Название: Italienische Erzählungen
Автор: Isolde Kurz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711445952
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Dies war getan, noch bevor die Erlaubnis erteilt werden konnte. Unterdessen war man mit dem Essen fertig geworden und Pomona drängte zum Aufbruch nach der frischeren Terrasse. Dadurch wurde jedoch die Unterhaltung nicht gestört, denn Neubrunn redete auch auf der Treppe immer weiter und die andern drängten sich lachend an ihn, um keines seiner Worte zu verlieren. Der kleine schwarzköpfige Italiener trug ihm die Zigaretten nach, von denen er die Gewohnheit hatte, immer zwei zugleich in den Mund zu stecken, wogegen Paul Andersen niemals rauchte.
Oben angekommen, zog er eine Champagnerflasche aus dem Eis und entkorkte sie vorsichtig, dann schenkte er die Kelche voll. Aber auf einmal kam ihm ein anderer Gedanke, und er erlaubte nicht, daß jemand trank, bevor er alle Anwesenden mit Efeuranken bekränzt hatte.
Lydia reichte er noch überdies einen langen blühenden Orangenzweig und sagte: „Lassen Sie die Papiere laufen und machen Sie unsern armen Schneider glücklich. Schlechter als im fremden Haus werden Sie es auch bei ihm nicht haben. Also, ehe das schöne Gold auf diesem Scheitel bleicht und die Rosen welken, fassen Sie das Glück am Schopf und halten es fest, solang Sie können.“
Paul Andersen trat zwischen beide und faßte Lydias Hand. Die Lebenslust des Freundes hob ihn wie auf Adlersflügeln empor, daß er alle Angst der Erde tief unter sich sah, aber er wollte ihm doch den Ruhm der Anregung nicht lassen.
„Du sprichst nur aus, was zwischen uns beiden heute abend stillschweigend vereinbart worden ist. Lydia verläßt das Esselinsche Haus, und wir heiraten so schnell wie möglich.“
Lydia hielt Pauls Hand, und ihr ganzes Gesicht strahlte. Pomona, die mit dem nickenden Kranz auf ihrem pechschwarzen Scheitel heute wirklich einer ländlichen Gottheit glich, beglückwünschte die beiden geräuschvoll.
Karl Neubrunn erhob sein Glas und rief: „Ich trinke auf den Übertritt zweier edler Mitglieder der Schneidergilde in die tapfere Schusterzunft. Es lebe der künftige Schustermeister und seine Frau Schustermeisterin!“
Die Gläser klangen, die Männer schüttelten sich die Hände, die Braut fiel der Wirtin um den Hals, die ihr in den Schwierigkeiten ihres neuen Lebens als Freundin und Beraterin zur Seite zu stehen versprach.
Bei Neubrunn aber wurde jetzt der Rausch immer fühlbarer, denn er begann in alle Einzelheiten des künftigen Hausstands einzugehen: „Ich habe an alles gedacht. Zwei Zimmer habt ihr schon, das Atelier und das Schlafzimmer; was die Küche betrifft, so könnt ihr die meinige benützen, ich gebrauche sie ja nie, und Pomona räumt euch ihre Garderobe zum Kinderzimmer ein. Ohnehin, wenn die Kleinen zu wild werden, dann schickt ihr sie zu mir, ich werde euch bei der Erziehung behilflich sein. Der Erbonkel ist auch schon im Haus. Ich selbst habe keine Kinder, nein, lacht nicht, es ist wirklich so — ich werde die eurigen dafür ansehen — sie sind es ja auch gewissermaßen, da ich ihr geistiger Urheber bin — und wenn ich einmal aus der Welt gehe — viel hab ich ja nie besessen —“
Hier überkam ihn die Rührung, daß er einen Augenblick inne hielt, denn er schämte sich zu weinen. Die Wirtin, die einiges verstanden haben mußte, trocknete Tränen ab und seufzte: „Oh che cuore, che cuore!“
Als die Flaschen geleert waren, hatte Neubrunns Zustand einen so bedenklichen Grad erreicht, daß er selbst die Gefahr empfand, die in einem längeren Verweilen lag, und daß er mit einer geschickten Schwenkung den Rückzug einleitete.
