gekannt», antwortete Carl Joseph. «Sein Bild hängt bei uns zu Hause im Herrenzimmer. Wie ich klein war, hab’ ich es oft betrachtet. Und sein Diener, der Jacques, ist noch bei uns.» «Was ist das für ein Bild?» fragte der Regimentsarzt. «Ein Jugendfreund hat es gemalt!» sagte Carl Joseph. «Es ist ein merkwürdiges Bild. Es hängt ziemlich hoch. Als ich klein war, mußte ich auf einen Stuhl steigen. Da hab’ ich es betrachtet.»

      Sie waren ein paar Augenblicke still. Dann sagte der Doktor: «Mein Großvater war ein Schankwirt; ein jüdischer Schankwirt in Galizien. Galizien, kennen Sie das?» (Ein Jude war der Doktor Demant. Alle Anekdoten enthielten jüdische Regimentsärzte. Zwei Juden hatte es auch in der Kadettenschule gegeben. Sie waren dann zur Infanterie gekommen.)

      «Zu Resi, zu Tante Resi!» rief plötzlich jemand.

      Und alle wiederholten: «Zu Resi. Man geht zur Resi!»

      «Zur Tante Resi!»

      Nichts hätte Carl Joseph stärker erschrecken können als dieser Ruf. Seit Wochen erwartete er ihn voller Angst. Vom letzten Besuch im Bordell der Frau Horwath behielt er noch alles in deutlicher Erinnerung: Alles! Den Sekt, der aus Kampfer und Limonade bestand, den weichen fleischigen Teig der Mädchen, das schmetternde Rot und das irrsinnige Gelb der Tapeten, im Korridor den Geruch von Katzen, Mäusen und Maiglöckchen und das Sodbrennen zwölf Stunden später. Er war kaum eine Woche eingerückt, und es war sein erster Besuch in einem Bordell gewesen. «Liebesmanöver!» sagte Taittinger. Er war der Anführer. Es gehörte zu den Obliegenheiten eines Offiziers, der die Messe seit undenklichen Zeiten verwaltete. Bleich und hager, den Korb des Säbels im Arm, mit langen, dünnen und sanft klirrenden Schritten ging er im Salon der Frau Horwath von einem Tisch zum andern, ein schleichender Mahner zu saurer Freude. Kindermann war der Ohnmacht nahe, wenn er nackte Frauen roch, das weibliche Geschlecht machte ihm Übelkeiten. Der Major Prohaska stand in der Toilette, ehrlich bemüht, seinen dicken, kurzen Finger in den Gaumen zu stecken. Die seidenen Röcke der Frau Resi Horwath raschelten gleichzeitig in allen Winkeln des Hauses. Ihre großen schwarzen Augenbälle rollten ohne Richtung und Ziel in ihrem breiten, mehligen Antlitz herum, weiß und groß wie Klaviertasten schimmerte in ihrem breiten Mund das falsche Gebiß. Trautmannsdorff verfolgte von seiner Ecke aus alle ihre Bewegungen mit winzigen, flinken, grünlichen Blicken. Er stand schließlich auf und steckte eine Hand in den Busen der Frau Horwath. Sie verlor sich drinnen wie eine weiße Maus in weißen Bergen. Und Pollak, der Klavierspieler, saß mit gebeugtem Rücken, Sklave der Musik, am schwärzlich spiegelnden Flügel, und an seinen hämmernden Händen schepperten die harten Manschetten, wie heisere Tschinellen begleiteten sie die blechernen Klänge.

      Zu Tante Resi! Man ging zu Tante Resi. Der Oberst machte unten kehrt, er sagte: «Viel Vergnügen, meine Herren!» und auf der stillen Straße riefen zwanzig Stimmen: «Respekt, Herr Oberst!» und vierzig Sporen klirrten aneinander. Der Regimentsarzt Doktor Max Demant machte einen schüchternen Versuch, sich ebenfalls zu empfehlen. «Müssen Sie mit?» fragte er den Leutnant Trotta leise. «Es wird wohl so sein!» flüsterte Carl Joseph. Und der Regimentsarzt ging wortlos mit. Sie waren die letzten in der unordentlichen Reihe der Offiziere, die mit Gerassel durch die stillen, mondbelichteten Straßen der kleinen Stadt gingen. Sie sprachen nicht miteinander. Beide fühlten, daß sie die geflüsterte Frage und die geflüsterte Antwort verband, da war nichts mehr zu machen. Sie waren beide vom ganzen Regiment geschieden. Und sie kannten sich kaum eine halbe Stunde.

      Plötzlich, er wußte nicht warum, sagte Carl Joseph: «Ich hab’ eine Frau namens Kathi geliebt. Sie ist gestorben!»

      Der Regimentsarzt blieb stehen und wandte sich ganz dem Leutnant zu. «Sie werden noch andere Frauen lieben!» sagte er.

      Und sie gingen weiter.

      Man hörte vom fernen Bahnhof her späte Züge pfeifen, und der Regimentsarzt sagte:

      «Ich möchte wegfahren, weit wegfahren!»

      Nun standen sie vor Tante Resis blauer Laterne. Rittmeister Taittinger klopfte an das verschlossene Tor. Jemand öffnete. Drinnen begann das Klavier sofort zu klimpern: den Radetzkymarsch. Die Offiziere marschierten in den Salon. «Einzeln abfallen!» kommandierte Taittinger. Die nackten Mädchen schwirrten ihnen entgegen, eine emsige Schar von weißen Hennen. «Gott mit euch!» sagte Prohaska. Trautmannsdorff griff diesmal sofort und noch im Stehen in den Busen der Frau Horwath. Er ließ sie vorläufig nicht mehr los. Sie hatte Küche und Keller zu überwachen, sie litt sichtlich unter den Liebkosungen des Oberleutnants, aber die Gastfreundschaft verpflichtete sie zu Opfern. Sie ließ sich verführen. Leutnant Kindermann wurde bleich. Er war weißer als der Puder auf den Schultern der Mädchen. Der Major Prohaska bestellte Sodawasser. Wer ihn näher kannte, wußte vorauszusagen, daß er heute sehr besoffen sein würde. Er bahnte nur dem Alkohol einen Weg mit Wasser, wie man Straßen reinigt vor einem Empfang. «Der Doktor ist mitgekommen?» fragte er laut. «Er muß die Krankheiten an der Quelle studieren!» sagte mit wissenschaftlichem Ernst, bleich und hager, wie immer, der Rittmeister Taittinger, Fähnrich Bärensteins Monokel steckte jetzt im Auge eines weißblonden Mädchens. Er saß da, mit kleinen zwinkernden schwarzen Äuglein, seine braunen, behaarten Hände krochen wie merkwürdige Tiere über das Fräulein. Allmählich hatten alle ihre Plätze eingenommen. Zwischen dem Doktor und Carl Joseph, auf dem roten Sofa, saßen zwei Frauen, steif, mit angezogenen Knien, eingeschüchtert von den verzweifelten Gesichtern der beiden Männer. Als der Sekt kam — die strenge Hausdame in schwarzem Taft brachte ihn feierlich — zog Frau Horwath entschlossen die Hand des Oberleutnants aus ihrem Ausschnitt, legte sie ihm auf die schwarze Hose, aus Ordnungsliebe, wie man einen geborgten Gegenstand zurückerstattet, und erhob sich, mächtig und gebieterisch. Sie löschte den Kronleuchter aus. Nur die kleinen Lampen brannten in den Nischen. СКАЧАТЬ