Der veruntreute Himmel. Franz Werfel
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Читать онлайн книгу Der veruntreute Himmel - Franz Werfel страница 14

Название: Der veruntreute Himmel

Автор: Franz Werfel

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788726511307

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СКАЧАТЬ Mehltau der politischen Entwicklung hatte sich auf alle menschlichen Beziehungen gelegt, und da Leopold eine entschiedene und eindeutige Stellung bezogen hatte, hielten es die Gesinnungsakrobaten, aus denen zu neunundneunzig Teilen alle Volksklassen bestehen, weder für wichtig noch für vorteilhaft, eine lang genossene Freundschaft mit Leuten zu unterstreichen, die eigentlich nie ›ernst zu nehmen‹ gewesen sind. Die Heliotropie des menschlichen Opportunismus trat in ihr Recht. Die Tüchtigen wandten ihre Köpfe der neuen Sonne zu, wenngleich diese noch unterm Horizont in einem fahlen Zwielicht stand. Zumeist ahnten sie gar nicht, daß sie Verräterei begingen, denn die erwähnte Kopfwendung ist ein ganz natürlicher und kein gesinnungshaft geistiger Vorgang, und der Mensch ist so schwach geboren, daß er jede ›Weltanschauung‹ gläubig anzunehmen willens ist, sofern sie nur zur Herrschaft kommt und ihm sein Futter nicht vermindert. Diese Gattung Mensch würde auch glatt ihre eigenen Kinder abschlachten, wenns die durch Macht erhärtete und mit Wissenschaft verbrämte Weltanschauung von ihr fordern sollte. Wie leicht wars da, sich von Freunden unauffällig zurückzuziehen. Was aber die neuen Gesichter anbelangt, so hingen sie mit der großherzigen Wahllosigkeit in Leopolds Natur zusammen. Wenn es spät wurde, und er saß beim achten Whisky und die Seele wuchs ihm, da lud er alle ein, die sich in seiner Nähe befanden, wildfremde Leute und manchmal auch die Kellner, die ihn bedienten. Er besaß daher in der Welt so manchen Duzfreund, an dessen Gesicht er sich kaum, an dessen Namen er sich überhaupt nicht erinnerte. Nie ließ er sich jedoch die Unkenntnis anmerken, und wenn ihn einer seiner mysteriösen Duzfreunde irgendwo mit einem kernigen ›Hallo Poldi‹ begrüßte, so erwiderte er den Willkomm mit gleicher Wärme und schlug wohl noch den unbekannten Bruder einer weinselig verschollenen Nacht kameradschaftlich auf die Schulter. Man muß nicht eigens anmerken, daß solche verbrüderungsträchtigen Gewohnheiten einem höheren Beamten im Dienste der Diplomatie nicht gut anstanden. Vom Diplomaten fordert man keine offenen Arme, sondern eine snobistisch ausschließende und einschränkende Siebung seines Verkehrs. Kein Wunder, daß Leopolds Karriere durch diese großmütige Wahllosigkeit gelitten hatte, da er und Livia überdies sich noch wehrten, langweilige Gesellschaften zu besuchen oder gar bei sich zu empfangen. Die Argans waren die Argans, keine von der jeweiligen Beleuchtung an die Wand der Zeitumstände geworfenen Schatten, sondern ursprüngliche Menschen, die von ihrem eigenen Lichte lebten. Wie wenige Selbstherrliche dieser Art gibt es, und sie allein haben es nicht nötig, eine Rolle spielen zu wollen, nach Einfluß zu begehren und um Erfolg zu buhlen. Es ist beinahe logisch, daß ein geheimnisvolles Weltschicksal, das überall die Freien, Überragenden und Unbekümmerten zur automatischen Masse einebnen will, gerade den wenigen Selbstherrlichen als seinen Todfeinden auflauert.

      Als Leopold vor einigen Tagen in dichtgefülltem Auto mit seinen ›Neuerwerbungen‹ eingetroffen war, hatte Livia mir belustigt zugezwinkert: was würde daraus entstehen? Glücklicherweise entstand nichts daraus, was unsere Gemeinschaft störte oder überanstrengte. Neben einem langbefreundeten Ehepaar hatte Leopold einen Schauspieler ohne Namen mitgebracht, eine hübsche Dame mit Namen, einen witzigen Kopf, der an nervösem Gesichtszucken litt, und schließlich ein Männchen im Steirerrock mit einem kugelrunden Glatzschädel, das einem ländlichen Gemeinderat gleichsah oder einem altgewordenen Schullehrer. Gerade dieses Männchen aber entpuppte sich als eine glänzende Neuerwerbung. Wir nannten es nur den ›großen Lacher‹. Als dankbares Publikum in Person besaß der Eingeschrumpfte eine Kunst des Lachens, wie ich sie noch nie angetroffen hatte. Er lachte nach Noten, in allen Stimmlagen, in jeder Taktart, in jedem Tempo, in liegenden Tönen, in raschen Koloraturen und immer unbewußt und aus seiner ganzen Tiefe hervor. So trug er durch seine unvorhergesehene Mitwirkung nicht wenig zum Gelingen unserer Festnacht bei.