„Giorgino, leuchte dem Herrn Baron“, rief Pomona ihrem Jungen zu und fügte leise bei: „Und gib auf der Treppe Achtung, daß er nicht fällt.“
Der Junge griff nach dem Leuchter, aber Neubrunn wehrte ihm ab: „Schöner Knabe“, sagte er, schon etwas zungenschwer, „wenn ich ein Grieche wäre, so wollte ich dich besingen wie Anakreon den Bathyllos —“
Hier besann er sich und machte Miene, den griechischen Vers zu zitieren; da ihn jedoch sein Gedächtnis im Stiche ließ, fuhr er fort: „So aber gehören meine Huldigungen deiner Mutter. Pomona, reichen Sie mir Ihren Arm, ich brauche kein anderes Licht als Ihre Schönheit, um mir zu Bette zu leuchten.“
Andersen wollte ihn bis an seine Tür begleiten, aber Neubrunn ließ es nicht zu, sondern bestand darauf, am Arm Pomonas die Treppe hinabzusteigen, was sie auch lachend gewährte. „Che cuore!“ sagte sie wiederholt, und beim Abschied drückten sich alle mit überwallendem Gefühl die Hände und dankten sich gegenseitig für den herrlichen Abend.
Die lauten Tritte und Stimmen verhallten, und die Liebenden sahen sich allein in der blumigen Stille. Über die Terrasse wehten die langen, kühlen Atemzüge der Nacht wie eine Botschaft der großen freien Natur, daß das Reich menschlicher Konvention zu Ende sei.
Lydia lachte nicht mehr, ihr Gesicht nahm einen bangen, fast erschrockenen Ausdruck an. Paul strich ihr das herabgefallene Haar aus der Stirn, und da er noch einen Rest Champagner in seinem Glase fand, nötigte er sie, ihn auszutrinken. Sie lehnten ihre Stirnen gegeneinander, und in dem tiefen, feierlichen Schweigen, das auf all den Lärm folgte, war nichts mehr zu hören als die bewegten Atemzüge der beiden.
Ein verwegener Gedanke ging durch Pauls Hirn.
Sie behalten, an sich reißen, gleich jetzt, mit ihr davongehen, ohne Papiere und Standesbeamten, und der Familie Esselin schreiben, daß er die Lydia nicht mehr hergebe. Mochten sie immerhin Gesichter machen, was brauchte er sich darum zu kümmern. Hatte er nicht auch wie die andern ein Recht an Glück!
Da fiel ein Glockenschlag, und sie fuhren beide auseinander.
„Es wird spät“, sagte Lydia zaghaft, und da er nicht widersprach, setzte sie hinzu: „Ich muß gehen.“
Paul wußte nicht, was der eine Schlag bedeutete, denn er trug keine Uhr, aber der Ton der Glocke hatte ihn zurückgerufen in die nüchterne Wirklichkeit. Alle Rücksichten und Bedenklichkeiten, die bisher sein Leben bestimmt hatten, traten wieder in ihre Rechte. Die Lampe, die, vor Zugluft geschützt, dort in der Ecke stand, war tief heruntergebrannt, und eine Unzahl winziger brauner Mücklein bildeten mit ihren Leibern eine fingerdicke Schicht auf dem Glase. Paul sah nach dem Himmel, von dem ein breites Stück sich hoch über den Nachbardächern ausspannte: Arkturus flimmerte schon rötlich und begann zu sinken. Da seufzte er: „Ja, es ist spät, ich muß dich nach Hause bringen.“
Auf dem Heimweg eilte Lydia, als ob eine Gefahr in ihrem Rücken bleibe, und jeder Glockenschlag, den sie hörte, beflügelte noch ihren Schritt. Es war eine der wunderbaren südlichen Sommernächte, wo die tausend Stimmen der Natur in einen einzigen, langgezogenen Ton zusammenfließen, als ob die Nacht mit leiser Musik ihren Gang begleite. Paul Andersen wollte zuweilen stehenbleiben und unter der unermeßlichen Sternenfülle einen tieferen Atemzug nehmen, aber Lydia zog ihn hastig weiter. Eine halbe Stunde später standen sie vor dem Parkgitter der Esselinschen Villa. Lydia hatte den Schlüssel, und ihr Verlobter schloß auf. Noch ein Kuß, ein flüchtiger, letzter! — Halte sie fest, sagte abermals eine Stimme in ihm, aber im nächsten Augenblick war sie ihm schon entglitten, entschwebt wie ein Phantom, und innen verhallten ihre Schritte auf dem Kiesweg.
Paul stand noch und starrte durch das Gitter. Eine unbegreifliche Menge von Leuchtkäfern füllte ringsum die Luft, sie waren überall, auf den Feldern da unten und oben auf dem Weg, aber drinnen im Esselinschen Park waren sie am zahlreichsten. Wie spritzende Funken stoben sie durcheinander und gaben dem nächtlichen Garten ein seltsames, märchenhaftes Ansehen. Ach, sie hatten gut schwärmen, ihr СКАЧАТЬ