Der versiegelte Engel und andere Novellen. Nikolai Semjonowitsch Leskow
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Название: Der versiegelte Engel und andere Novellen

Автор: Nikolai Semjonowitsch Leskow

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831286

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СКАЧАТЬ Einem kranken Kind kann ja manches zustoßen ... Hinterher kann man sagen, daß der Arzt eine unrechte Medizin verordnet hat ...

      »Ist es nicht Zeit, die Medizin zu nehmen, Fedja?«

      »Bitte, Tantchen!« sagte der Junge. Er schluckte die Medizin herunter und fügte hinzu: »Das Buch ist sehr interessant, Tantchen, es wird darin das Leben der Heiligen beschrieben.«

      »Lies nur, lies,« versetzte Katerina Lwowna. Sie sah sich kaltblütig im Zimmer um und richtete den Blick auf das mit Eisblumen überzogene Fenster.

      »Man muß die Fenster schließen lassen,« sagte sie. Dann ging sie durch das Gastzimmer in den Saal und von dort zu sich ins Schlafzimmer. Hier setzte sie sich hin.

      Nach etwa fünf Minuten trat ins Schlafzimmer in einem mit Seebärenfell besetzten Halbpelz Ssergej.

      »Hat man die Fenster geschlossen?« fragte ihn Katerina Lwowna.

      »Man hat sie geschlossen,« antwortete Ssergej. Er putzte die Kerze und stellte sich vor den Ofen.

      Beide schwiegen.

      »Heute geht die Abendmesse wohl nicht so bald zu Ende?« fragte Katerina Lwowna.

      »Morgen ist ein großer Feiertag, der Gottesdienst wird heute lange dauern,« antwortete Ssergej.

      Es entstand wieder eine Pause.

      »Ich muß nach Fedja schauen, er ist allein,« sagte Katerina Lwowna, sich erhebend.

      »Allein?« fragte Ssergej, sie mürrisch anblickend.

      »Ja, allein,« antwortete sie leise: »Warum?«

      Von einem Augenpaar zum andern zuckten schnelle Blitze; aber keiner von ihnen sagte ein Wort.

      Katerina Lwowna ging hinunter und machte eine Runde durch die leeren Zimmer. Überall war es still; vor den Heiligenbildern brannten ruhig die Lämpchen; ihr eigener Schatten huschte über die Wände; die Außenläden waren schon geschlossen, und die Fensterscheiben tauten auf und tränten. Fedja saß auf dem Bett und las. Als er Katerina erblickte, sagte er ihr:

      »Tantchen, legen Sie, bitte, dieses Buch weg und geben Sie mir das andere, das auf dem Heiligenschrein liegt.«

      Katerina Lwowna erfüllte die Bitte des Neffen und gab ihm das Buch.

      »Willst du nicht einschlafen, Fedja?«

      »Nein, Tantchen, ich möchte auf die Großtante warten.«

      »Warum willst du auf sie warten?«

      »Sie versprach mir, geweihtes Brot von der Abendmesse mitzubringen.«

      Katerina Lwowna wurde plötzlich blaß: ihr eigenes Kind regte sich eben zum erstenmal unter ihrem Herzen, und sie fühlte Kälte in der Brust. Sie stand noch eine Weile mitten im Zimmer da und ging hinaus, die erkaltenden Hände gegeneinander reibend.

      »Nun!« flüsterte sie, leise ins Schlafzimmer tretend, wo Ssergej noch immer vor dem Ofen stand.

      »Was denn?« fragte Ssergej kaum hörbar. Ihm stockte der Atem.

      »Er ist allein.«

      Ssergej runzelte die Brauen und begann schwer zu atmen.

      »Komm!« sagte Katerina Lwowna hastig, sich zur Türe wendend.

      Ssergej zog sich schnell die Stiefel aus und fragte:

      »Was soll ich mitnehmen?«

      »Nichts!« hauchte Katerina Lwowna und führte ihn leise hinaus.

      XI

       Inhaltsverzeichnis

      Der kranke Knabe fuhr zusammen und ließ das Buch auf den Schoß sinken, als Katerina Lwowna zum drittenmal zu ihm hereinkam.

      »Was hast du, Fedja?«

      »Ach, Tantchen, ich habe solche Angst, ich weiß selbst nicht warum,« antwortete er, lächelnd und sich unruhig in eine Ecke des Bettes drückend.

      »Wovor hast du Angst?«

      »Wer war eben mit Ihnen, Tantchen?«

      »Wo? Niemand war mit mir, mein Liebling.«

      »Niemand?«

      Der Knabe beugte sich zum Fußende des Bettes vor, kniff die Augen zusammen, blickte zur Türe, durch die seine Tante soeben gekommen war, und beruhigte sich.

      »Es ist mir wohl nur so vorgekommen,« sagte er.

      Katerina Lwowna lehnte sich an die Kopfwand seines Bettes.

      Fedja blickte die Tante an und fragte sie, warum sie so blaß sei.

      Katerina Lwowna hüstelte nur und blickte erwartungsvoll auf die Türe des Gastzimmers. Dort knarrte leise ein Dielenbrett.

      »Ich lese eben die Lebensgeschichte meines Namenspatrons Fjodors des Stratilaten. Was der für ein gottgefälliges Leben führte!«

      Katerina Lwowna stand schweigend da.

      »Tantchen, wollen Sie sich nicht hinsetzen? Ich möchte Ihnen vorlesen!« sagte der Neffe, sie liebevoll anblickend.

      »Wart, ich komme gleich, ich will nur das Lämpchen im Saal richten,« antwortete Katerina Lwowna und verließ schnell das Zimmer.

      Im Gastzimmer wurde ganz leise, fast unhörbar geflüstert; das Kind hörte es aber in der tiefen Stille mit seinen scharfen Ohren.

      »Tantchen! Was ist denn das? Mit wem tuscheln Sie denn?« schrie der Knabe mit tränenerstickter Stimme. »Tantchen, kommen Sie doch her, ich habe solche Angst!« rief er nach einem Augenblick noch klagender: es kam ihm vor, als ob die Tante im Gastzimmer zu jemand »Jetzt!« gesagt hätte. Der Knabe bezog es auf sich.

      »Was hast du Angst?« fragte Katerina Lwowna heiser, mit festen, entschlossenen Schritten ins Zimmer tretend. Sie stellte sich vor das Bett so hin, daß ihr Körper die Gastzimmertüre vor den Blicken des Kranken verdeckte. »Leg dich!« sagte sie ihm.

      »Ich will nicht, Tantchen.«

      »Nein, Fedja, hör auf mich, leg dich ... Es ist spät ... Leg dich ...« wiederholte Katerina Lwowna.

      »Was fällt Ihnen ein, Tantchen! Ich will noch gar nicht liegen.«

      »Nein, leg dich, leg dich,« sagte Katerina Lwowna mit veränderter, abgerissener Stimme. Sie nahm den Jungen unter den Achseln und legte ihn gewaltsam hin.

      In diesem Augenblick stieß Fedja einen wahnsinnigen Schrei aus: er sah Ssergej, blaß und barfuß ins Zimmer treten.

      Katerina Lwowna drückte ihre Hand auf den vor Entsetzen weit geöffneten Mund des Kindes und schrie:

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