      Es gehörte zu den guten zwanglosen Bräuchen des Hauses Argan, daß die Getränke nicht erst zum zweiten Gang, sondern schon zur Suppe geschenkt wurden. Doris und Philipp standen vor zwei gewaltigen Terrinen mit Pfirsich- und Waldmeister-Bowle und ließen unsere Gläser nicht leer werden. Als man dann endlich bei Mokka, Likör und Whisky hielt, war bereits jeder einzelne des Entzückens voll und willens, das Leben als ein einwandfrei göttliches Geschenk gelten zu lassen. Der Schauspieler brachte sein vorläufig noch namenloses Organ zu schallender Geltung. Der witzige Kopf sprühte unter lebhaften Gesichtszuckungen. Er schien seine Pointen über unser Tischgespräch wie aus einer Zucker- oder besser Pfefferbüchse zu streuen, die er verstohlen bereithielt. Die schöne Frau spiegelte ihr anerkanntes Lächeln teils in allen Blicken und teils in ihrem fleißig zu Rate gezogenen Taschenspiegelchen. Die Jugend schwatzte aufgeregt durcheinander. Und der alte Lacher lachte ohne Unterlaß.

      Dann hob Livia die Tafel auf. Man begab sich mit Gläsern und Flaschen in den Park hinterm Haus. Dort waren schon die Stühle für die Zuschauer an die Rampe der großen Terrasse gerückt, welche die Bühne vorstellte. Auf einmal war ein Publikum von ansehnlicher Zahl vorhanden. Die Dienerschaft nämlich hatte in Nachahmung der freien hausherrlichen Sitten ihre Freunde aus der Umgebung zu den Darbietungen eingeladen. Ein sehr großer Vollmond schwebte über unseren bunten Lampions. Zwischen den Wipfeln der Lärchen schimmerten knöchern die Felswände des Toten Gebirges herüber.

      Die erste Nummer hatte Leopold selbst übernommen, der gute Kerl, denn der Anfang bedeutet für den Künstler ja stets die größte Überwindung, nicht nur die des Publikums, sondern mehr noch die des eigenen Lampenfiebers. Es war übrigens eine seiner Meisternummern. Er setzte sich an den Flügel, den man auf die Terrasse gerückt hatte und verlangte, daß man ihm einen modernen Schlager zur ›Bearbeitung‹ aufgebe. Die meisten wählten den Schlager des Jahres, dessen Weise auf die albern zwinkernden Worte gesetzt war:

      ›Ich bitt dich, schenk mir dein Photo,

      Und wär es auch noch so klein.‹

      Leopold Argan verwandelte dieses schieberische Lied wortwörtlich im Handumdrehen in das blockhafte Gedränge einer Bachschen Fuge, in einen passagenumplätscherten Liszt, in ein sich ins Gehör bohrendes Arioso à la Puccini, in ein dämmerfarbenes Wolkengebild Debussys und endlich in die flüchtige Mißklangs-Girlande eines unserer verwegensten Neuerer. Sein Anschlag und Akkord-Griff war so mächtig, daß er auch jene überwältigte, die nichts von den Geheimnissen der Musik und damit auch nichts von diesen glänzenden Parodien verstanden. – Nun folgte mein kleines Szenchen. Ich empfand es als den weitaus schwächsten Punkt unseres ganzen Programms. Obzwar ich schon ein wenig berauscht war, schwitzte ich vor Scham und schlechtem Gewissen. Ich war wie erlöst, als Doris drankam. Sie sang, von Livia begleitet, den ›Czardas‹ und die ›Frühlingsstimmen‹ von Johann Strauß. Welche Fortschritte hatte das Mädel in den letzten zwei Jahren gemacht! Selten habe ich eine Stimme gehört, auf die der Begriff ›leichter Sopran‹ so genau zutraf. Sie erkletterte mühelos alle Höhen, spielte übermütig mit halsbrecherischen Staccatis und Fiorituren und schwebte angst- und gewichtlos auf den längsten Trillern. Dabei brachte diese Stimme auch den sonderbaren Humor zum Ausdruck, der auf des Mädchens Wesensgrunde lag, eine graziöse, kühle, augenruhige Überlegenheit, deren unheilverkündenden Sinn keiner von uns je bemerkte. Ich hatte geraten, man möge Doris schon im heurigen Jahre nach Mailand schicken, damit ihr Gesang dort den letzten Schliff empfange. Livia, unerbittlich in ihrem Urteil, fands noch zu früh. O hätte sie das Kind nur für die nächsten Jahre nach Italien geschickt, vielleicht wäre dann . . . Doch wozu das? ›Hätte‹ und ›wäre‹ sind die grammatikalischen Formen unserer unfruchtbarsten Reue.

      Philipp machte den Ansager. Er setzte mich in Erstaunen, ja fast in Schrecken. So wie heute hatte ich den Jungen noch nie gesehen. Wohl kannte ich sein Temperament und seinen wilden Rhythmus beim Musizieren, zwei Eigenschaften übrigens, die nur eine einzige sind. Im Leben sonst gab sich dieser blonde hochgeschossene Philipp – das Bild eines jungen Menschen – gesetzt, aufmerksam und beinahe gemessen. In seiner Sprechweise bevorzugte er ein eigentümlich trockenes Pathos, in dem er ideelle Gegenstände in platte Worte kleidete wie z. B.: »Ich werde demnächst ein Lied oder eine Sonate anfertigen«, und umgekehrt Alltägliches in künstlerische Begriffe hob: »Fräul’n Teta ist heute erzürnt und hat daher den Apfelstrudel ohne Rosinen nach a-Moll moduliert.« Hinter diesen Faxereien verbarg sich bei Philipp, ebenso wie hinter der stillen Ironie seiner Schwester, irgend etwas, was er nicht preisgeben wollte. Mich sprach er manchmal am Morgen in dritter Person an: »Haben СКАЧАТЬ